18.10.2024
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Amtsgericht München Urteil28.06.2018

Schlag­zeug­spielen in Eigen­tums­wohnung kann auf bestimmte Zeiten begrenzt werdenMusizieren in der eigenen Wohnung ist Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zuzurechnen und kann daher nicht gänzlich untersagt werden

Das Amtsgericht München hat entschieden, dass einem Wohnungs­ei­gentümer das Schlag­zeug­spielen nicht gänzlich untersagt werden kann, da das Musizieren in der eigenen Wohnung dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zuzurechnen ist. Um die Interessen anderer Hausbewohner an möglichst ungestörter Ruhe zu wahren, kann das Schlag­zeug­spielen aber auf Zeiten zwischen 9 und 20 Uhr an sonn- und feiertäglich auf höchstens eine, ansonsten auf zwei Stunden begrenzt werden. Zudem kann eine Mittagspause von 13 bis 15 Uhr einzuhalten sein.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die klagende Nachbarin, die in der Regel von Montag bis Donnerstag von 8 bis 18.30 Uhr außer Haus arbeitet, wohnt im zweiten Obergeschoss des Mehrfa­mi­li­en­hauses, das beklagte Ehepaar zusammen mit seinem Sohn eine Erdge­schoss­wohnung mit einem über eine Wendeltreppe erreichbaren Hobbyraum. In dem Haus gibt es keine Hausordnung. Die Gemein­schafts­ordnung enthält eine allgemeine Gebrauchs­re­gelung, dass die im Sondereigentum stehenden Räume nur in einer Weise genutzt werden dürfen, die nicht die Rechte der übrigen Eigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigen dürfen. Weiter dürfen die Wohnungen nur für Wohnzwecke verwendet werden. Der Sohn der Beklagten studiert Schlagzeug und hat als Mitglied einer professionellen Jazzband sein Schlagzeug in dem Hobbyraum der Beklagten aufgestellt.

Nachbarin verlangt gänzliches Unterlassen des Schlag­zeug­spielens

Die Klägerin trug vor, dass es sich bei dem Schlag­zeug­spielen um eine gewerbliche Tätigkeit handele, die in der Wohnung nicht erlaubt sei. Sowohl die Monotonie des Schlagzeugs als auch dessen Lautstärke seien für die Klägerin unerträglich belastend. Der Sohn der Beklagten halte sich an keine Ruhezeiten, er spiele zu sämtlichen Tageszeiten, selbst an Samstagen wie Sonn- und Feiertagen. Sie verlangte, das Schlagzeugspiel gänzlich zu unterlassen.

Beklagten halten völliges Untersagen des Musizierens für unzulässig

Die Beklagten trugen vor, dass zwischen Hobbyraum und der Wohnung der Klägerin zwei Vollgeschosse lägen. Der Hobbyraum sei mehrfach schal­li­so­lierend ausgekleidet, eine erhebliche Beein­träch­tigung der Klägerin deswegen ausgeschlossen. Aufgrund seines Studiums müsse der Sohn täglich üben. Das Schlagzeugspiel sei eine körperliche Tätigkeit, die einen hohen Fitnessgrad voraussetze. Dieser könne wie die Finger­fer­tigkeit und Profes­si­o­nalität des Spiels nur durch tägliches Training beibehalten werden. Musizieren sei innerhalb der eigenen Wohnung ein sozial übliches Verhalten und dürfe nicht völlig untersagt werden, sondern könne im Interesse anderer Hausbewohner allenfalls zeitlich beschränkt werden.

Grenzen zumutbaren Lärms um zwei bis vier Dezibel überschritten

Der vom Gericht beauftragte Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Grenzen zumutbaren Lärms nach der bei Errichtung des Hauses geltenden DIN 4109 von dreißig Dezibel um zwei bis vier Dezibel überschritten werden.

AG: Völliges Verbot kann nicht ausgesprochen werden

Das Amtsgericht München gab der Klage teilweise statt. Ein vollständiges Musikverbot käme aber nur aufgrund schwerwiegender, nach dem Empfinden eines verständigen Durch­schnitts­menschen nicht mehr hinnehmbarer Störung in Betracht. Eine solche schwerwiegende Störung liege aber nicht vor, denn zwischen dem Hobbyraum, in dem Schlagzeug gespielt wird und der Wohnung der Klägerin liegen doch zwei Vollgeschosse und die Wohnung der Klägerin sei auch noch seitlich versetzt, so dass die Geräusche nicht in vollem Maße bei der Klägerin ankämen, sondern gedämpft. Ein völliges Verbot könnte deshalb hier nicht ausgesprochen werden.

Ausübung von Musik bilden wesentlichen Teil des Lebensinhalts

Auch bei professionell ausgeübtem Musizieren könne ein Musizieren grundsätzlich nicht vollständig verboten werden, zumal dies auch einen unerlaubten Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit bedeuten würde. Außerdem betreibe der Sohn der Beklagten keinen Gewerbebetrieb, der in der Wohnung, die nur zu Wohnzwecken dient, nicht betrieben werden dürfte. Ein Musizieren könne deshalb als freiberufliche Tätigkeit gewertet werden, die, wenn sie so wie hier untergeordnet ist, auch in Wohnungen ausgeübt werden darf. Sind bei Musizieren mit Instrumenten trotz schalldämmender Maßnahmen Geräu­sch­be­läs­ti­gungen in benachbarten Wohnungen nicht völlig auszuschließen, stehe das Interesse des einen Wohnungs­in­habers an der Musikausübung dem des anderen an ungestörter Ruhe gegenüber. Dabei dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die Ausübung von Musik einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bilden und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude sein kann und dass das Musizieren in der eigenen Wohnung zum Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu rechnen sei. Andererseits müsse beachtet werden, dass die eigene Wohnung die Möglichkeit zum Leben mit der Familie, zur Entspannung und Erholung und zur häuslichen Arbeit eröffnen, mithin auch die jeweils notwendige, von Umwelt­ge­räuschen möglichst ungestörte Ruhe bieten soll. Zu berücksichtigen seien hier auch die Interessen des Sohnes der Beklagten, der vor allem am Wochenende einen Übungsraum benötige, weil er nur meistens am Wochenende, (mit Ausnahme der Semesterferien) zu Hause sei, so dass ein völliger Ausschluss des Schlag­zeug­spielens an Sonn- und Feiertagen nicht zulässig wäre und dem Sohn deshalb die Ausübung des Schlag­zeug­spielens für eine Stunde erlaubt sein soll (mit Ausnahmen der Ruhezeiten).

Quelle: Amtsgericht München/ra-online (pm/kg)

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