21.11.2024
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Amtsgericht München Urteil06.06.2018

Fehlender deutlicher Hinweis auf Fahrzeiten über Nacht berechtigt Fernbusreisende zur Kündigung des ReisevertragesNächtliche Zustiegs­mög­lichkeit an einer mehr als 20 Kilometer vom Wohnort entfernten Tankstelle vor allem für ältere Reisende nicht zumutbar

Das Amtsgericht München hat entschieden, dass Fernbusreisende, denen kein hinreichend deutlicher Hinweis auf Fahrzeiten über Nacht gegeben wurde, zur Kündigung des Reisevertrages berechtigt sind.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Falls buchte für sich und ihren Ehemann eine Busreise an die Côte d'Azur für den Zeitraum 17. bis 25. Oktober 2016, bezahlte 1.394 Euro und erhielt eine Buchungs­be­stä­tigung vom 15. Juni 2016. Im Reiseprospekt war angekündigt worden, dass man die Reisenden an "Zustiegs­mög­lich­keiten in der Nähe ihres Wohnortes" abholen würde. Mit Anschreiben vom 29. September 2016 erhielt die Klägerin Reisedokumente, aus denen sich erstmals ergab, dass der Zustieg der Klägerin am 17. Oktober 2016 um 23.45 Uhr an einer Tankstelle in Gießen erfolgen sollte. Daraufhin teilte die Klägerin der Beklagten durch Schreiben vom 1. Oktober 2016 mit, dass sie hiermit nicht einverstanden sei und forderte Abhilfe. Da die Beklagte hierzu nicht bereit war, kündigte die Klägerin am 14. Oktober 2016 den Reisevertrag und forderte die Beklagte zur Rückzahlung des Reisepreises auf. Der Klägerin wurden lediglich 10 % des Reisepreises zurückerstattet.

Kläger halten Reise­be­din­gungen für nicht zumutbar

Die Klägerin war der Auffassung, dass die daraufhin erfolgte Kündigung wirksam sei. Es sei der Klägerin nicht zuzumuten, die Reise um 23.45 Uhr mehr als 20 km von ihrer Wohnung entfernt an einer einsamen, unsicheren Stelle antreten, ihr Fahrzeug während der Reise dort stehen lassen und die Nächte der Hin- und Rückfahrt im Bus verbringen zu müssen. Dies sei vertraglich auch nicht so vereinbart gewesen.

Beklagte verweist auf Prospekt-Hinweis zu Reisezeiten

Die Beklagte ist der Auffassung, es sei der Klägerin durchaus zuzumuten, die Reise so anzutreten, wie von der Beklagten mitgeteilt. Auch sei dem Prospekt entnehmbar, dass die Busfahrten über Nacht stattfinden würden, da im Kleingedruckten darauf hingewiesen worden sei, dass sich in bestimmten Postleit­zahl­be­reichen, darunter der Postleit­zahl­bereich der Klägerin, bedingt durch die Länge der Busreise sich diese um zwei Tage verlängere.

AG bejaht Anspruch auf Erstattung des vollen Reisepreises

Das Amtsgericht München gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte zur Rückzahlung des vollen Reisepreises. Dies ergebe sich schon daraus, dass ein Reisevertrag nicht wirksam geschlossen worden sei, da eine Einigung über Abfahrtsort und -zeit nicht stattgefunden habe. Selbst wenn man das Zustandekommen eines Vertrages als wirksam ansehen und der Beklagten ein Bestim­mungsrecht hinsichtlich des Abfahrtsortes und der Abfahrtszeit zubilligen wollte, wäre dieses Recht nicht wirksam ausgeübt.

Abfahrt­be­din­gungen nicht zumutbar

Eine Zustiegsstelle an einer Tankstelle in einer Entfernung von mehr als 20 Kilometern vom Wohnort der Klägerin könne nicht mehr als in deren Nähe angesehen werden. Auch der Zeitpunkt um 23.45 Uhr liegt außerhalb eines eventuellen Ermes­sens­spiel­raumes. Auch wäre es nicht zumutbar, dort ein Fahrzeug über längere Zeit abstellen zu müssen.

Reiseprospekt zeigt keinen Hinweis auf Anreise über Nacht

Im Prospekt der Beklagten sei an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass die Anreise über Nacht erfolgen sollte, mit der zwingenden Folge, dass die Reisenden nicht in den Genuss kämen, während der Anreise die Landschaft genießen zu können. Darüber hinaus wären sie gezwungen, die weite Anfahrt von Wetzlar an die Côte d'Azur nachts in einem Reisebus zu verbringen. Es möge laut Gericht sein, dass diese Art und Weise zu Reisen bei gesunden, jungen und sparsamen Menschen beliebt sei, um Übernach­tungs­kosten zu sparen. Für ältere Herrschaften, wie die Klägerin und ihren Ehemann, stelle dies häufig eine Zumutung dar. Ohne einen - nicht erfolgten - deutlichen Hinweis auf diese Art der Reisegestaltung dürfe der durch­schnittliche Reisende erwarten, nicht auf diese Art und Weise transportiert zu werden. Dass diese Gestaltung der Reise nicht deutlich gemacht und allenfalls durch Schluss­fol­ge­rungen von potenziellen Vertrags­partnern erkannt werden könne, stelle einen Mangel des Prospekts dar. Dieser sei als Verschulden der Beklagen bei Vertragsschluss anzusehen und wie ein Mangel der Reise zu bewerten, der zur Kündigung berechtigte. Dies gelte umso mehr, als auf der dritten Seite des Prospekts der Beklagten unter "1. Tag: Anreise" am Ende vermerkt sei: "In einem schönen Küstenort nahe San Remo verbringen wir die ersten vier Nächte." Tatsächlich war jedoch geplant, die erste Nacht im Bus der Beklagten zu verbringen."

Quelle: Amtsgericht München/ra-online

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