21.11.2024
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Dokument-Nr. 15196

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Bundesgerichtshof Urteil06.02.2013

Medikament mit Wirkstoff Insulindetemir zur Diabe­tes­be­handlung darf mit Gewichtsvorteil beworben werdenHeilmit­tel­werbung mit Hinweis auf Gewichtsvorteil-Studie kann irreführend sein

Ein Arznei­mit­tel­her­steller darf für sein Medikament mit dem Wirkstoff Insulindetemir damit werben, das es zu einer geringeren Gewichtszunahme führt als ein Präparat mit dem Wirkstoff Insulinglargin. Das Arzneimittel wird zur Behandlung von Diabetes mellitus eingesetzt.

Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien vertreiben Arzneimittel zur Behandlung von Diabetes mellitus, die auf unter­schied­lichen Wirkstoffen beruhen. Das Präparat der Klägerin enthält den Wirkstoff Insulinglargin, das Präparat der Beklagten den Wirkstoff Insulindetemir. Die Klägerin wendet sich im Kern gegen die in einem Faltblatt der Beklagten enthaltene Werbeaussage, wonach das von der Beklagten vertriebene Mittel gegenüber dem Mittel, das den von der Klägerin verwandten Wirkstoff enthält, zu einer geringeren Gewichtszunahme führe. Dabei wendet sich ein Teil der Klageanträge dagegen, dass sich die Beklagte zum Beleg ihrer Werbeaussage konkret auf eine Studie gestützt hat. Ein anderer Teil der Anträge richtet sich gegen die Werbeaussage ohne Bezugnahme auf eine Studie. Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, die Studien­er­gebnisse, auf die sich die Beklagte stützt, seien wissen­schaftlich nicht hinreichend gesichert. Die Werbung sei daher irreführend.

KG Berlin: kein Verstoß gegen Wettbe­wer­bsrecht

Das Landgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg. Die Werbung verstoße nicht gegen das Wettbe­wer­bsrecht, weil die Studien­er­gebnisse, auf die sich die Werbeaussagen der Beklagten stützten, Eingang in die beim Zulas­sungs­ver­fahren geprüfte Fachinformation gefunden hätten. Deshalb sei zu vermuten, dass der Gewichtsvorteil, mit dem die Beklagte geworben hatte, dem wissen­schaftlich gesicherten Stand entspreche. Diese Vermutung habe die Klägerin nicht widerlegt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision will die Klägerin die Verurteilung der Beklagten erreichen.

BGH: Zurückverweis an KG Berlin zur neuen Entscheidung

Auf die Revision des Klägers hat der Bundes­ge­richtshof das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Kammergericht Berlin zurückverwiesen. Von der Aufhebung betroffen sind diejenigen Anträge, die sich gegen die durch Bezugnahme auf eine Studie belegte Werbung mit einem Gewichtsvorteil richten.

BGH: aussagekräftige Studien­er­gebnisse nur bei Durchführung nach Grundsätzen wissen­schaft­licher Forschung

Der Bundes­ge­richtshof hat angenommen, dass insoweit eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen den Grundsatz der "Zitatwahrheit" in Betracht kommt. Danach sind Studien­er­gebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer gesund­heits­be­zogenen Aussage angeführt werden, grundsätzlich nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissen­schaft­licher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dafür ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, place­bo­kon­trol­lierte Doppel­blind­studie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröf­fent­lichung in den Diskus­si­ons­prozess der Fachwelt einbezogen worden ist. Ob auch - wie im Streitfall - nachträglich anhand vorliegender Studiendaten im Rahmen einer sogenannten Subgrup­pe­n­analyse oder im Wege der Zusammenfassung mehrerer wissen­schaft­lichen Untersuchungen (Metaanalyse) erstellten Studien eine Werbeaussage tragen können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es für die Frage der Irreführung neben der Einhaltung der für diese Studien geltenden wissen­schaft­lichen Regeln vor allem darauf an, ob der Verkehr in der Werbung hinreichend deutlich auf die Besonderheiten der Art, Durchführung oder Auswertung dieser Studie und gegebenenfalls die in der Studie selbst gemachten Einschränkungen im Hinblick auf die Validität und Bedeutung der gefundenen Ergebnisse hingewiesen und ihm damit die nur eingeschränkte wissen­schaftliche Aussagekraft der Studie vor Augen geführt wird. Solche aufklärenden Hinweise enthält die beanstandete Werbung nicht, obwohl die in Bezug genommene Studie Anlass dazu gegeben hat.

BGH: Werbender kann sich auf Inhalt der Zulassung Fachinformation berufen

Dagegen ist die ohne konkreten Bezug zu der Studie aufgestellte Behauptung eines Gewichts­vorteils im Streitfall rechtlich nicht zu beanstanden, weil sich ein solcher Vorteil - genauer: eine geringere Gewichtszunahme - nach den rechts­feh­ler­freien Feststellungen des Oberlan­des­ge­richts Berlin im Streitfall aus der arznei­mit­tel­recht­lichen Zulassung und der Fachinformation entnehmen lässt. Zwar gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesund­heits­be­zogenen Werbung nach dem im Heilmit­tel­wer­berecht maßgebenden Strengeprinzip generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissen­schaft­licher Erkenntnis entspricht. Grundsätzlich kann sich aber - so der Bundes­ge­richtshof - ein Werbender zum wissen­schaft­lichen Nachweis der Richtigkeit seiner Werbebehauptung auf den Inhalt der Zulassung und der Fachinformation berufen, weil diese Unterlagen Gegenstand der Überprüfung durch die Zulas­sungs­behörde sind. Eine Irreführung kommt aber dann in Betracht, wenn der Kläger darlegt und erfor­der­li­chenfalls beweist, dass neuere, erst nach dem Zulas­sungs­zeitpunkt bekannt­ge­wordene oder der Zulas­sungs­behörde bei der Zulas­sungs­ent­scheidung sonst nicht zugängliche wissen­schaftliche Erkenntnisse vorliegen, die gegen die wissen­schaftliche Tragfähigkeit der durch die Zulassung belegten Aussagen sprechen. Da die Klägerin nichts zu solchen Erkenntnissen vorgetragen hatte, war die Klageabweisung insofern zu Recht erfolgt.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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