24.11.2024
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Dokument-Nr. 32720

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Beschluss09.03.2023Bundesgerichtshof3 StR 246/22
Vorinstanz:
  • Oberlandesgericht München, Urteil25.10.2021, 8 St 9/18
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Bundesgerichtshof Beschluss09.03.2023

Urteil wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zum Nachteil zweier Jesidinnen im Strafausspruch weitgehend aufgehobenIS-Rückkehrerin droht nun eine härtere Strafe

Das Oberlan­des­gericht München muss neu über die Strafe für die nieder­säch­sische IS-Rückkehrerin Jennifer W. entscheiden, die dem Sterben eines versklavten Mädchens im Irak tatenlos zugesehen haben soll. Der Bundes­ge­richtshof erklärte, dass das Münchner Urteil Rechtsfehler enthalte. Die Revision des Genera­lbundes­anwalts hatte damit Erfolg. Die Revision der Angeklagten hat der Bundes­ge­richtshof durch Beschluss als offensichtlich unbegründet verworfen, weil die Beschwer­de­führerin eine Verfahrensrüge nicht zulässig erhoben und die materi­ell­rechtliche Nachprüfung des Urteils keinen ihr nachteiligen Rechtsfehler ergeben hat.

Nach den vom Oberlan­des­gericht getroffenen Feststellungen reiste die in Deutschland geborene und zum Islam konvertierte Angeklagte Ende August 2014 im Alter von 23 Jahren nach Syrien in das damalige Herrschafts­gebiet der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) aus und schloss sich ihr an. In Rakka heiratete sie vor einem IS-Gericht ein für die Organisation tätiges - mittlerweile rechtskräftig verurteiltes - männliches Verei­ni­gungs­mitglied. Kurz zuvor hatte dieser zwei beim Angriff des IS auf die Sindschar-Region gefan­gen­ge­nommene Jesidinnen, die Nebenklägerin und deren im Kleinkindalter befindliche Tochter, als Sklavinnen gekauft.

Angeklagte lässt versklavtes Mädchen verdursten

Die Angeklagte zog mit ihm und den beiden Jesidinnen in den Irak nach Falludscha. Dort hielt das nach islamischem Ritus getraute Paar die "Haussklavinnen" im Sommer 2015 zirka eineinhalb Monate in Gefangenschaft. Die Angeklagte wies die Nebenklägerin an, ihr den Haushalt zu führen. Gemeinsam mit ihrem Mann forderte sie von der Nebenklägerin und deren Tochter mehrmals täglich, islamische Gebetsriten zu befolgen, und gab dem Kind einen muslimischen Namen, mit dem es auch dessen Mutter ansprechen musste. Er misshandelte beide regelmäßig, um sie zu bestrafen und zu disziplinieren, teils aus eigenem Antrieb, teils auf Beschwerden der Angeklagten hin. Diese förderte durch ihr Handeln bewusst und gewollt die IS- Politik der Vernichtung der jesidischen Religion und der Versklavung der weiblichen jesidischen Bevölkerung. An einem Tag Anfang August 2015 band der Mann der Angeklagten die Fünfjährige bei starker Hitze an das im Hof seines Hauses befindliche Außengitter eines Fensters, so dass sie direkter Sonnen­ein­strahlung ausgesetzt war und sich nicht mit den Beinen abstützen konnte. Die Angeklagte schritt nicht ein, auch als sie die Lebensgefahr erkannte. An den Folgen des Fesselns und Aufhängens verstarb das Mädchen. In dem Zeitpunkt, als die Angeklagte dessen Tod billigend in Kauf nahm, wäre es allerdings nicht mehr zu retten gewesen. An dem Tag des Geschehens oder kurz danach hielt sie der um ihr Kind weinenden Nebenklägerin eine Pistole an den Kopf und drohte ihr, sie zu erschießen, wenn sie damit nicht aufhöre.

OLG verhängte eine Gesamt­frei­heit­strafe von zehn Jahren

Das Oberlan­des­gericht hat die Angeklagten als Mitglied des IS gemein­schaftlich mit ihrem Mann vorgenommene Versklavung einschließlich des hierdurch verursachten Todes des Kindes gewertet als zwei tateinheitliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, eins mit Todesfolge (§ 7 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VStGB), in Tateinheit mit durch Unterlassen begangener Beihilfe zum Versuch des Mordes, des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Tötung und des Kriegs­ver­brechens gegen Personen durch Tötung sowie mit mitglied­s­chaft­licher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Der Strafzumessung hat es als höchste Sankti­o­ns­an­drohung (§ 52 Abs. 2 StGB) den Strafrahmen zugrunde gelegt, der für den minder schweren Fall des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge gesetzlich vorgesehen ist (§ 7 Abs. 4 Alternative 1 VStGB). Wegen dieser Tat hat es die Angeklagte mit einer Freiheitsstrafe von neun Jahren belegt. Die verei­ni­gungs­be­zogenen Tätigkeiten, welche sie als IS-Mitglied getrennt von der Versklavung der Nebenklägerin und ihrer Tochter ausübte, hat das Oberlan­des­gericht als weiteren selbständigen Fall der mitglied­s­chaft­lichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beurteilt und deswegen auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erkannt. Die beiden Einzelstrafen hat es auf eine Gesamt­frei­heit­strafe von zehn Jahren zurückgeführt. Gegen das Urteil haben sowohl der General­bun­des­anwalt als auch die Angeklagte Revision eingelegt. Die Bundes­an­walt­schaft hat mit ihrem auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel ausschließlich weite Teile des Strafausspruchs angefochten und dabei die rechts­feh­lerhafte Annahme eines minder schweren Falls des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge beanstandet. Die Angeklagte hat mit ihrem unbeschränkt erhobenen Rechtsmittel ohne weitere Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.

BGH: OLG-Annahme eines minder schweren Falls ist rechts­feh­lerhaft

Auf die Revision des General­bun­des­anwalts hat der Bundes­ge­richtshof das Urteil des Oberlan­des­ge­richts in den Aussprüchen über die Einzelstrafe in dem Fall des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge in Tateinheit mit weiteren Delikten und über die Gesamtstrafe aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen. Die Annahme eines minder schweren Falls erweise sich als rechts­feh­lerhaft. Denn das Oberlan­des­gericht habe ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe bei der diesbezüglichen Prüfung die Straf­tat­be­stände, welche die Angeklagte zugleich mit dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge verwirklicht habe, insbesondere die Beihilfe zu den versuchten Tötungsdelikten, als für die Strafrahmenwahl bedeutungslos befunden. Es habe somit verkannt, dass die Verletzung mehrerer Strafgesetze durch eine Tat grundsätzlich strafschärfend wirke.

Menschen­ver­achtende Beweggründe und Ziele zu beachten

Im Übrigen habe das OLG die menschen­ver­ach­tenden Beweggründe und Ziele der Angeklagten unberück­sichtigt gelassen hat, die sich nach den Urteils­fest­stel­lungen aufdrängten. Wie sich klarstellend aus dem Gesetz ergebe (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB), sei eine solche Tatmotivation regelmäßig straf­zu­mes­sungs­rechtlich beachtlich. Menschen­ver­achtend sei eine in der strafbaren Handlung zum Ausdruck gekommene Gesinnung des Täters, welche die vermeintliche Andersartigkeit einer Personengruppe als Rechtfertigung dazu missbraucht, Menschenrechte der Opfer zu negieren und ihre Menschenwürde zu verletzen, etwa im Fall von gegen die religiöse Orientierung gerichteten Handlungs­motiven oder -zwecken. So liege es naheliegend hier. Die Angeklagte habe sogar die vom Verbrechen des Völkermordes vorausgesetzte Absicht der den Angriff auf die Jesiden der Sindschar-Region anordnenden Führungskräfte des IS gekannt und gebilligt, diese religiöse Gruppe als solche zu zerstören.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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