Dokument-Nr. 10421
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- CR 2011, 401Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2011, Seite: 401
- GRUR 2011, 513Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Jahrgang: 2011, Seite: 513
- ITRB 2011, 124Zeitschrift: Der IT-Rechts-Berater (ITRB), Jahrgang: 2011, Seite: 124
- MDR 2011, 618Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2011, Seite: 618
- MMR 2011, 391Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2011, Seite: 391
- NJW 2011, 2436Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2011, Seite: 2436
- WRP 2011, 762Zeitschrift: Wettbewerb in Recht und Praxis (WRP), Jahrgang: 2011, Seite: 762
Bundesgerichtshof Urteil14.10.2010
Fall "AnyDVD": BGH stärkt die Meinungsfreiheit - Musikindustrie unterliegt gegen heise onlineVerlinkungen auf rechtwidrige Internetangebote sind von Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt
Der Bundesgerichtshof stärkt die Meinungsfreiheit: Wer im Internet einen Artikel über Software zur Überwindung von Kopiersperren auf CDs und DVDs veröffentlicht, darf auch einen Link zum Anbieter der Kopierschutzknacker setzen. Dies entschied der Bundesgerichtshof, der mit seinem Urteil die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München aufhob.
Dem Urteil lag ein Streit zwischen heise.de und den Inhaberinnen der Rechte an Musik-CDs und -DVDs zugrunde. Im Januar 2005 hatte heise auf seiner Internetseite gemeldet: "AnyDVD überwindet Kopierschutz von ‚Un-DVDs'." In dem Artikel berichtete heise über ein Update des Kopierschutzknackers "AnyDVD" des Softwareherstellers SlySoft. Die Effektivität der Software wurde unter anderem mit einem Zitat des SlySoft-Chefs beschrieben: "Wir knacken den Kopierschutz schneller, als die Filmindustrie ihn unter die Leute bringen kann."
Musikindustrie verklagte heise
Zugleich enthielt der Artikel Links (elektronische Verweise) auf das Portal von SlySoft, auf dem der Koperschutz kostenlos zum Download bereitstand. Mehrere Unternehmen der Musikindustrie forderten daraufhin heise auf, die Berichterstattung und die Verlinkung zu unterlassen. Die Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG, die neben heise.de auch die Computerzeitschrift c't herausgibt, berief sich hingegen auf die Pressefreiheit und verweigerte jede Änderung des Artikels.
Landgericht und Oberlandesgericht München geben Musikindustrie Recht
Das Landgericht München I verurteilte Heise im November 2007 zur Entfernung des Links (Urteil vom 14.11.2007 - 21 O 6742/07). Auch in der Berufung vor dem OLG München (OLG München, Urteil v. 23.10.2008 - 29 U 5696/07) unterlag heise. Das OLG meinte, dass der Eingriff in die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), der darin lag, dass dem Heise-Verlag die Setzung des Links verboten wurde, durch § 95 a Abs. 3 UrhG und die Grundsätze der Teilnehmerhaftung gerechtfertigt sei.
Verlinken ist grundsätzlich erlaubt - BGH weist Klage der Musikindustrie in letzter Instanz ab
Dieser Rechtsauffassung trat der Bundesgerichtshof schließlich in der Revisionsinstanz mit klaren Worten entgegen: "Die Erwägungen des Berufungsgerichts unterliegen schon im Ausgangpunkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken." Denn grundsätzlich sei das Verlinken als Mittel der Berichterstattung zulässig. Die Auffassung des OLG hingegen, dass bei der rechtlichen Beurteilung der Verlinkung streng zwischen der sich distanzierenden redaktionellen Berichterstattung als solcher und der (allein angegriffenen) Linksetzung zu unterscheiden sei, werde dem Gewährleistungsgehalt der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 6 EUV, Art. 11 Abs. 1 und 2 der EU-Grundrechtecharta sowie Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz nicht gerecht.
Grundrechte schützen die Meinungs- und Pressefreiheit in sämtlichen Aspekten
Der Schutz der Pressefreiheit umfasse ebenso wie der Schutz der Meinungsfreiheit das Recht, den Gegenstand einer Berichterstattung frei zu wählen. Inhalt und Qualität der vermittelten Information oder Meinung seien für die Anwendung von Art. 11 EU-Grundrechtecharta ohne Belang. Deshalb sei es nicht die Aufgabe der Gerichte zu entscheiden, ob ein bestimmtes Thema überhaupt berichtenswert sei oder nicht. Der Grundrechtsschutz umfasse die Meinungs- und Pressefreiheit in sämtlichen Aspekten. Er erstrecke sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Meinungsäußerung oder Berichterstattung.
Link ist mit Fußnote in einem Text vergleichbar
Der beanstandete Link in den Beiträgen von heise gehöre in diesem Sinne zum vom Grundrechtsschutz geschützten Bereich der freien Berichterstattung. Der Link beschränke sich nicht - wie die Münchener Richter angenommen haben - auf eine bloß technische Erleichterung für den Aufruf der betreffenden Internetseite. Ein Link erschließe vielmehr zusätzliche Informationsquellen und sei insoweit mit einer Fußnote vergleichbar.
Link hat nicht nur technische Funktion, sondern ist Teil der inhaltlichen Berichterstattung
Die in der beanstandeten Meldung von heise verwendeten Links sollten weitere Informationen über das Unternehmen SlySoft und die in dem Beitrag genannten Kopierschutzprogramme zugänglich machen. Sie dienen im Zusammenhang des gesamten Beitrags damit entweder als Beleg für einzelne ausdrückliche Angaben oder sollen diese durch zusätzliche Informationen ergänzen. Demnach erschöpfen sich die gesetzten Links nicht in ihrer technischen Funktion, den Aufruf der verlinkten Seiten zu erleichtern. Sie seien vielmehr in die Beiträge und in die in ihnen enthaltenen Stellungnahmen als Belege und ergänzende Angaben eingebettet und werden schon aus diesem Grund nicht nur vom Gewährleistungsinhalt der Pressefreiheit, sondern auch von der Meinungsfreiheit erfasst.
Auch über Rechtswidriges darf berichtet werden - auch wenn rechtswidriges Angebot erst durch die Berichterstattung bekannt wird
Der Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit umfasse auch Informationen, die Dritte beleidigen, aus der Fassung bringen oder sonst stören können. Grundsätzlich dürfe daher auch über Äußerungen, durch die in rechtswidriger Weise Persönlichkeitsrechte Dritter beeinträchtigt worden seien, trotz der in der Weiterverbreitung liegenden Perpetuierung oder sogar Vertiefung des Ersteingriffs berichtet werden, wenn ein überwiegendes Informationsinteresse bestehe und der Verbreiter sich die berichtete Äußerung nicht zu eigen mache.
Informationsinteresse der Allgemeinheit überwiegt Schutzinteresse der Musikindustrie
Ein solches überwiegendes Informationsinteresse könne auch gegeben sein, wenn die Berichterstattung eine unzweifelhaft rechtswidrige Äußerung zum Gegenstand habe, also gegebenenfalls selbst dann, wenn dem Verbreiter die Rechtswidrigkeit des Vorgangs bekannt sei, über den er berichte. Gerade die Schwere des in Frage stehenden Verstoßes könne ein besonderes Informationsinteresse begründen. Dem könne zwar auf der anderen Seite auch ein aus der Schwere des Verstoßes herrührendes besonderes Gewicht des Eingriffs in die grundrechtlich geschützten Positionen des von der Berichterstattung betroffenen Grundrechtsträgers entgegenstehen. In vorliegendem Fall überwiege aber das öffentliche Informationsinteresse gegenüber dem Eingriff in die urheberrechtlichen Interessen der Klägerinnen.
Auch ohne Verlinkung können Internetnutzer die Software über Suchmaschinen unproblematisch auffinden
Die isolierte, allein auf die technische Funktion des Links abstellende Beurteilung des Oberlandesgerichts lasse ferner außer Acht, dass in den heise-Beiträgen deutlich auf die Rechtswidrigkeit des Angebots von SlySoft hingewiesen worden sei. Die Rechtswidrigkeit sei den Lesern der heise-Beiträge demnach bewusst. Im übrigen sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die Verlinkung die Urheberrechtsverstöße von SlySoft erheblich vertieft haben sollte. Denn für den durchschnittlichen Internetnutzer sei es bereits aufgrund der Angabe des Unternehmensnamens mit Hilfe von Suchmaschinen ohne weiteres möglich, den Internetauftritt von SlySoft aufzufinden.
Musikindustrie steht kein Unterlassungsanspruch zu
Aus alledem ergebe sich, dass die beanstandeten heise-Beiträge einschließlich der dort gesetzten Links dem Schutzbereich der Meinungs- und Pressefreiheit unterfallen. Den Klägerinnen stehen schon aus diesem Grund die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht zu - auch nicht nach den Grundsätzen der Störerhaftung.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.04.2011
Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/we)
der Leitsatz
Sind in einem im Internet veröffentlichten, seinem übrigen Inhalt nach dem Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit unterfallenden Beitrag elektronische Verweise (Links) auf fremde Internetseiten in der Weise eingebettet, dass sie einzelne Angaben des Beitrags belegen oder diese durch zusätzliche Informationen ergänzen sollen, so werden auch diese Verweise von der Presse- und Meinungsfreiheit umfasst.
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