21.11.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil19.04.2012

Zukleben von Kindermündern mit Tesafilm berechtigt zu einer ordentlichen LehrerkündigungAbmahnung wegen schwerwiegenden Pflich­ten­verstoß nicht erforderlich

Klebt eine Grund­schul­lehrerin zu Diszi­pli­na­r­z­wecken die Münder ihrer Schüler zu, so darf der Arbeitgeber das Arbeits­ver­hältnis ordentlich kündigen. Dies hat das Bundes­a­r­beits­gericht entschieden.

Im zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Klägerin war beim beklagten Land als Lehrerin angestellt. Während einer Unter­richts­stunde hat die Klägerin zwei Schülern den Mund mit einem durchsichtigen Tesafilm zugeklebt. Das beklagte Land war der Meinung es habe eine unzulässige Erziehungsmaßnahme vorgelegen und kündigte daher das Arbeits­ver­hältnis fristgemäß. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin Kündi­gungs­schutzklage. Sie meinte, das Zukleben der Münder geschah nicht zu Diszi­pli­na­r­z­wecken, sondern scherzhaft. Sie habe sogar auf Wunsch der Schüler das Zukleben wiederholt. Alle Schüler hätten die Angelegenheit als Spaß empfunden. Beide Vorinstanzen gaben der Klage statt. Daraufhin legte das beklagte Land Revision gegen das Urteil des Landes­a­r­beits­ge­richts Sachsen-Anhalt ein.

Zukleben der Münder als Erzie­hungs­maßnahme unzulässig

Das Bundes­a­r­beits­gericht sah in dem Zukleben der Schülermünder mit Tesafilm zu Diszi­pli­nie­rungs­zwecken einen geeigneten Grund zur fristgemäßen, ordentlichen Kündigung. Denn in einem solchen Fall liege ein massiver Verstoß gegen die Pflichten einer Erzieherin vor. Es bedürfe in Anbetracht eines so schwerwiegenden Pflich­ten­ver­stoßes auch keiner vorherigen Abmahnung.

In dem Zukleben eines Kindermundes liege nach Auffassung des Bundes­a­r­beits­ge­richtes eine entwürdigende Maßnahme. Die Kinder werden dadurch zum Gespött anderer Personen, insbesondere von Freunden und Klassen­ka­meraden. Sie seien deren Verachtung ausgesetzt. Damit werden die Selbstachtung und das Ehrgefühl des betroffenen Kindes erheblich beeinträchtigt. Zum Erzie­hungs­auftrag einer Grund­schul­lehrerin gehöre aber, dass die Schüler zur Achtung der Würde des Menschen, zur Selbst­be­stimmung, zur Anerkennung und Bindung an ethische Werte, zum verant­wort­lichen Gebrauch der Freiheit und zu friedlicher Gesinnung zu erziehen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 SchulG LSA). Danach stelle das Zukleben eines Schülermundes kein zulässiges Erzie­hungs­mittel dar.

Objektiver Maßstab ist anzuwenden

Weiterhin sei nach Ansicht des Bundes­a­r­beits­ge­richtes zu beachten, dass es nicht darauf ankomme, ob die entwürdigende Maßnahme vom betroffenen Kind tatsächlich als Verletzung aufgefasst und gefühlt oder ob sie als "spaßig" empfunden werde. Entscheidend sei vielmehr die objektive Eignung als entwürdigend.

Endgültige Entscheidung war nicht möglich

Das Bundes­a­r­beits­gericht verwies die Sache zur neuen Entscheidung an das Landes­a­r­beits­gericht Sachsen-Anhalt zurück. Die Klägerin habe den Sachverhalt anders geschildert als das beklagte Land und es sei nicht ersichtlich gewesen welchen der beiden Gesche­hens­a­bläufe das Landes­a­r­beits­gericht Sachsen-Anhalt seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe. Dies sei aber wegen § 559 Abs. 1 und 2 ZPO erforderlich.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)

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