21.11.2024
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Dokument-Nr. 16243

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Beschluss10.01.2013BundesgerichtshofI ZB 70/12
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2013, 1011Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2013, Seite: 1011
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Vorinstanz:
  • Landgericht Dresden, Urteil23.05.2012, 8 S 596/11 - 15
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss10.01.2013

Sehbehinderte Partei eines Rechtsstreits hat grundsätzlich Anspruch auf Prozess­un­terlagen in BlindenschriftAusnahme: Übersichtlicher Streitfall und mögliche Vermittlung des Streitstoffs durch Rechtsanwalt

Soweit es zur Wahrnehmung der Verfah­rens­rechte notwendig ist, kann eine sehbehinderte Partei eines Rechtsstreits die Übermittlung der Prozess­un­terlagen in Blindenschrift verlangen. Ist der Streitfall jedoch übersichtlich und kann daher der Rechtsanwalt den Streitstoff vermitteln, besteht kein Anspruch auf Übersendung in Blindenschrift. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Im Rahmen eines zivil­ge­richt­lichen Verfahrens verlangte der sehbehinderte Beklagte vom Landgericht Dresden die Übermittlung aller Prozessunterlagen sowohl in Klarschrift als auch in Blindenschrift. Das Landgericht wies das Begehren zurück, da der Beklagte durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde und der Streitfall nicht so komplex war, dass der Anwalt den Streitstoff nicht vermitteln konnte. Der sehbehinderte Beklagte legte daraufhin Rechts­be­schwerde ein.

Anspruch auf Blindenschrift besteht grundsätzlich für alle Prozess­un­terlagen

Der Bundes­ge­richtshof führte zunächst aus, dass eine blinde oder sehbehinderte Person verlangen kann, dass ihr die für sie bestimmten gerichtlichen Dokumente auch in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verfahren erforderlich ist (vgl. § 191 a GVG und Zugäng­lich­ma­chungs­ver­ordnung). Dabei sei der Anspruch nicht nur auf die gerichtlichen Dokumente, sondern auf sämtliche Dokumente des gerichtlichen Verfahrens gerichtet.

In der Regel besteht Anspruch auf Prozess­un­terlagen in Blindenschrift

Der sehbehinderte Beklagte habe daher regelmäßig verlangen können, so der Bundes­ge­richtshof weiter, dass das Landgericht ihm die Prozess­un­terlagen nicht nur in Klarschrift, sondern auch in Blindenschrift zugänglich macht. Im vorliegenden Fall sei dies hingegen nicht notwendig gewesen.

Vermittlung des Prozessstoffs durch Rechtsanwalt genügte

Die Bundesrichter betonten zwar, dass der Anspruch auf Zugäng­lich­machung nicht durch eine Vertretung durch einen Anwalt, einen Beistand oder Betreuer ausgeschlossen werde. Etwas anderes gelte jedoch, wenn der anwaltliche Vertreter der berechtigten Person die in den Dokumenten enthaltenen Informationen so vermitteln kann, dass eine zusätzliche Übermittlung der Dokumente in einer für die berechtigte Person wahrnehmbaren Form nicht erforderlich ist. Dies sei hier angesichts des übersichtlichen Streitstoffs der Fall gewesen. In diesem Zusammenhang stellte der Gerichtshof klar, dass es durchaus zu den Aufgaben eines Rechtsanwalts gehören kann, einem sehbehinderten Menschen den wesentlichen Inhalt der Dokumente zu vermitteln.

Partei eines Rechtsstreits muss Anwalt vertrauen

Soweit vorgetragen wurde, dass dem sehbehinderten Beklagten jede Möglichkeit einer selbst­be­stimmten Verfah­rens­führung genommen wurde, folgte der Gerichtshof dieser Ansicht nicht. Denn die Zugäng­lich­machung der Dokumente diene der Wahrnehmung der Verfah­rens­rechte und nicht der Kontrolle der Tätigkeit des Rechtsanwalts. Auch eine sehbehinderte, rechtsunkundige Person müsse darauf vertrauen, dass der Anwalt ihre Rechte und Interessen ordnungsgemäß durchsetzt.

Nachträgliche Übermittlung der Dokumente in Blindenschrift möglich

Die Bundesrichter erkannten zwar an, dass es möglich sei, dass sich die Komplexität des Rechtsstreits erst im Laufe des Verfahrens ergeben kann. In einem solchen Fall könne aber der sehbehinderten Person die Dokumente auch nachträglich in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden. Sollte es deswegen zu Verfah­rens­ver­zö­ge­rungen kommen, so sei dies hinzunehmen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

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