21.11.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil13.06.2019

Massen­ent­lassung: Kündigung von Arbeitnehmern sofort nach Eingang der Massen­entlassungs­anzeige bei der Agentur für Arbeit zulässigBAG zum korrekten Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung bei Massen­ent­las­sungen

Das Bundes­arbeits­gericht hat entschieden, dass die nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Massen­entlassungs­anzeige auch dann wirksam erstattet werden kann, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist. Kündigungen im Massen­entlassungs­verfahren sind daher - vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungs­voraus­setzungen - wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündi­gungs­schreiben zugegangen ist.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Mit Beschluss vom 1. Juni 2017 wurde das Insol­venz­ver­fahren über das Vermögen der Insol­venz­schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insol­venz­ver­walter bestellt. Die von ihm verfasste Massen­ent­las­sungs­anzeige ging am 26. Juni 2017 zusammen mit einem beigefügten Inter­es­se­n­aus­gleich bei der Agentur für Arbeit ein. Mit Schreiben vom 26. Juni 2017 kündigte der Beklagte das Arbeits­ver­hältnis des Klägers ebenso wie die Arbeits­ver­hältnisse der anderen 44 zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich betriebsbedingt zum 30. September 2017. Das Kündi­gungs­schreiben ging dem Kläger am 27. Juni 2017 zu. Dieser macht mit seiner Kündi­gungs­schutzklage u.a. geltend, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) der Arbeitgeber auch seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses nachzukommen habe. Darum dürfe die Unterschrift unter das Kündi­gungs­schreiben, mit der die Kündi­gungs­er­klärung konstitutiv geschaffen werde, erst erfolgen, nachdem die Massen­ent­las­sungs­anzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei.

LAG gibt Klage des Arbeitnehmers statt

Das Landes­a­r­beits­gericht folgte dieser Auffassung und gab der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts statt. Die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündi­gungs­ent­scheidung treffe, was sich in der Unterzeichnung des Kündi­gungs­schreibens manifestiere.

Kündigung des Arbeitnehmers darf erst nach Zugang der Massen­ent­las­sungs­anzeige bei der Agentur für Arbeit erfolgen

Die Revision des Beklagten hatte vor dem Bundes­a­r­beits­gericht Erfolg und führte zur Zurück­ver­weisung des Rechtsstreits an das Landes­a­r­beits­gericht. Das selbstständig neben dem nach § 17 Abs. 2 KSchG durch­zu­füh­renden Konsul­ta­ti­o­ns­ver­fahren stehende, in § 17 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG geregelte Anzei­ge­ver­fahren dient beschäf­ti­gungs­po­li­tischen Zwecken. Die Agentur für Arbeit soll rechtzeitig über eine bevorstehende Massen­ent­lassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermitt­lungs­be­mü­hungen darauf einstellen zu können. Das setzt voraus, dass bereits feststeht, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willen­s­ent­schluss des Arbeitgebers zur Kündigung kann, soll und will die Agentur für Arbeit - anders als der Betriebsrat im Rahmen des Konsul­ta­ti­o­ns­ver­fahrens - keinen Einfluss nehmen. Die Kündigung darf allerdings erst dann erfolgen, d.h. dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn die Massen­ent­las­sungs­anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Dies ist durch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massen­ent­las­sungs­richtlinie) geklärt, so dass das Bundes­a­r­beits­gericht von einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV abgesehen hat.

Rückweisung der Sache an das LAG zur Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung

Das Bundes­a­r­beits­gericht konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen. Das Landes­a­r­beits­gericht wird aufzuklären haben, ob die Massen­ent­las­sungs­anzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und ob das Anhörungs­ver­fahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde.

Quelle: Bundesarbeitsgericht/ra-online (pm/kg)

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