21.11.2024
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Bundesarbeitsgericht Urteil18.03.2015

Alkohol­abhängig­keits­bedingte Arbeits­un­fä­higkeit ist in der Regel nicht als Verschulden im Sinne des Ent­gelt­fort­zahlungs­rechts anzusehenAlkoho­l­ab­hän­gigkeit ist als Krankheit einzustufen

Eine Arbeits­un­fä­higkeit ist nur dann verschuldet i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Nur dann verliert er seinen Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung. Bei einem alkoho­l­ab­hängigen Arbeitnehmer fehlt es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­arbeits­gerichts hervor.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist eine gesetzliche Krankenkasse. Der alkoho­l­ab­hängige Herr L., der Mitglied der klagenden Krankenkasse ist, war seit dem Jahr 2007 bis zum 30. Dezember 2011 Arbeitnehmer der beklagten Arbeitgeberin. Herr L. wurde am 23. November 2011 mit einer Alkohol­ver­giftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugs­the­rapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen. Die Klägerin leistete an Herrn L. für die Zeit vom 29. November bis zum 30. Dezember 2011 Krankengeld in Höhe von 1.303,36 Euro.

Beklagte verneint Verschulden seitens des Kranken­kas­sen­mit­glieds

Die Klägerin macht in dieser Höhe Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) gegenüber der Beklagen geltend. Sie ist der Auffassung, dass gegen die Beklagte ein Entgelt­fort­zah­lungs­an­spruch bestanden habe, da es an einem Verschulden des Herrn L. für seinen Alkoholkonsum am 23. November 2011 fehle. Die Beklagte ist der Ansicht, ein Verschulden sei bei einem Rückfall nach mehrfachem stationärem Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung zu bejahen.

Verschulden des Arbeitnehmers an Rückfall nach Rehabi­li­ta­ti­o­ns­maßnahme kann nicht generell ausgeschlossen werden

Arbeitsgericht und Landes­a­r­beits­gericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Bundes­a­r­beits­gericht keinen Erfolg. Bei einer Alkoholabhängigkeit handelt es sich um eine Krankheit. Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoho­l­ab­hän­gigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgelt­fort­zah­lungs­rechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unter­schied­lichen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabi­li­ta­ti­o­ns­maßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden.

Gutachten schließt Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf langjährige und chronische Alkoho­l­ab­hän­gigkeit im vorliegenden Fall aus

Der Arbeitgeber kann deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht hat dann ein medizinisches Sachver­stän­di­gen­gut­achten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft i.S.d. § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat. Lässt sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, geht dies zulasten des Arbeitgebers. Das im konkreten Fall eingeholte sozial­me­di­zi­nische Gutachten hat ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoho­l­ab­hän­gigkeit und den daraus folgenden "Suchtdruck" ausgeschlossen.

*§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG lautet:

Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgelt­fort­zahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeits­un­fä­higkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht/ra-online

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