21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen einen Schreibtisch mit einem Tablet, einer Kaffeetasse und einem Urteil.
ergänzende Informationen

Anwaltsgerichtshof NRW Urteil28.04.2017

Anstellung im öffentlichen Dienst: "Staatsnähe" rechtfertigt Versagung der Rechts­anwalts­zulassungTätigkeit beim Jobcenter mit Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar

Der Anwalts­ge­richtshof des Landes Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass eine Juristin, die juristische Aufgaben aus dem Bereich der Geschäfts­führung bei einem - von der Agentur für Arbeit und einer Kommune getragenen - Jobcenter Arbeit und Grundsicherung wahrnimmt und das Jobcenter u. a. in gerichtlichen Verfahren vertritt, bereits nicht als Rechtsanwältin und damit auch nicht als Syndikus­rechts­anwältin zugelassen werden kann.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die beigeladene Juristin, seit 2006 zugelassene Rechtsanwältin, beantragte im Jahre 2016 ihre Zulassung als Syndi­kus­rechts­an­wältin. Seit einigen Jahren ist sie bei einer städtischen Tochter­ge­sell­schaft, welche Aufgaben der kommunalen Beschäftigung wahrnimmt, angestellt. Aufgrund einer Abordnung wird die Juristin beim Jobcenter Arbeit und Grundsicherung der im Rheinland gelegenen Stadt tätig. Dort ist sie - so ihre Tätig­keits­be­schreibung - bei fachlicher Unabhängigkeit in den Bereich der Geschäfts­führung eingegliedert, klärt Rechtsfragen aus den Bereichen des Zivil- und Sozialrechts und setzt die sich daraus ergebenden Konsequenzen im Jobcenter um. Zugleich berät sie die Geschäfts­führung in Beschäf­ti­gungs­fragen, verhandelt und gestaltet Dienst­ver­ein­ba­rungen sowie Miet-, Reinigungs-, Beratungs- und Versi­che­rungs­verträge. Gegebenenfalls verhandelt sie mit Unternehmen und schließt außer­ge­richtliche Vergleiche. Zudem vertritt sie im Interesse des Jobcenters Fälle von dessen Kunden außer­ge­richtlich und gerichtlich, etwa in Mietsachen vor dem Amtsgericht oder in sozia­l­recht­lichen Belangen vor dem Verwal­tungs­gericht.

Deutsche Renten­ver­si­cherung sieht Voraussetzungen für Zulassung als Syndi­ku­s­an­wältin nicht erfüllt

Im August 2016 entschied die im vorliegenden Verfahren beklagte Rechts­an­walts­kammer für den Oberlan­des­ge­richts­bezirk Köln, die Beigeladene als Syndi­kus­rechts­an­wältin zuzulassen. Gegen diesen Bescheid klagte die Deutsche Renten­ver­si­cherung aus Berlin, die die Auffassung vertrat, dass die Beigeladene die Voraussetzung für diese Zulassung nicht erfülle.

Zulassung zur Rechts­an­walt­schaft wäre bereits ebenso zu versagen

Die Klage war im Ergebnis erfolgreich. Der Beigeladenen wäre, so der Anwalts­ge­richtshof des Landes Nordrhein-Westfalen, bereits die Zulassung zur Rechts­an­walt­schaft zu versagen. Bereits deswegen könne sie nicht als Syndi­kus­rechts­an­wältin zugelassen werden (In dem vor dem Anwalts­ge­richtshof anhängigen Verfahren war nur über die Zulassung zur Syndi­kus­rechts­an­wältin zu befinden). Die Beigeladene übe derzeit Tätigkeiten aus, so der Anwalts­ge­richtshof, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, nicht vereinbar sein. Deswegen liege ein Grund vor, ihr bereits die Zulassung zur Rechts­an­walt­schaft zu versagen.

Zusätzlich ausgeübter Beruf darf Ansehen der Rechts­an­walt­schaft nicht in Mitleidenschaft ziehen

Ein Rechtsanwalt könne zwar verschiedene Berufe wählen und nebeneinander ausüben. Dabei müsse allerdings die Funkti­o­ns­fä­higkeit der Rechtspflege gewahrt bleiben. Ein weiterer Beruf dürfe das Ansehen der Rechts­an­walt­schaft nicht in Mitleidenschaft ziehen. Für das rechtsuchende Publikum dürften keine Zweifel an der Unabhängigkeit und Kompetenz des Rechtsanwalts entstehen. Die Anstellung eines Anwalts im öffentlichen Dienst könne wegen einer damit verbundenen "Staatsnähe" mit dem Berufsfeld der freien Advokatur nicht zu vereinbaren sein. Zu beurteilen sei dies nach den Umständen des Einzelfalls.

Tätigkeitsfeld beim Jobcenter mit Tätigkeit eines unabhängigen Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren

Vorliegend sei das Tätigkeitsfeld der Beigeladenen bei der außer­ge­richt­lichen und gerichtlichen Vertretung des Jobcenters in den Fällen der Kunden mit der Tätigkeit eines unabhängigen Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren. So vertrete sie beispielsweise das Jobcenter in Mietstrei­tig­keiten vor dem Amtsgericht und sozia­l­recht­lichen Streitigkeiten vor dem Verwal­tungs­gericht. Dabei könne sie auch selbständig Vergleiche abschließen. Den Umfang dieser außer­ge­richt­lichen und gerichtlichen Tätigkeit beziffere sie mit ca. 10-15 % ihrer Arbeitsleistung.

Angestell­ten­ver­hältnis im öffentlichen Dienst mit Tätigkeit eines Rechtsanwalts grundsätzlich nicht vereinbar

Insbesondere diese Tätigkeit sei geeignet, in den Augen der Rechtsuchenden das Bild eines unabhängigen Rechtsanwalts zu beeinträchtigen. Grundsätzlich sei ein Angestell­ten­ver­hältnis im öffentlichen Dienst mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren, wenn das Angestell­ten­ver­hältnis die Repräsentation einer staatlichen Stelle nach außen mit sich bringe. Dann werde der Rechtsanwalt zugleich als "behördlicher Repräsentant" wahrgenommen und erwecke den Eindruck, er könne aufgrund dieser herausgehobenen Stellung mehr bewirken als andere, von staatlichen Stellen unabhängige Rechtsanwälte.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil24725

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI