14.11.2024
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Bundesfinanzhof Urteil27.10.2021

BFH: Kein Entschädigungs­anspruch für durch Corona-Pandemie verursachte Verlängerung eines finanz­ge­richt­lichen VerfahrensKein spezifisch die Justiz betreffendes Organisations­verschulden

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass eine Verzögerung beim Sitzungsbetrieb eines Finanzgerichts, die durch den Beginn der Corona-Pandemie verursacht wurde, nicht zur Unange­mes­senheit der gerichtlichen Verfahrensdauer führt.

Ein an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligter hat gemäß § 198 des Gerichts­ver­fas­sungs­ge­setzes einen eigenständig einklagbaren Entschä­di­gungs­an­spruch für immaterielle Nachteile, die ihm dadurch entstehen, dass sein Gerichts­ver­fahren nicht in angemessener Zeit beendet wird.

Angemessenheit der Verfahrensdauer

Bei der Frage der Angemessenheit der Dauer finanz­ge­richt­licher Verfahren geht der BFH im Regelfall von der Vermutung aus, dass der Finanzrichter bei einem typischen durch­schnitt­lichen Klageverfahren gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage konsequent auf die Erledigung des Verfahrens hinwirken muss. Andernfalls kann ein Verfah­rens­be­tei­ligter für jeden einzelnen Verzö­ge­rungsmonat eine Entschädigung von 100 € beanspruchen. Voraussetzung hierfür ist u.a., dass er die Verzögerung des Verfahrens rechtzeitig gerügt hat. Im Streitfall hatte der Kläger im Rahmen seiner gegen Umsatz­steu­er­be­scheide gerichteten Klage zwei Jahre nach Klageeingang eine Verzö­ge­rungsrüge wegen der Besorgnis erhoben, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Das Klageverfahren wurde acht Monate später –nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung– mit Zustellung des Urteils beendet.

Beein­fluss­barkeit der verzögernden Umstände als Voraussetzung etwaiger Ansprüche

Die nachfolgend vom Kläger erhobene Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von mindestens 600 € wies der BFH ab. Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Entschä­di­gungs­an­spruch zwar verschul­den­su­n­ab­hängig sei, so dass es nicht auf ein pflichtwidriges Verhalten bzw. Verschulden der mit der Sache befassten Richter ankomme. Somit könne die unangemessene Verfahrensdauer auch nicht mit dem Hinweis auf eine chronische Überlastung der Gerichte, länger bestehende Rückstände oder eine angespannte Perso­nal­si­tuation gerechtfertigt werden. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers müssten aber die verfah­rens­ver­zö­gernden Umstände zumindest innerhalb des staatlichen bzw. dem Staat zurechenbaren Einfluss­be­reichs liegen.

Unvor­her­seh­barkeit der Pandemie rechtfertigt Wirkungen

Dies hat der BFH im vorliegenden Fall verneint. Die mehrmonatige Verzögerung des Ausgangs­ver­fahrens beruhe auf Einschränkungen des finanz­ge­richt­lichen Sitzungs­be­triebs ab März 2020. Diese seien Folge der Corona-Pandemie und der zu ihrer Eindämmung ergriffenen Schutzmaßnahmen. Es handele sich nicht um ein spezifisch die Justiz betreffendes Problem, da andere öffentliche und private Einrichtungen und Betriebe ebenso betroffen (gewesen) seien. Die Corona-Pandemie sei –jedenfalls zu Beginn– als außer­ge­wöhn­liches und in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands beispielloses Ereignis anzusehen, die weder in ihrem Eintritt noch in ihren Wirkungen vorhersehbar gewesen wäre. Von einem Organi­sa­ti­o­ns­ver­schulden der Justizbehörden im Hinblick auf die Vorsorge für die Aufrecht­er­haltung einer stets unein­ge­schränkten Rechtspflege könne daher ebenfalls nicht ausgegangen werden.

Quelle: Bundesfinanzhof, ra-online (pm/cc)

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