18.10.2024
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Sie sehen Geld, auf dem das Wort „Insolvenz“ arrangiert wurde.

Dokument-Nr. 30352

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Amtsgericht München Urteil23.04.2021

Kein Schadensersatz bei Insolvenz der vom Reise­ver­an­stalter zunächst ausgewählten Flugge­sell­schaftVerspätungen bis zu vier Stunden als bloße Unannehm­lichkeit im Rahmen des Massentourismus entschä­di­gungslos hinzunehmen

Das Amtsgericht München wies die Klage eines Nürnberger Reisenden gegen eine Münchener Reise­ver­an­stalterin auf Zahlung von 800 Euro wegen Verspätung des Hinfluges ab.

Der Kläger und seine Ehefrau hatten bei der Beklagten eine Pauschalreise nach Ägypten für 2.508,00 Euro gebucht. Der Hinflug von Nürnberg nach Marsa Alam mit der Fluggesellschaft Small Planet Airlines GmbH war für den 02.10.2018 um 13.30 Uhr vorgesehen. Am 18.09.2018 ging die Flugfirma in Insolvenz. Der Hinflug erfolgte mit einer anderen Flugge­sell­schaft am 02.10.2018 erst um 22.15 Uhr, sodass der Kläger und seine Ehefrau das gebuchte Hotel erst um 6.00 Uhr erreichten.

Kläger begehrt Schadensersatz auf Grundlage von EU-Verordnung

Die Beklagte hatte vorgerichtlich an den Kläger 100,00 Euro gezahlt. Der Kläger trägt vor, dass für die Ehefrau aufgrund durch diese Strapaze verursachten Kreis­lauf­ver­sagens drei Tage lang der Hotelarzt aufs Zimmer habe kommen müssen und er sich um seine Frau kümmern musste. Nach der EU-Verordnung 261/2004 hätte er vom Flugunternehmen 800,00 Euro erhalten müssen, was infolge Insolvenz unmöglich geworden sei. Die Beklagte sei schaden­s­er­satz­pflichtig, weil sie als professionelles Touris­ti­k­un­ter­nehmen eine Fluglinie ausgewählt habe, die sich bekanntermaßen bereits in finanziellen Schwierigkeiten befunden habe.

Reise­ver­an­stalterin weist Vorwürfe von sich

Die Beklagte trägt vor, dass sie für die Insolvenz der Flugge­sell­schaft nicht einzustehen habe; deren wirtschaftliche Verhältnisse ihr nicht bekannt gewesen seien. Diese habe ihre Flüge immer zuverlässig durchgeführt. Es bestehe keine Pflicht des Reise­ver­an­stalters, dafür zu sorgen, dass Ansprüche aus der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung gegen die befördernde Flugge­sell­schaft durchsetzbar seien. Hinsichtlich der Flugverzögerung, für die allein die Beklagte hafte, seien die ersten vier Stunden als bloße Unannehm­lichkeit im Rahmen des Massentourismus entschä­di­gungslos hinzunehmen. Eine Minderung komme ab der fünften Verzö­ge­rungs­stunde, hier allenfalls für sechs Stunden in Betracht. Deswegen seien eigentlich lediglich 50,16 Euro geschuldet. Die Beklagte biete ihre Reisen nur für durch­schnittlich gesunde Reisende an. Dass die Ehefrau des Klägers aufgrund des Abwartens ein Kreis­lauf­versagen erlitten habe, sei als unwahr­scheinlich zu bestreiten. Grund sei wohl eher eine Vorerkrankung gewesen.

AG: Minde­rungs­an­spruch durch vorgerichtliche Regulierung hinreichend ausgeglichen

Die Richterin des AG München folgte in ihrem Urteil im Wesentlichen der Ansicht der Beklagten. Vorliegend war in dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Pauscha­l­rei­se­vertrag eine unverbindliche Abflugzeit für den Hinflug am 02.10.2018 um 13.30 Uhr angegeben. Eine Verschiebung der vorgesehenen Abflugzeiten ist im Rahmen des Massentourismus in gewissem Umfang als bloße Unannehm­lichkeit hinzunehmen. Verzögert sich der Abflug allerdings über eine Dauer von mehr als 4 Stunden über die vorgesehene Abflugzeit hinaus, so stehen dem Reisenden nach überwiegender Rechtsprechung wegen dieses Reisemangels Minde­rungs­ansprüche gemäß § 651 m BGB in Höhe von 5 % des anteiligen Tages­rei­se­preises für jede weitere Stunde zu. Ausgehend von einem Tagesreisepreis von 167,20 € (2.508,00 € : 15 Tage) und einer berück­sich­ti­gungs­fähigen Flugver­schiebung von 6 Stunden hat die Beklagte den diesbezüglichen Minde­rungs­an­spruch des Klägers durch vorgerichtliche Regulierung in Höhe von 100,00 € hinreichend ausgeglichen.

Gesund­heits­zustand nicht Gegenstand des Reisevertrages

Der individuelle Gesund­heits­zustand des Reisenden ist nicht Gegenstand des zwischen den Parteien abgeschlossenen Reisevertrages. Auszugehen ist insoweit vom Gesund­heits­zustand eines durch­schnitt­lichen Reisenden. (…) Die Auswahl einer solventen Fluglinie mit dem Zweck, dem Reisenden etwaige Ausgleichs­ansprüche nach Flugga­st­rech­te­ver­ordnung zu sichern, ist nicht vom Schutzzweck des Pauscha­l­rei­se­ver­trages umfasst.

Zweifel, ob insolvente Flugge­sell­schaft „ausführende Luftrau­mun­ter­nehmen“

Im Übrigen käme ein entsprechender Schaden­s­er­satz­an­spruch gegen die Beklagte als Reise­ver­an­stalterin nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass dieser Anspruch gegen die insolvente Flugge­sell­schaft als ausführendes Luftfahrt­un­ter­nehmen tatsächlich bestand. Insofern ist bereits fraglich, ob es sich bei der insolventen Flugge­sell­schaft um das "ausführende Luftfahrt­un­ter­nehmen" in Sinne der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung handelt, denn mit der tatsächlichen Durchführung der Luftbeförderung wurde von der Beklagten kurzfristig unstreitig eine andere Flugge­sell­schaft betraut. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Vertrags­ab­schluss oder im Vorfeld des gebuchten Hinfluges Kenntnis von der Insolvenz der Flugge­sell­schaft hatte, zumal der Antrag auf Eröffnung des Insol­venz­ver­fahrens nicht zwingend zu einer Einstellung des Flugbetriebes führen muss und vorliegend infolge der angeordneten vorläufigen Eigenverwaltung jedenfalls bis 31.10.2018 auch nicht dazu führte."

Quelle: Amtsgericht München, ra-online (pm/ab)

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