21.11.2024
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Bundesfinanzhof Urteil17.01.2023

BFH zur Verfassungs­mäßigkeit des Solidaritäts­zuschlagsSolidaritäts­zuschlag stellt verfassungs­rechtlich zulässige Ergän­zungs­abgabe dar

Die Erhebung des Solidaritäts­zuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfas­sungs­widrig. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden.

Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solida­ri­täts­zu­schlags in den Jahren 2020 und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078 € und für das Jahr 2021 einen Voraus­zah­lungs­be­scheid über insgesamt 57 € Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem Finanzgericht hatte das klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim Bundesfinanzhof eingelegten Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solida­ri­täts­zu­schlags verstoße gegen das Grundgesetz. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusam­men­hängende Neuregelung des Länder­fi­nan­z­aus­gleichs. Der Solida­ri­täts­zu­schlag dürfe als Ergän­zungs­abgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnah­me­cha­rakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solida­ri­täts­zu­schlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solida­ri­täts­zu­schlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Geset­ze­s­än­derung um eine verkappte "Reichensteuer", die gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.

BFH nicht von Verfas­sungs­wid­rigkeit überzeugt

Der BFH ist dem nicht gefolgt. Beim Solida­ri­täts­zu­schlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfas­sungs­rechtlich zulässige Ergän­zungs­abgabe; eine Vorlage der Sache an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ist daher nicht geboten. Eine Ergän­zungs­abgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergän­zungs­abgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergän­zungs­abgabe zu decken. Deshalb kann eine verfas­sungsgemäß beschlossene Ergän­zungs­abgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finan­zie­rungslücke entstanden ist. Der Solida­ri­täts­zu­schlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länder­fi­nan­z­aus­gleichs zum Jahresende 2019 hat der Solida­ri­täts­zu­schlag seine Rechtfertigung als Ergän­zungs­abgabe nicht verloren.

Erhebung Solida­ri­täts­zu­schlag auch ohne Solidarpakt möglich

Eine zwingende rechts­tech­nische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länder­fi­nan­z­aus­gleich und dem Solida­ri­täts­zu­schlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wieder­ver­ei­ni­gungs­be­dingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Geset­zes­be­gründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Renten­ver­si­cherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solida­ri­täts­zu­schlag zukünftig die fortbestehenden wieder­ver­ei­ni­gungs­be­dingten Kosten nicht decken werden. Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solida­ri­täts­zu­schlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solida­ri­täts­zu­schlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Genera­ti­o­nen­aufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solida­ri­täts­zu­schlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen. Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solida­ri­täts­zu­schlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.

Auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz

Der Solida­ri­täts­zu­schlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solida­ri­täts­zu­schlag belastet. Die darin liegende Ungleich­be­handlung ist aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solida­ri­täts­zu­schlag an der Leistungs­fä­higkeit des Steuer­pflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berück­sich­tigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solida­ri­täts­zu­schlag, der im wirtschaft­lichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuer­pflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solida­ri­täts­zu­schlags mit Blick auf das Sozial­staats­prinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.

Quelle: Bundesfinanzhof, ra-online pm/ab)

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