21.11.2024
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Dokument-Nr. 10421

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Urteil14.10.2010BundesgerichtshofI ZR 191/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • CR 2011, 401Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2011, Seite: 401
  • GRUR 2011, 513Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Jahrgang: 2011, Seite: 513
  • ITRB 2011, 124Zeitschrift: Der IT-Rechts-Berater (ITRB), Jahrgang: 2011, Seite: 124
  • MDR 2011, 618Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2011, Seite: 618
  • MMR 2011, 391Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2011, Seite: 391
  • NJW 2011, 2436Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2011, Seite: 2436
  • WRP 2011, 762Zeitschrift: Wettbewerb in Recht und Praxis (WRP), Jahrgang: 2011, Seite: 762
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil14.10.2010

Fall "AnyDVD": BGH stärkt die Meinungs­freiheit - Musikindustrie unterliegt gegen heise onlineVerlinkungen auf rechtwidrige Inter­ne­t­an­gebote sind von Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt

Der Bundes­ge­richtshof stärkt die Meinungs­freiheit: Wer im Internet einen Artikel über Software zur Überwindung von Kopiersperren auf CDs und DVDs veröffentlicht, darf auch einen Link zum Anbieter der Kopier­schutz­knacker setzen. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof, der mit seinem Urteil die Rechtsprechung des Oberlan­des­ge­richts München aufhob.

Dem Urteil lag ein Streit zwischen heise.de und den Inhaberinnen der Rechte an Musik-CDs und -DVDs zugrunde. Im Januar 2005 hatte heise auf seiner Internetseite gemeldet: "AnyDVD überwindet Kopierschutz von ‚Un-DVDs'." In dem Artikel berichtete heise über ein Update des Kopier­schutz­knackers "AnyDVD" des Software­her­stellers SlySoft. Die Effektivität der Software wurde unter anderem mit einem Zitat des SlySoft-Chefs beschrieben: "Wir knacken den Kopierschutz schneller, als die Filmindustrie ihn unter die Leute bringen kann."

Musikindustrie verklagte heise

Zugleich enthielt der Artikel Links (elektronische Verweise) auf das Portal von SlySoft, auf dem der Koperschutz kostenlos zum Download bereitstand. Mehrere Unternehmen der Musikindustrie forderten daraufhin heise auf, die Berich­t­er­stattung und die Verlinkung zu unterlassen. Die Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG, die neben heise.de auch die Compu­ter­zeit­schrift c't herausgibt, berief sich hingegen auf die Pressefreiheit und verweigerte jede Änderung des Artikels.

Landgericht und Oberlan­des­gericht München geben Musikindustrie Recht

Das Landgericht München I verurteilte Heise im November 2007 zur Entfernung des Links (Urteil vom 14.11.2007 - 21 O 6742/07). Auch in der Berufung vor dem OLG München (OLG München, Urteil v. 23.10.2008 - 29 U 5696/07) unterlag heise. Das OLG meinte, dass der Eingriff in die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), der darin lag, dass dem Heise-Verlag die Setzung des Links verboten wurde, durch § 95 a Abs. 3 UrhG und die Grundsätze der Teilneh­mer­haftung gerechtfertigt sei.

Verlinken ist grundsätzlich erlaubt - BGH weist Klage der Musikindustrie in letzter Instanz ab

Dieser Rechts­auf­fassung trat der Bundes­ge­richtshof schließlich in der Revisi­ons­instanz mit klaren Worten entgegen: "Die Erwägungen des Berufungs­ge­richts unterliegen schon im Ausgangpunkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken." Denn grundsätzlich sei das Verlinken als Mittel der Berich­t­er­stattung zulässig. Die Auffassung des OLG hingegen, dass bei der rechtlichen Beurteilung der Verlinkung streng zwischen der sich distanzierenden redaktionellen Berich­t­er­stattung als solcher und der (allein angegriffenen) Linksetzung zu unterscheiden sei, werde dem Gewähr­leis­tungs­gehalt der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 6 EUV, Art. 11 Abs. 1 und 2 der EU-Grund­recht­echarta sowie Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz nicht gerecht.

Grundrechte schützen die Meinungs- und Pressefreiheit in sämtlichen Aspekten

Der Schutz der Pressefreiheit umfasse ebenso wie der Schutz der Meinungs­freiheit das Recht, den Gegenstand einer Berich­t­er­stattung frei zu wählen. Inhalt und Qualität der vermittelten Information oder Meinung seien für die Anwendung von Art. 11 EU-Grund­recht­echarta ohne Belang. Deshalb sei es nicht die Aufgabe der Gerichte zu entscheiden, ob ein bestimmtes Thema überhaupt berichtenswert sei oder nicht. Der Grund­rechts­schutz umfasse die Meinungs- und Pressefreiheit in sämtlichen Aspekten. Er erstrecke sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Meinung­s­äu­ßerung oder Berich­t­er­stattung.

Link ist mit Fußnote in einem Text vergleichbar

Der beanstandete Link in den Beiträgen von heise gehöre in diesem Sinne zum vom Grund­rechts­schutz geschützten Bereich der freien Berich­t­er­stattung. Der Link beschränke sich nicht - wie die Münchener Richter angenommen haben - auf eine bloß technische Erleichterung für den Aufruf der betreffenden Internetseite. Ein Link erschließe vielmehr zusätzliche Infor­ma­ti­o­ns­quellen und sei insoweit mit einer Fußnote vergleichbar.

Link hat nicht nur technische Funktion, sondern ist Teil der inhaltlichen Berich­t­er­stattung

Die in der beanstandeten Meldung von heise verwendeten Links sollten weitere Informationen über das Unternehmen SlySoft und die in dem Beitrag genannten Kopier­schutz­pro­gramme zugänglich machen. Sie dienen im Zusammenhang des gesamten Beitrags damit entweder als Beleg für einzelne ausdrückliche Angaben oder sollen diese durch zusätzliche Informationen ergänzen. Demnach erschöpfen sich die gesetzten Links nicht in ihrer technischen Funktion, den Aufruf der verlinkten Seiten zu erleichtern. Sie seien vielmehr in die Beiträge und in die in ihnen enthaltenen Stellungnahmen als Belege und ergänzende Angaben eingebettet und werden schon aus diesem Grund nicht nur vom Gewähr­leis­tungs­inhalt der Pressefreiheit, sondern auch von der Meinungs­freiheit erfasst.

Auch über Rechtswidriges darf berichtet werden - auch wenn rechtswidriges Angebot erst durch die Berich­t­er­stattung bekannt wird

Der Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit umfasse auch Informationen, die Dritte beleidigen, aus der Fassung bringen oder sonst stören können. Grundsätzlich dürfe daher auch über Äußerungen, durch die in rechtswidriger Weise Persön­lich­keits­rechte Dritter beeinträchtigt worden seien, trotz der in der Weiter­ver­breitung liegenden Perpetuierung oder sogar Vertiefung des Ersteingriffs berichtet werden, wenn ein überwiegendes Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse bestehe und der Verbreiter sich die berichtete Äußerung nicht zu eigen mache.

Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Allgemeinheit überwiegt Schutzinteresse der Musikindustrie

Ein solches überwiegendes Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse könne auch gegeben sein, wenn die Berich­t­er­stattung eine unzweifelhaft rechtswidrige Äußerung zum Gegenstand habe, also gegebenenfalls selbst dann, wenn dem Verbreiter die Rechts­wid­rigkeit des Vorgangs bekannt sei, über den er berichte. Gerade die Schwere des in Frage stehenden Verstoßes könne ein besonderes Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse begründen. Dem könne zwar auf der anderen Seite auch ein aus der Schwere des Verstoßes herrührendes besonderes Gewicht des Eingriffs in die grundrechtlich geschützten Positionen des von der Berich­t­er­stattung betroffenen Grund­recht­s­trägers entgegenstehen. In vorliegendem Fall überwiege aber das öffentliche Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse gegenüber dem Eingriff in die urheber­recht­lichen Interessen der Klägerinnen.

Auch ohne Verlinkung können Internetnutzer die Software über Suchmaschinen unproblematisch auffinden

Die isolierte, allein auf die technische Funktion des Links abstellende Beurteilung des Oberlan­des­ge­richts lasse ferner außer Acht, dass in den heise-Beiträgen deutlich auf die Rechts­wid­rigkeit des Angebots von SlySoft hingewiesen worden sei. Die Rechts­wid­rigkeit sei den Lesern der heise-Beiträge demnach bewusst. Im übrigen sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die Verlinkung die Urheber­rechts­verstöße von SlySoft erheblich vertieft haben sollte. Denn für den durch­schnitt­lichen Internetnutzer sei es bereits aufgrund der Angabe des Unter­neh­mens­namens mit Hilfe von Suchmaschinen ohne weiteres möglich, den Inter­ne­t­auftritt von SlySoft aufzufinden.

Musikindustrie steht kein Unter­las­sungs­an­spruch zu

Aus alledem ergebe sich, dass die beanstandeten heise-Beiträge einschließlich der dort gesetzten Links dem Schutzbereich der Meinungs- und Pressefreiheit unterfallen. Den Klägerinnen stehen schon aus diesem Grund die geltend gemachten Unter­las­sungs­ansprüche nicht zu - auch nicht nach den Grundsätzen der Störerhaftung.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/we)

der Leitsatz

Sind in einem im Internet veröf­fent­lichten, seinem übrigen Inhalt nach dem Schutz der Presse- und Meinungs­freiheit unterfallenden Beitrag elektronische Verweise (Links) auf fremde Internetseiten in der Weise eingebettet, dass sie einzelne Angaben des Beitrags belegen oder diese durch zusätzliche Informationen ergänzen sollen, so werden auch diese Verweise von der Presse- und Meinungs­freiheit umfasst.

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