21.11.2024
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Dokument-Nr. 8329

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Beschluss14.08.2009Verwaltungsgericht Stuttgart13 K 511/09
Vorinstanz:
  • Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil31.05.2005, 16 K 1121/05
ergänzende Informationen

Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss14.08.2009

Feinstaub: Land Stuttgart muss Aktionsplan vorlegenImmis­si­ons­über­schrei­tungen müssen schrittweise auf ein Minimum reduziert werden

Das Land Baden-Württemberg muss seiner Verpflichtung einen Aktionsplan mit geeigneten Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit laut Bunde­s­im­mis­si­ons­schutz­ver­ordnung bis zum 28. Februar 2010 nachkommen. Sollte dies nicht geschehen, muss das Land ein Zwangsgeldes in Höhe von 5.000 EUR zahlen. Dies hat das Verwal­tungs­gericht Stuttgart entschieden.

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart hatte das Land Baden-Württemberg in seinem rechtskräftigen Urteil vom 31. Mai 2005 verurteilt, für das Gebiet der Landes­hauptstadt Stuttgart (Gefahrengebiet) einen Aktionsplan aufzustellen und damit der Klage von zwei Stuttgarter Einwohnern stattgegeben. Der Aktionsplan hatte laut dem Tenor des damaligen Urteils festzulegen, welche geeigneten Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit im Gefahrengebiet kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung des in der 22. Bunde­s­im­mis­si­ons­schutz­ver­ordnung festgelegten Tages­mit­tel­wertes von 50 µ/m³ für Feinstaub (Partikel PM 10) - bei zugelassenen 35 Überschrei­tungen je Kalenderjahr - zu verringern oder den Zeitraum, währenddessen der erwähnte Wert überschritten wird, zu verkürzen. Zum 01. Januar 2006 setzte das Regie­rungs­prä­sidium Stuttgart den Teilplan Stuttgart in Kraft, in dem insgesamt 36 Maßnahmen festgelegt wurden.

Bisherige Anordnungen können nicht als Maßnahmen eines Aktionsplanes eingestuft werden

Am 11. Februar 2009 haben die Kläger des damaligen Verfahrens beim Verwal­tungs­gericht beantragt, dem Land Baden-Württemberg zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus dem Urteil vom 31. Mai 2005 eine Frist zu setzen und ein Zwangsgeld für den Fall anzudrohen, dass es seiner Verpflichtung innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt. Sie machen in dem vorliegenden Vollstre­ckungs­ver­fahren geltend, dass der zum 1. Januar 2006 in Kraft gesetzte Luftreinhalte-/ und Aktionsplan diese Bezeichnung zu Unrecht trage. Der Plan lege keine Maßnahmen fest, die als Maßnahmen eines Aktionsplanes eingestuft werden könnten. Das Land sei daher seiner Verpflichtung aus dem rechtskräftigen Urteil nicht nachgekommen. Dieser Rechts­auf­fassung ist das Gericht gefolgt. Bei den zwischen den Beteiligten streitigen Maßnahmen handele es sich nicht um Aktio­ns­plan­maß­nahmen.

Maßnah­men­katalog muss zunächst die Anordnungen enthalten, die bei Überschreitung von Immis­si­ons­grenz­werten sofort zu ergreifen sind

In den Gründen seiner Entscheidung hat das Gericht dargelegt, dass die zuständige Planbehörde im Maßnah­men­katalog eines Aktionsplanes diejenigen Maßnahmen festzulegen habe, die bei einer bestehenden Gefahr der Überschreitung der festgelegten Immis­si­ons­grenzwerte kurzfristig - und damit umgehend - zu ergreifen seien, um die Gefahr der Überschreitung der genannten Grenzwerte zu verringern oder den Zeitraum der Überschreitung zu verkürzen. Dabei müssten die Maßnahmen eines Aktionsplanes mit sofortiger Wirkung greifen, wenn sich die Gefahr der Überschreitung im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aktionsplanes bereits realisiert habe und dies der Planbehörde auf Grund vorliegender Messdaten auch bekannt sei. Da dem Regie­rungs­prä­sidium auf Grund der vorliegenden Messergebnisse bereits vor der Aufstellung des Aktionsplanes bekannt gewesen sei, dass die seit dem 1. Januar 2005 verbindlichen Grenzwerte an allen Messpunkten im Plangebiet schon im Kalenderjahr 2004 ganz erheblich überschritten gewesen seien und absehbar gewesen sei, dass sich dies auch in den Folgejahren wiederholen würde, habe es die Verpflichtung getroffen, sicherzustellen, dass die Maßnahmen so schnell wie möglich umgesetzt bzw. durchgeführt werden würden. Es könnten deshalb nur diejenigen Maßnahmen des Teilplanes Stuttgart als Aktio­ns­plan­maß­nahmen eingestuft werden, deren Umsetzung vom Regie­rungs­prä­sidium entweder bereits zum 1. Januar 2006 (Inkrafttreten des Planes) verlangt worden seien oder deren Durchführung zumindest noch im laufenden Kalenderjahr 2006 erfolgt seien. Die Maßnahme M 2, die ein ganzjähriges Fahrverbot im Stadtgebiet Stuttgart - erst - ab dem 01. März 2008 für Kraftfahrzeuge der Schad­s­toff­gruppe 1 nach der Kennzeich­nungs­ver­ordnung vorsehe, könne damit aber bereits deshalb nicht als Aktio­ns­plan­maßnahme eingestuft werden. Die Maßnahme M 2 sei im Übrigen im Zeitpunkt ihres tatsächlichen Inkrafttretens auch keine geeignete Maßnahme mehr gewesen, weil von ihr in Stuttgart zum 01. März 2008 nur noch ca. 3.300 Fahrzeuge tatsächlich betroffen gewesen seien. Damit liege ihr Wirkungsgrad nur noch bei bis maximal 1 Verkürzungstag pro betroffenem Straße­n­ab­schnitt bzw. 2 bis maximal 4 rechnerisch belegbaren Verkür­zungstagen im gesamten Plangebiet. Dies sei im Verhältnis zum Gesamt­über­schrei­tungs­zeitraum von durch­schnittlich 287 Überschrei­tungstagen pro Jahr so vernach­läs­sigbar gering, dass die Maßnahme nicht (mehr) geeignet sei, eine nennenswerte Verbesserung der Luftqualität zu bewirken.

Maßnahmen müssen zur dauerhaften Verringerung von Überschrei­tungen führen

Das Gericht führt weiter aus, dass Aktio­ns­plan­maß­nahmen zudem auch dauerhaft geeignet sein müssen, die Überschrei­tungs­gefahr zu verringern. Sie müssten hierzu zeitlich unbefristet wirksam bleiben, wenn die bereits eingetretenen Überschrei­tungen - wie hier - erheblich seien und der prognostizierte Wirkungsgrad der festgesetzten Aktio­ns­plan­maß­nahmen nicht erwarten lasse, dass diese die Grenz­wert­über­schrei­tungen und Überschrei­tungs­zeiträume in absehbarer Zeit auf das zulässige Maß reduzieren würden. Aus diesem Grund könne die Maßnahme M 1, das ganzjährige Lkw-Durch­fahrts­verbot, nicht als Aktio­ns­plan­maßnahme eingestuft werden, da dieses zeitlich begrenzt gewesen sei (1.März 2008). Das Lkw-Durch­fahrts­verbot sei aber eine kurzfristig ergriffene Maßnahme gewesen, welche auch grundsätzlich geeignet gewesen sei. Die Tatsache, dass das Lkw-Durch­fahrts­verbot nach Einschätzung der Sachver­ständigen keine flächendeckende Verbesserung der Luftqualität im Plangebiet bewirkt habe, rechtfertige im Hinblick auf die Geeignetheit keine andere Beurteilung. Denn den gesetzlichen Regelungen könne nicht entnommen werden, dass Aktio­ns­plan­maß­nahmen flächendeckend wirken müssten. Gerade in Plangebieten mit sehr unter­schied­lichen Luftschad­s­toff­kon­zen­tra­tionen - wie hier - könne es nicht nur ausreichend, sondern mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit sogar geboten sein, nur Aktio­ns­plan­maß­nahmen festzulegen, die lediglich auf eine Verbesserung der Luftqualität in besonders stark belasteten Bereichen des Plangebietes abzielten und daher nur räumlich beschränkt wirkten (wie z.B. Fahrverbote, die auf bestimmte Fahrzeuggruppen und besonders stark belastete Straße­n­ab­schnitte beschränkt seien).

Maßnahmen hinsichtlich öffentlicher Verkehrsmittel sind nicht Teil des Aktionsplans

Bei den Maßnahmen M 5 (Einführung einer Umweltfahrkarte im Gebiet des Verkehrs­ver­bundes Stuttgart - VVS) und M 10 (Umstellung der Busflotte der Stuttgarter Straßenbahnen AG - SSB) handele es sich bereits deshalb um keine Aktio­ns­plan­maß­nahmen, weil für ihre Durchführung private Dritte zuständig seien und das Regie­rungs­prä­sidium die kurzfristige Umsetzung der Maßnahmen gegenüber diesen nicht rechts­ver­bindlich sichergestellt habe.

Bedenken des Gerichts hinsichtlich einiger Maßnahmen

Gegen die Einstufung der Maßnahme M 21 (Optimierung des Verkehrsflusses im Bereich Neckartor, Heilmannstraße) als Aktio­ns­plan­maßnahme bestünden erhebliche Bedenken. Diese seien von der Stadt Stuttgart als Träger der kommunalen Straßenbaulast durchgeführt worden und das Regie­rungs­prä­sidium habe bislang nicht ausreichend dargelegt, durch welche eigenen Aktivitäten es die in M 21 umschriebene „Optimierung“ tatsächlich selbst veranlasst habe. Selbst wenn jedoch das Land noch den Nachweis führen könnte, dass es sich bei der Maßnahme M 21 um eine geeignete Aktio­ns­plan­maßnahme gehandelt habe, wäre es mit dieser sodann bislang einzigen Aktio­ns­plan­maßnahme im Teilplan Stuttgart seiner Verpflichtung aus dem Urteil vom 31.05.2005 nicht nachgekommen.

Überschrei­tungs­zeiträume müssen auf zulässiges Maß gekürzt werden

In Fällen der vorliegenden Art, in denen nicht mehr nur die Gefahr der Überschreitung von Immis­si­ons­grenz­werten bestehe, sondern solche Überschrei­tungen bereits eingetreten seien, bestehe das Ziel des Aktionsplanes und der darin festgelegten Maßnahmen regelmäßig darin, die Überschrei­tungs­zeiträume möglichst auf das zulässige Maß (hier: 35 Überschrei­tungstage) zu verkürzen. Dieses Ziel des Aktionsplanes dürfte nur in seltenen Ausnahmefällen mit einer einzigen Aktio­ns­plan­maßnahme, in Fällen der vorliegenden Art mit zum Teil hohen Grenz­wert­über­schrei­tungen und langen Überschrei­tungs­zeit­räumen in der Regel jedoch nur mit einer Mehrzahl von Maßnahmen zu erreichen sein.

Dem Vollstre­ckungs­antrag sei deshalb stattzugeben und dem Land unter Androhung eines Zwangsgeldes eine Frist zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus dem Urteil zu setzen. Bei der Bemessung der Frist sei berücksichtigt worden, dass das Land für den Fall, dass es die fehlenden Nachweise in Bezug auf die Maßnahme M 21 nicht erbringen könne, mindestens zwei Aktio­ns­plan­maß­nahmen festlegen müsse, um seiner Verpflichtung aus dem Urteil nachzukommen. Sollte sich das Land dabei für eine Wieder­ein­führung des Lkw-Durch­fahrts­verbots (entspr. Maßnahme M 1) entscheiden, werde zu berücksichtigen sein, dass diese Maßnahme nach bisheriger Einschätzung der Sachver­ständigen im Bereich der Messpunkte Stuttgart-Mitte-Straße, Neckartor, Hohenheimer Straße und Waiblinger Straße zu keiner Verkürzung der Überschrei­tungs­zeiträume führe und der Maßnahme nur wegen ihrer Wirksamkeit im Bereich des Messpunktes Siemensstraße eine Eignung als Aktio­ns­plan­maßnahme habe bescheinigt werden können. Mit der Wieder­ein­führung des Lkw-Durch­fahrts­verbotes könnte das Land daher zwar seiner Verpflichtung aus dem genannten Urteil teilweise nachkommen, die anschließende Geltendmachung eines Planer­gän­zungs­an­spruches von unmittelbar betroffenen Bewohnern im Bereich Neckartor jedoch nicht verhindern. Denn bei der gesetzlichen Verpflichtung zur Aufstellung eines Aktionsplanes handele es sich im Gegensatz zu der (einmaligen) Verpflichtung aus dem Urteil vom 31. Mai 2005 um eine dynamische Schutz­ver­pflichtung der Planbehörde. Dies bedeute, dass diese zwar nicht verpflichtet sei, Maßnahmen dahingehend zu ergreifen, dass es zu keinerlei Überschrei­tungen der Immis­si­ons­grenzwerte mehr komme. Sie sei jedoch verpflichtet, die Überschrei­tungen schrittweise auf ein Minimum zu reduzieren. Mit dieser dynamischen Verpflichtung der Planbehörde korrespondiere ein entsprechender Rechtsanspruch auf die Erstellung von Aktionsplänen bzw. Planergänzung von Bewohnern des Plangebiets, die von Grenz­wert­über­schrei­tungen und den damit einhergehenden Gesund­heits­be­ein­träch­ti­gungen unmittelbar betroffen seien. Sollte das Land deshalb zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus dem Urteil vom 31. Mai 2005 im Rahmen seines Auswah­ler­messens neben der möglichen Wieder­ein­führung des Lkw-Durch­fahrts­verbots auch bereits Maßnahmen in Betracht ziehen wollen, mit denen es zugleich potenziellen Planer­gän­zungs­ansprüchen entgegenwirken könnte, werde es für die im Plangebiet auch nach den aktuellen Messdaten weiterhin am stärksten belasteten Straße­n­ab­schnitte in erster Linie weitergehende Fahrverbote in Betracht ziehen müssen, weil für die dortigen Grenz­wert­über­schrei­tungen der Straßenverkehr mit Anteilen zwischen 44 und 65 % die größten Verur­sa­chungs­beiträge leiste. Dabei wäre auch eine räumliche Begrenzung der in Betracht kommenden Fahrverbote auf die besonders belasteten Bereiche rechtlich ohne weiteres zulässig und diese Möglichkeit folglich auch bei der im Rahmen der Auswah­l­ent­scheidung vorzunehmenden Gewichtung der wider­strei­tenden Interessen zu berücksichtigen. Das baden-württem­ber­gische Straßenrecht schütze ein Vertrauen des Bürgers, eine öffentliche Straße auf Dauer und ohne Beschränkungen nutzen zu dürfen, grundsätzlich nicht. Darüber hinaus dürfte ein solches Vertrauen einzelner Bürger, mit einem nicht dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Altfahrzeug jederzeit und ausnahmslos alle Straßen im Geltungsbereich eines Luftreinhalte- und Aktionsplanes uneingeschränkt benutzen zu dürfen, jedenfalls dann auch grundsätzlich nicht schützwürdig sein, wenn hierdurch in besonders belasteten Bereichen des Plangebiets die Gesundheit unmittelbar betroffener Anwohner beeinträchtigt werde.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 19.08.2009

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