18.10.2024
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Dokument-Nr. 30464

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Bundesarbeitsgericht Urteil24.06.2021

Ausländische Pflegekräfte haben Anspruch auf MindestlohnAuch Bereit­schafts­zeiten sind voll zu vergüten

Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreu­ungs­kräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereit­schafts­dienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten. dies hat das Bundes­arbeits­gericht.

Die Klägerin ist bulgarische Staats­an­ge­hörige mit Wohnsitz in Bulgarien. Sie war seit April 2015 bei der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, als Sozia­l­as­sis­tentin beschäftigt. In dem in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag ist eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart, wobei Samstag und Sonntag arbeitsfrei sein sollten. Die Klägerin wurde nach Berlin entsandt und arbeitete gegen eine Nettovergütung von 950,00 Euro monatlich im Haushalt der über 90-jährigen zu betreuenden Person, bei der sie auch ein Zimmer bewohnte. Ihre Aufgaben umfassten neben Haushalt­s­tä­tig­keiten (wie Einkaufen, Kochen, Putzen etc.) eine „Grundversorgung“ (wie Hilfe bei der Hygiene, beim Ankleiden etc.) und soziale Aufgaben (z.B. Gesellschaft leisten, Ansprache, gemeinsame Inter­es­sen­ver­folgung). Der Einsatz der Klägerin erfolgte auf der Grundlage eines Dienst­leis­tungs­vertrags, in dem sich die Beklagte gegenüber der zu betreuenden Person verpflichtete, die aufgeführten Betreu­ungs­leis­tungen durch ihre Mitarbeiter in deren Haushalt zu erbringen.

Klägerin fordert Vergütung nach Mindest­lohn­gesetz für Rund-um-die-Uhr-Betreuung

Mit ihrer im August 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin unter Berufung auf das Mindest­lohn­gesetz (MiLoG) weitere Vergütung verlangt. Sie hat geltend gemacht, bei der Betreuung nicht nur 30 Wochenstunden, sondern rund um die Uhr gearbeitet zu haben oder in Bereitschaft gewesen zu sein. Selbst nachts habe die Tür zu ihrem Zimmer offenbleiben müssen, damit sie auf Rufen der zu betreuenden Person dieser - etwa zum Gang auf die Toilette - Hilfe habe leisten können. Für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 hat die Klägerin zuletzt die Zahlung von 42.636,00 Euro brutto abzüglich erhaltener 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen begehrt. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, sie schulde den gesetzlichen Mindestlohn nur für die arbeits­ver­traglich vereinbarten 30 Wochenstunden. In dieser Zeit hätten die der Klägerin obliegenden Aufgaben ohne Weiteres erledigt werden können. Bereit­schafts­dienst sei nicht vereinbart gewesen. Sollte die Klägerin tatsächlich mehr gearbeitet haben, sei dies nicht auf Veranlassung der Beklagten erfolgt.

BAG: Auch nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer haben Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn

Das Landes­a­r­beits­gericht hat der Klage überwiegend entsprochen und ist im Wege einer Schätzung von einer Arbeitszeit von 21 Stunden kalendertäglich ausgegangen. Hiergegen richten sich die Revision der Beklagten und die Anschluss­re­vision der Klägerin mit Erfolg. Das Berufungs­gericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 20 iVm. § 1 MiLoG auch ausländische Arbeitgeber trifft, wenn sie Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden. Hierbei handelt es sich um Eingriffsnormen iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gelten, ob ansonsten auf das Arbeits­ver­hältnis deutsches oder ausländisches Recht Anwendung findet.

Vortrag der Parteien nicht umfassend gewürdigt

Die Revision der Beklagten rügt jedoch mit Erfolg, das Berufungs­gericht habe ihren Vortrag zum Umfang der geleisteten Arbeit nicht ausreichend gewürdigt und deshalb unzutreffend angenommen, die tägliche Arbeitszeit der Klägerin habe unter Einschluss von Zeiten des Bereit­schafts­dienstes 21 Stunden betragen. Das Landes­a­r­beits­gericht hat zwar zu Recht in den Blick genommen, dass aufgrund des zwischen der Beklagten und der zu betreuenden Person geschlossenen Dienst­leis­tungs­vertrags eine 24-Stunden-Betreuung durch die Klägerin vorgesehen war. Es hat jedoch rechts­feh­lerhaft bei der nach § 286 ZPO gebotenen Würdigung des gesamten Parteivortrags den Hinweis der Beklagten auf die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Stunden/Woche nicht berücksichtigt, sondern hierin ein rechts­miss­bräuch­liches wider­sprüch­liches Verhalten gesehen. Das führt zur Aufhebung des Berufungs­urteils.

Auch Bereit­schaftszeit sind voll zu vergütet

Auch die Anschluss­re­vision der Klägerin ist begründet. Für die Annahme des Landes­a­r­beits­ge­richts, die Klägerin habe geschätzt täglich drei Stunden Freizeit gehabt, fehlt es bislang an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten, so dass auch aus diesem Grund das Urteil des Landes­a­r­beits­ge­richts aufzuheben ist. Die Sache war an das Berufungs­gericht zurück­zu­ver­weisen, um insoweit den Sachverhalt weiter aufzuklären, den Vortrag der Parteien umfassend zu würdigen und festzustellen, in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereit­schafts­dienst leisten musste und wie viele Stunden Freizeit sie hatte. Dass die Klägerin mehr als die im Arbeitsvertrag angegebenen 30 Stunden/Woche zu arbeiten hatte, dürfte - nach Aktenlage - nicht fernliegend sein.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (pm/ab)

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