18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil30.04.2015

BGH zur Zulässigkeit der "Tagesschau-App"OLG Köln muss mögliche Presse­ähn­lichkeit der angebotenen Inhalte der App prüfen

Der Bundes­ge­richtshof hat der Revision mehrerer Zeitungsverlage in einem Rechtstreit um die sogenannte "Tagesschau-App" gegen den Norddeutschen Rundfunk stattgegeben. Mit der Freigabe dieses Teleme­di­en­konzept durch die Nieder­säch­sische Staatskanzlei ist nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs allenfalls das Konzept der App und jedenfalls nicht dessen konkrete Umsetzung im Einzelfall als nicht presseähnlich gebilligt worden. Das Oberlan­des­gericht Köln hat nun zu prüfen, ob das von den Zeitungs­verlagen beanstandete Angebot der "Tagesschau-App" tatsächlich presseähnlich gewesen ist oder nicht.

Die Klägerinnen des zugrunde liegenden Verfahrens sind Zeitungsverlage. Die Beklagte zu 1 ist die Arbeits­ge­mein­schaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunk­an­stalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), der Beklagte zu 2 ist der Norddeutsche Rundfunk. Die in der Beklagten zu 1 zusam­men­ge­schlossenen Rundfunk­an­stalten betreiben seit dem Jahr 1996 das von der Beklagten zu 2 betreute Online-Portal "tagesschau.de". Im Jahr 2009 wurden in den Rundfunkstaatsvertrag die Regelungen des §§ 11d*, 11f** RStV eingefügt. Danach haben öffentlich-rechtliche Rundfunk­an­stalten die inhaltliche Ausrichtung ihrer Teleme­di­en­an­gebote in Teleme­di­en­kon­zepten zu konkretisieren und diese Konzepte einer - als "Drei-Stufen-Test" bezeichneten - Prüfung zu unterwerfen. Die in der Beklagten zu 1 zusam­men­ge­schlossenen Rundfunk­an­stalten entwickelten daraufhin unter Federführung des Beklagten zu 2 ein Teleme­di­en­konzept für das Online-Portal "tagesschau.de". Dieses Konzept wurde im Jahr 2010 vom Rundfunkrat des Beklagten zu 2 beschlossen, von der Nieder­säch­sischen Staatskanzlei als Rechts­auf­sichts­behörde freigegeben und im Nieder­säch­sischen Minis­te­ri­a­lblatt veröffentlicht.

Rundfunk­an­stalten bieten "Tagesschau-App" an

Seit dem 21. Dezember 2010 bieten die Rundfunk­an­stalten die Applikation "Tagesschau-App" für Smartphones und Tabletcomputer an. Über diese Applikation kann das unter "tagesschau.de" vorgehaltene Angebot aufgerufen werden. Dieses besteht aus - teils um Standbilder oder Bildstrecken ergänzten - Textbeiträgen, aus Audio- und Videobeiträgen sowie aus interaktiven Elementen.

Klagende Zeitungsverlage halten Tagesschau-App für wettbe­wer­bs­widrig

Mit ihrer Klage wenden sich die Klägerinnen gegen das am 15. Juni 2011 über die "Tagesschau-App" bereitgestellte Angebot. Sie sind der Ansicht, dieses Angebot sei wettbe­wer­bs­widrig, weil es gegen die als Markt­ver­hal­tens­re­gelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG*** einzustufende Bestimmung des § 11 d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 RStV verstoße. Danach sind nicht­sen­dungs­be­zogene presseähnliche Angebote in Telemedien unzulässig. Die Klägerinnen nehmen die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch.

Berufungs­gericht weist Klage ab

Das Berufungs­gericht hat die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, dass ein etwaiger Verstoß der Beklagten gegen das Verbot presseähnlicher Angebote keine wettbe­wer­bs­recht­lichen Ansprüche begründen könne, weil das Angebot des Online-Portals "tagesschau.de" im Zuge des "Drei-Stufen-Tests" von den mit der Prüfung befassten Einrichtungen als nicht presseähnlich eingestuft und freigegeben worden sei. Die Wettbe­wer­bs­ge­richte seien an diese rechtliche Bewertung gebunden.

Zusammenschluss von Rundfunk­an­stalten ist nicht rechtsfähig und kann daher nicht verklagt werden

Die Revision der Klägerinnen hatte hinsichtlich der Beklagten zu 1 keinen Erfolg. Das Berufungs­gericht hat die Klage insoweit - so der Bundes­ge­richtshof - im Ergebnis mit Recht abgewiesen. Die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage ist bereits unzulässig. Bei der Beklagten zu 1, der ARD, handelt es sich um einen Zusammenschluss von Rundfunk­an­stalten, der als solcher nicht rechtsfähig ist und nicht verklagt werden kann.

Revision der Zeitungsverlage vor dem BGH erfolgreich

Hinsichtlich des Beklagten zu 2 hatte die Revision der Klägerinnen dagegen Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof hat angenommen, dass aufgrund der Freigabe des Teleme­di­en­kon­zeptes durch die Nieder­säch­sische Staatskanzlei - entgegen der Auffassung des Berufungs­ge­richts - nicht mit bindender Wirkung für den vorliegenden Rechtsstreit feststehe, dass das am 15. Juni 2011 über die "Tagesschau-App" bereitgestellte Angebot im Online-Portal "tagesschau.de" nicht presseähnlich gewesen sei. Mit der Freigabe ist allenfalls das Konzept und jedenfalls nicht dessen konkrete Umsetzung im Einzelfall als nicht presseähnlich gebilligt worden. Bei dem Verbot nicht­sen­dungs­be­zogener presseähnlicher Angebote handelt es sich um eine Markt­ver­hal­tens­re­gelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG. Das Verbot hat zumindest auch den Zweck, die Betätigung öffentlich-rechtlicher Rundfunk­an­stalten auf dem Markt der Teleme­di­en­an­gebote zum Schutz von Presseverlagen zu begrenzen. Ein Verstoß gegen dieses Verbot kann daher wettbe­wer­bs­rechtliche Ansprüche der Verlage begründen. Der Bundes­ge­richtshof hat die Sache insoweit an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Dieses muss nunmehr prüfen, ob das von den Klägerinnen beanstandete Angebot presseähnlich gewesen ist. Bei dieser Prüfung kommt es - so der Bundes­ge­richtshof - nicht darauf an, ob einzelne Beiträge dieses Angebots als presseähnlich anzusehen sind. Entscheidend ist vielmehr, ob das über die "Tagesschau-App" am 15. Juni 2011 abrufbare Angebot des Online-Portals "tagesschau.de" in der Gesamtheit seiner nicht­sen­dungs­be­zogenen Beiträge als presseähnlich einzustufen ist. Das ist der Fall, wenn bei diesem Angebot der Text deutlich im Vordergrund steht.

* § 11 d RStV lautet:

Erläuterungen
(1) Die in der ARD zusam­men­ge­schlossenen Landes­rund­funk­an­stalten, das ZDF und das Deutsch­landradio bieten Telemedien an, die journalistisch-redaktionell veranlasst und journalistisch-redaktionell gestaltet sind.

(2) Der Auftrag nach Absatz 1 umfasst das Angebot von [...]

3. [...] nicht­sen­dungs­be­zogenen Telemedien nach Maßgabe eines nach § 11 f durchgeführten Verfahrens; in den Teleme­di­en­kon­zepten ist angebots­ab­hängig eine Befristung für die Verweildauer vorzunehmen; nicht­sen­dungs­be­zogene presseähnliche Angebote sind nicht zulässig [...]

** § 11 f RStV lautet:

(1) Die in der ARD zusam­men­ge­schlossenen Landes­rund­funk­an­stalten, das ZDF und das Deutschland radio­kon­kre­ti­sieren die inhaltliche Ausrichtung ihrer Telemedien nach § 11 d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 jeweils in Teleme­di­en­kon­zepten, die Zielgruppe, Inhalt, Ausrichtung und Verweildauer der geplanten Angebote näher beschreiben. [...]

(4) Ist ein neues Angebot oder die Veränderung eines bestehenden Angebots nach Absatz 1 geplant, hat die Rundfunkanstalt gegenüber ihrem zuständigen Gremium darzulegen, dass das geplante, neue oder veränderte, Angebot vom Auftrag umfasst ist. Es sind Aussagen darüber zu treffen,

1. inwieweit das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht,

2. in welchem Umfang durch das Angebot in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beigetragen wird und

3. welcher finanzielle Aufwand für das Angebot erforderlich ist.

Dabei sind Quantität und Qualität der vorhandenen frei zugänglichen Angebote, die marktlichen Auswirkungen des geplanten Angebots sowie dessen meinungs­bildende Funktion angesichts bereits vorhandener vergleichbarer Angebote, auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zu berücksichtigen. Darzulegen ist der voraus­sichtliche Zeitraum, innerhalb dessen das Angebot stattfinden soll.

(5) Zu den Anforderungen des Absatzes 4 ist vor Aufnahme eines neuen oder veränderten Angebots durch das zuständige Gremium Dritten in geeigneter Weise, insbesondere im Internet, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Gelegenheit zur Stellungnahme besteht innerhalb einer Frist von mindestens sechs Wochen nach Veröf­fent­lichung des Vorhabens. Das zuständige Gremium der Rundfunkanstalt hat die eingegangenen Stellungnahmen zu prüfen. Das zuständige Gremium kann zur Entschei­dungs­bildung gutachterliche Beratung durch unabhängige Sachverständige auf Kosten der jeweiligen Rundfunkanstalt in Auftrag geben; zu den marktlichen Auswirkungen ist gutachterliche Beratung hinzuzuziehen. Der Name des Gutachters ist bekanntzugeben. Der Gutachter kann weitere Auskünfte und Stellungnahmen einholen; ihm können Stellungnahmen unmittelbar übersandt werden.

(6) Die Entscheidung, ob die Aufnahme eines neuen oder veränderten Angebots den Voraussetzungen des Absatzes 4 entspricht, bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder, mindestens der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder des zuständigen Gremiums. Die Entscheidung ist zu begründen. In den Entschei­dungs­gründen muss unter Berück­sich­tigung der eingegangenen Stellungnahmen und eingeholten Gutachten dargelegt werden, ob das neue oder veränderte Angebot vom Auftrag umfasst ist. Die jeweilige Rundfunkanstalt hat das Ergebnis ihrer Prüfung einschließlich der eingeholten Gutachten unter Wahrung von Geschäfts­ge­heim­nissen in gleicher Weise wie die Veröf­fent­lichung des Vorhabens bekannt zu machen.

(7) Der für die Rechtsaufsicht zuständigen Behörde sind vor der Veröf­fent­lichung alle für eine rechts­auf­sichtliche Prüfung notwendigen Auskünfte zu erteilen und Unterlagen zu übermitteln. Nach Abschluss des Verfahrens nach Absatz 5 und 6 und nach Prüfung durch die für die Rechtsaufsicht zuständige Behörde ist die Beschreibung des neuen oder veränderten Angebots in den amtlichen Verkün­dungs­blättern der betroffenen Länder zu veröffentlichen.

*** § 4 Nr. 11 UWG lautet:

Unlauter handelt insbesondere, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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