21.11.2024
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Dokument-Nr. 31359

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Beschluss27.01.2022Bundesarbeitsgericht6 AZR 155/21 (A)
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Bundesarbeitsgericht Beschluss27.01.2022

BAG legt dem EuGH Frage zur Übermittlung­spflicht bei Massen­ent­lassung vorWelchem Zweck dient die Übermittlung­spflicht nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL?

Das Bundes­arbeits­gericht hat den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorab­entscheidungs­ersuchens im Zusammenhang mit der Frage angerufen*, welche Sanktion ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG** nach sich zieht.

Der Beklagte ist Insol­venz­ver­walter in dem am 1. Oktober 2019 über das Vermögen der Insol­venz­schuldnerin eröffneten Insol­venz­ver­fahren. Der Kläger war seit 1981 bei der Insolvenz-schuldnerin beschäftigt. Am 17. Januar 2020 wurde die vollständige Einstellung des Geschäfts­be­triebs der Insol­venz­schuldnerin zum 30. April 2020 beschlossen. In diesem Zusammenhang war die Entlassung aller zuletzt noch 195 beschäftigten Arbeitnehmer beabsichtigt. Aufgrund des Still­le­gungs­be­schlusses fanden mit dem bei der Insol­venz­schuldnerin bestehenden Betriebsrat Verhandlungen über den Abschluss eines Inter­es­se­n­aus­gleichs sowie eines Sozialplans statt. In Verbindung mit dem Inter­es­se­n­aus­gleichs­ver­fahren wurde auch das im Falle einer Massen­ent­lassung erforderliche Konsul­ta­ti­o­ns­ver­fahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt. Entgegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts­vor­schriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL)*** in nationales Recht umsetzt, wurde jedoch der zuständigen Agentur für Arbeit keine Abschrift der das Konsul­ta­ti­o­ns­ver­fahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG übermittelt. Mit Schreiben vom 23. Januar 2020 wurde eine Massen­ent­las­sungs­anzeige erstattet, deren Eingang die Agentur für Arbeit am 27. Januar 2020 bestätigte. Am 28. Januar 2020 erhielt der Kläger die Kündigung seines Arbeits­ver­hält­nisses zum 30. April 2020. Noch für den 28./29. Januar 2020 beraumte die Agentur für Arbeit Beratungs­ge­spräche für 153 Arbeitnehmer der Insol­venz­schuldnerin an.

Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 MERL?

Mit seiner Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung vom 28. Januar 2020 geltend gemacht. Die unterlassene Übermittlung der an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG an die Agentur für Arbeit verstoße gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL. Diese enthielten nicht nur eine sanktionslose Nebenpflicht, sondern stellten eine Wirksam­keits­vor­aus­setzung der Kündigung dar. Die Übermitt­lungs­pflicht solle sicherstellen, dass die Agentur für Arbeit so früh wie möglich Kenntnis von den bevorstehenden Entlassungen erhalte, um ihre Vermitt­lungs­be­mü­hungen darauf einstellen zu können. Sie habe von daher arbeit­neh­mer­schüt­zenden Charakter. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Welchen Zweck hat die Übermitt­lungs­pflicht nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL?

Das Bundes­a­r­beits­gericht hat mit Beschluss den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV ersucht, die Frage zu beantworten, welchem Zweck die Übermitt­lungs­pflicht nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL dient. Hiervon hängt nach Auffassung des Senats ab, ob § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der unions­rechts­konform in gleicher Weise wie Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL auszulegen ist, ebenso wie andere, den Arbeit­neh­mer­schutz - zumindest auch - bezweckende Vorschriften im Massen­ent­las­sungs­ver­fahren als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB anzusehen ist. In diesem Fall wäre die Kündigung unwirksam.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/ab)

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