Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Im Rahmen eines zivilgerichtlichen Verfahrens verlangte der sehbehinderte Beklagte vom Landgericht Dresden die Übermittlung aller Prozessunterlagen sowohl in Klarschrift als auch in Blindenschrift. Das Landgericht wies das Begehren zurück, da der Beklagte durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde und der Streitfall nicht so komplex war, dass der Anwalt den Streitstoff nicht vermitteln konnte. Der sehbehinderte Beklagte legte daraufhin Rechtsbeschwerde ein.
Der Bundesgerichtshof führte zunächst aus, dass eine blinde oder sehbehinderte Person verlangen kann, dass ihr die für sie bestimmten gerichtlichen Dokumente auch in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verfahren erforderlich ist (vgl. § 191 a GVG und Zugänglichmachungsverordnung). Dabei sei der Anspruch nicht nur auf die gerichtlichen Dokumente, sondern auf sämtliche Dokumente des gerichtlichen Verfahrens gerichtet.
Der sehbehinderte Beklagte habe daher regelmäßig verlangen können, so der Bundesgerichtshof weiter, dass das Landgericht ihm die Prozessunterlagen nicht nur in Klarschrift, sondern auch in Blindenschrift zugänglich macht. Im vorliegenden Fall sei dies hingegen nicht notwendig gewesen.
Die Bundesrichter betonten zwar, dass der Anspruch auf Zugänglichmachung nicht durch eine Vertretung durch einen Anwalt, einen Beistand oder Betreuer ausgeschlossen werde. Etwas anderes gelte jedoch, wenn der anwaltliche Vertreter der berechtigten Person die in den Dokumenten enthaltenen Informationen so vermitteln kann, dass eine zusätzliche Übermittlung der Dokumente in einer für die berechtigte Person wahrnehmbaren Form nicht erforderlich ist. Dies sei hier angesichts des übersichtlichen Streitstoffs der Fall gewesen. In diesem Zusammenhang stellte der Gerichtshof klar, dass es durchaus zu den Aufgaben eines Rechtsanwalts gehören kann, einem sehbehinderten Menschen den wesentlichen Inhalt der Dokumente zu vermitteln.
Soweit vorgetragen wurde, dass dem sehbehinderten Beklagten jede Möglichkeit einer selbstbestimmten Verfahrensführung genommen wurde, folgte der Gerichtshof dieser Ansicht nicht. Denn die Zugänglichmachung der Dokumente diene der Wahrnehmung der Verfahrensrechte und nicht der Kontrolle der Tätigkeit des Rechtsanwalts. Auch eine sehbehinderte, rechtsunkundige Person müsse darauf vertrauen, dass der Anwalt ihre Rechte und Interessen ordnungsgemäß durchsetzt.
Die Bundesrichter erkannten zwar an, dass es möglich sei, dass sich die Komplexität des Rechtsstreits erst im Laufe des Verfahrens ergeben kann. In einem solchen Fall könne aber der sehbehinderten Person die Dokumente auch nachträglich in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden. Sollte es deswegen zu Verfahrensverzögerungen kommen, so sei dies hinzunehmen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 10.07.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)