13.12.2024
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Dokument-Nr. 34290

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Urteil20.08.2024Bundesgerichtshof5 StR 326/23
Vorinstanz:
  • Landgericht Itzehoe, Urteil20.12.2022, 3 KLs 315 Js 15865/16 jug
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil20.08.2024

Letztes NS-Strafverfahren: Bundes­ge­richtshof bestätigt Urteil gegen ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F.Verurteilung einer ehemaligen Zivil­an­ge­stellten im Konzen­tra­ti­o­nslager Stutthof rechtskräftig

Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundes­ge­richtshofs hat die Revision einer 99 Jahre alten ehemaligen Zivil­an­ge­stellten der SS verworfen, die sich gegen ihre Verurteilung durch das Landgericht Itzehoe wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren gewandt hatte.

Nach den Urteils­fest­stel­lungen war die im Tatzeitraum 18 und 19 Jahre alte Beschwer­de­führerin vom 1. Juni 1943 bis zum 1. April 1945 als einzige Stenotypistin in der Kommandantur des von der SS betriebenen Konzen­tra­ti­o­ns­lagers Stutthof beschäftigt. Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte durch die Erledigung von Schreibarbeit in der Kommandantur die Haupttäter willentlich dabei unterstützt habe, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebens­feind­licher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernich­tungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche grausam zu töten oder dies versucht zu haben. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungs­hand­lungen notwendig gewesen.

Die neuere Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs zu Beihil­fe­hand­lungen im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massen­ver­brechen war hier im Fall ausschlaggebend

Der 5. Strafsenat hat nach mehrstündiger Haupt­ver­handlung am 31. Juli 2024 durch Urteil am 20. August 2024 die mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten verworfen. Dabei hat er sich auf die neuere Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs zu Beihil­fe­hand­lungen im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massen­ver­brechen gestützt und diese fortgeführt (BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16 zu einem Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau). In solchen Konstellationen sind einerseits an jeder einzelnen begangenen Mordtat eine Vielzahl von Personen in politisch, verwal­tungs­technisch oder militärisch-hierarchisch verant­wort­licher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt. Andererseits wirken aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mit. Deshalb ist eingehend zu prüfen, ob die dem Gehilfen vorgeworfenen Handlungen die Tathandlung zumindest eines der an dem Mord Mitwirkenden im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gefördert haben.

Angeklagte unterstützte den Lager­kom­man­danten und dessen Adjutanten

Nach der rechts­feh­ler­freien Würdigung des Landgerichts war dies bei der Angeklagten der Fall. Sie half durch ihre Schreibarbeit dem Lager­kom­man­danten und dessen Adjutanten, mit denen sie vertrauensvoll zusam­me­n­a­r­beitete, nicht nur physisch. Sie unterstützte diese durch ihre Einordnung in den Lagerbetrieb als zuverlässige und gehorsame Untergebene auch psychisch bei der Begehung der 10.505 vollendeten und fünf versuchten grausamen Morde, die das Landgericht ihr zugerechnet hat. Ihre Tätigkeit als einzige Stenotypistin war für den durchweg bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung. Insoweit kam es nicht entscheidend darauf an, dass die Strafkammer nicht hat ausschließen können, dass einzelne Schreiben auch von anderen erstellt worden sein könnten.

Die Grundsätze zur Straffreiheit von berufstypisch neutralen Handlungen mit "Alltag­s­cha­rakter" stehen der Verurteilung nicht entgegen

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Straffreiheit von berufstypisch neutralen Handlungen mit "Alltag­s­cha­rakter" stehen der Verurteilung der Angeklagten schon deshalb nicht entgegen, weil sie von dem verbre­che­rischen Handeln der von ihr unterstützten Haupttäter positive Kenntnis hatte und sich durch ihre dennoch erbrachten Dienste gleichsam mit ihnen solidarisierte, wodurch ihr Tun jeglichen "Alltag­s­cha­rakter" verlor.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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