23.11.2024
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Sie sehen verschiedene Szenen aus der Wirtschaftswelt und ein zentrales Paragrafenzeichen.

Dokument-Nr. 13314

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Urteil06.12.2001BundesgerichtshofI ZR 284/00
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • AfP 2002, 162Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (AfP), Jahrgang: 2002, Seite: 162
  • GRUR 2002, 360Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Jahrgang: 2002, Seite: 360
  • NJW 2002, 1200Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2002, Seite: 1200
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Bundesgerichtshof Urteil06.12.2001

"H.I.V. Positive II"-Urteil des BGH: Benetton-Werbung "H.I.V. POSITIVE" ist wettbe­wer­bs­widrigBGH verbietet erneut Benetton-Werbung "H.I.V. POSITIVE"

Erneut hat der Bundes­ge­richtshof die Schockwerbung "H.I.V. Positive" der Firma Benetton als sittenwidrig eingestuft. Er untersagte dem beklagten Presse­un­ter­nehmen die Werbung abzudrucken. Der Bundes­ge­richtshof hat die Ansicht vertreten, die Anzeige "H.I.V. POSITIVE" sei als sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG zu bewerten und genieße nicht den Schutz der Meinungs­äußerungs­freiheit (Art. 5 GG), weil sie die Menschenwürde Aids-Kranker verletze (Art. 1 Abs. 1 GG).

Der u.a. für das Wettbe­wer­bsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofes hatte erneut darüber zu entscheiden, ob die Beklagte, die Herausgeberin der Illustrierten "Stern", durch den Abdruck der Anzeige "H.I.V. POSITIVE", mit der die Firma Benetton für sich geworben hat, wettbewerbswidrig gehandelt hat. Die Werbung zeigt auf einer Doppelseite den oberen Teil eines menschlichen Gesäßes, dem rechts in breiter blauer Schrift der Stempel "H.I.V." mit dem Zusatz "POSITIVE" aufgedrückt ist. Etwas abgesetzt von diesem Stempelaufdruck befinden sich - mit einem rechteckigen grünen Feld unterlegt - die in weißer Schrift gesetzten Worte "UNITED COLORS OF BENETTON.". In der linken unteren Ecke der Anzeige steht der Satz: "COLORS, ein Magazin über den Rest der Welt, in Benetton Filialen und ausgewählten Zeitungsläden erhältlich."

Sache zur erneuten Prüfung des Aussagegehalts der Anzeige an BGH zurückverwiesen

Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. hat diese Anzeige als wettbe­wer­bs­widrig beanstandet. Nicht nur das Unternehmen Benetton, sondern auch die Beklagte habe durch ihre Veröf­fent­lichung gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstoßen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die (Sprung-)Revision der Beklagten hat der Bundes­ge­richtshof durch Urteil vom 6. Juli 1995 (I ZR 180/94) zurückgewiesen. Auf die Verfas­sungs­be­schwerde der Beklagten hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht diese Entscheidung durch Urteil vom 12. Dezember 2000 (1 BvR 1762 und 1787/95, BVerfGE 102, 347) wegen eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 GG aufgehoben und die Sache an den Bundes­ge­richtshof zur erneuten Prüfung des Aussagegehalts der Anzeige zurückverwiesen.

Anzeige "H.I.V. POSITIVE" verletzt Menschenwürde von Aids-Kranken

Die Revision der Beklagten blieb auch im neuen Revisi­ons­ver­fahren ohne Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof hat die Ansicht vertreten, die Anzeige "H.I.V. POSITIVE" sei als sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG zu bewerten und genieße nicht den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG), weil sie die Menschenwürde Aids-Kranker verletze (Art. 1 Abs. 1 GG).

Anzeige vergegenwärtigt grausame Wirklichkeit durch ein Bild

Gegen die Wettbe­wer­bs­wid­rigkeit der Anzeige könne nicht vorgebracht werden, sie sei als anprangernde, aufrüttelnde Aussage mit kritischer Tendenz gemeint. Wer im Wettbewerb mit anderen die Verbraucher durch Werbung beeinflussen wolle, müsse seine Werbemaßnahmen an ihrer Eignung, auf die Angesprochenen zu wirken, messen lassen. Bei einer Anzeige sei deshalb grundsätzlich nur maßgeblich, was aus dieser selbst spreche. Der Benetton-Anzeige könne jedoch weder eine eigene bestimmte Aussage noch eine bestimmte Absicht entnommen werden; eine Wertung sei immer die des Betrachters. Die Anzeige selbst vergegenwärtige nur eine grausame Wirklichkeit durch ein Bild. Sie sei objektiv gesehen ausschließlich Reizobjekt mit starker Wirkung.

Anzeige kann bei Menschen in tiefen Gefühls­schichten heftige Reaktion hervorrufen

Wie die Anzeige auf den Betrachter wirke, hänge entscheidend davon ab, wie stark ihr Charakter als Unter­neh­mens­werbung mit gesehen und empfunden werde. Besonders der Umstand, dass es hier um Werbung gehe und die Anzeige zumindest auch den Umsatz des werbenden Unternehmens steigern solle, sei ein Grund für ihre ungewöhnliche, vielfach aufwühlende Wirkung in der Öffentlichkeit, die das benutzte Foto trotz der starken Reizwirkung, die von ihm ausgehe, als solches allein nicht erreichen könnte. Der angesprochene Problemkreis sei geeignet, Menschen in tiefen Gefühls­schichten zu berühren. Die Verbindung eines Fotos, das diese Gefühls­schichten in besonders intensiver Weise ansprechen könne, mit der unübersehbaren Verfolgung eigener wirtschaft­licher Interessen werde darüber hinaus bei den meisten Betrachtern - abhängig von ihrer Lebenssituation und ihren persönlichen Einstellungen - Gedanken eigener Art und starke, häufig heftige Reaktionen hervorrufen. Gerade darauf beruhe auch die Eignung der Anzeige als Unter­neh­mens­werbung, eine an sie anknüpfende und auf sie Bezug nehmende öffentliche Ausein­an­der­setzung anzustoßen und so zugleich der Öffentlichkeit den Namen des Unternehmens einzuprägen.

Als Aids-infiziert "abgestempelt"

Die Anzeige stelle einen Menschen dar, der als Aids-infiziert "abgestempelt" sei. Sie könne ohne weiteres als Ausdruck der Solidarität mit Aids-Kranken empfunden werden, als aufrüttelnder Hinweis auf das Leid einer Gruppe, die nicht nur von einer todbringenden Krankheit betroffen sei, sondern wegen der Anste­ckungs­gefahr in der Gesellschaft teilweise stigmatisiert und ausgegrenzt werde. Die Anzeige wäre deshalb wettbe­wer­bs­rechtlich unbedenklich, wenn sie allein so aufgefasst würde oder ihr Charakter als Wirtschafts­werbung ihr Verständnis und ihre Wirkung allenfalls bei unerheblichen Teilen der angesprochenen Öffentlichkeit beeinflussen könnte, weil er nicht oder kaum als solcher wahrgenommen würde.

Anzeige benutzt schweres Leid von Menschen als Werbethema um Emotionen aufzurühren

Weit überwiegend werde die Anzeige jedoch, auch wenn sie zugleich als Aufruf zur Solidarität verstanden werde, als Aufmerk­sam­keits­werbung für das in der Anzeige genannte Unternehmen wahrgenommen. Sie wirke deshalb nicht nur - in einer wirklich oder angeblich vorhandenen guten Absicht - auf die öffentliche Meinungsbildung ein, sondern benutze gleichzeitig schweres Leid von Menschen als Werbethema, um - auch durch die Thematisierung gerade in der Wirtschafts­werbung eines Unternehmens - Emotionen aufzurühren, auf diese Weise das Unternehmen zum Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit zu machen und so den Verkauf der eigenen Waren - vor allem von Beklei­dungs­stücken - zu fördern. Selbst wenn eine Solidarisierung mit Aids-Kranken angenommen werde, wirke die Anzeige, soweit ihr Charakter als Wirtschafts­werbung von den Betrachtern nicht übersehen oder nur beiläufig wahrgenommen werde, zumindest maßgeblich auch als ein Mittel zum wirtschaft­lichen Zweck, das die Gruppe der Aids-Kranken, ihre tiefe Not und ihre Stigmatisierung in der Gesellschaft zum eigenen wirtschaft­lichen Vorteil ausbeute. Die Betroffenen selbst würden aus dieser Sicht mit ihrem Schicksal zu einem Objekt, mit dem Wirtschafts­werbung zur Gewinnerzielung getrieben werden könne. Ein Aufruf zur Solidarität mit Menschen in Not sei zynisch und verletze ihren Anspruch auf Achtung und mitmenschliche Solidarität um ihrer selbst willen, wenn er mit dem Geschäfts­in­teresse verbunden werde, die eigenen Unter­neh­men­s­umsätze in einem ganz anderen Bereich zu steigern. Von Betroffenen könne es zudem als verletzend empfunden werden, im Interesse einer Wirtschafts­werbung dem bildhaften Ausdruck des eigenen Schicksals - möglicherweise ganz unvorbereitet - durch eine gewerbliche Anzeige in einer Zeitschrift oder im öffentlichen Raum auf Plakatwänden ausgesetzt zu werden.

Beklagte verletzte Prüfungs­pflichten

Die Beklagte habe bei der Veröf­fent­lichung der Anzeige die ihr obliegenden Prüfungs­pflichten verletzt. Ein Presse­un­ter­nehmen hafte zwar wettbe­wer­bs­rechtlich für eine Anzeige nur dann, wenn diese grob und unschwer erkennbar wettbe­wer­bs­widrig sei. Dies sei hier jedoch der Fall.

Ausbeutung von Reizthemen und Tabus als Aufhänger von Werbung zur Erzielung von Aufmerk­sam­keits­ef­fekten

Eine Werbung wie die Anzeige "H.I.V. POSITIVE" begründe die Gefahr, dass die angewandte Methode um sich greife, durch Ausbeuten von Reizthemen und Tabus als Gegenstand oder Aufhänger von Werbung Aufmerksamkeitseffekte zu erzielen, etwa durch herabsetzende und diskri­mi­nierende Werbung auf Kosten von Behinderten, von ethnischen und politischen Minderheiten, Ausländern oder religiösen Gruppen. Nur selten würden derartige Werbeäußerungen nicht gut kaschiert sein und nicht auch eine naheliegende harmlose Deutung ermöglichen. An der Eignung solcher - mehr oder weniger unterschwellig manipulierender - Werbemaßnahmen, gefühls­ver­rohend und minder­hei­ten­feindlich zu wirken, ändere dies nichts. Die Voraussetzungen, unter denen sich Leistungs­wett­bewerb entfalten könne, würden wesentlich beeinträchtigt, wenn Werbung­treibende vermehrt dazu übergingen, den Kampf um die Aufmerksamkeit der Verbraucher in der Art der Anzeige "H.I.V. POSITIVE" zu führen und so ihren Vorteil auf Kosten derjenigen Wettbewerber zu suchen, die das im Wettbewerb unabdingbare Maß an Achtung vor anderen und ihren verfas­sungs­rechtlich geschützten Rechtsgütern bewahren.

Verzichtsurteil in weiterem Verfahren erlassen

In dem Verfahren I ZR 283/00, in dem es um andere Anzeigen ("Kinderarbeit", "ölverschmutzte Ente") ging, hat der I. Zivilsenat ein Verzichtsurteil erlassen, nachdem die Klägerin auf den ihr vom Landgericht zuerkannten Anspruch verzichtet hat.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (pm)

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