18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 30167

Drucken
ergänzende Informationen

Amtsgericht Hannover Urteil09.04.2021

Wirksame Rücktritts­er­klärung bei einer vor Pandemie-Beginn gebuchten Reise bei bestehender Reisewarnung zum Zeitpunkt der Rücktritts­er­klärungReisewarnung sprach für Vereitlung der Reise

Das Amtsgericht hatte zu entscheiden, ob eine Rücktritts­er­klärung des Klägers wirksam war. Die Buchung der Reise wurde zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als mit der Entwicklung der Pandemie noch nicht zu rechnen war. Die Rücktritts­er­klärung hingegen ist zum Zeitpunkt der Gültigkeit einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes erfolgt. Das Amtsgericht Hannover hat das Reise­un­ter­nehmen aus Hannover zur Rückzahlung einer Anzahlung für eine gebuchte Reise nach Ägypten in Höhe von 515,00 € verurteilt.

Der Kläger hatte bei dem Reise­un­ter­nehmen für sich und seine Ehefrau am 02.01.2020 eine Pauschalreise mit Flug von Frankfurt nach Hurghada und zurück nebst Aufenthalt in einem Hotel in El Quseir für die Zeit vom 25.12.2020 bis 08.01.2021 für 2.060,00 €. Verein­ba­rungsgemäß leistete er eine Anzahlung in Höhe von 515,00 €. Mit Schreiben vom 15.09.2020 erklärte der Kläger unter Berufung auf durch die Corona-Pandemie veranlasste außer­ge­wöhnliche Umstände den Rücktritt vom Pauscha­l­rei­se­vertrag. Das beklagte Reise­un­ter­nehmen erteilte dem Kläger unter Berufung auf in ihren allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen niedergelegte Storno­be­din­gungen eine Stornorechnung über 824,00 €. Der Kläger beauftragte danach einen Rechtsanwalt und ließ diesen mit Schreiben vom 19.11.2020 zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung auffordern und die Gegenforderung auf Zahlung von Stornokosten zurückweisen.

AG: Anspruch auf Rückzahlung

Das AG Hannover gab dem Kläger recht. Dieser hat einen Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung gemäß § 651 h Abs. 5 BGB, da dieser vom Vertrag zurückgetreten ist und das beklagte Reise­un­ter­nehmen hierdurch den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren hat, § 651 h Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB. Das Reise­un­ter­nehmen hat gegen den Kläger keinen Anspruch auf Zahlung einer pauschalen Entschädigung in Höhe der geleisteten Anzahlung gemäß § 651 h Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BGB in Verbindung mit der in ihren allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen niedergelegten Stornoklausel. Gemäß § 651 h Abs. 3 BGB kann der Reise­ver­an­stalter nämlich dann keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außer­ge­wöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Nach ersichtlich herrschender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung ist für die Beurteilung dieser Voraussetzungen darauf abzustellen, ob zum Zeitpunkt der Rücktritts­er­klärung eine nicht nur unerhebliche Wahrschein­lichkeit bestand, dass die Reise aufgrund der Covid-19-Pandemie erheblich beeinträchtigt sein würde.

Nach Reisewarnung war von Vereitlung der Reise auszugehen

Hiervon ist aufgrund des Vortrags der Parteien und aufgrund der allge­mein­kundigen Umstände auszugehen. Maßgeblich ist dabei, dass für das außer­eu­ro­päische Ausland, mithin auch für das hier gegenständliche Reiseziel Ägypten, die im Tatbestand zitierte Reisewarnung des Auswärtigen Amtes zum Zeitpunkt der Rücktritts­er­klärung Bestand hatte. Nach dem Inhalt der Reisewarnung war damit zu rechnen, dass die Reise aufgrund behördlicher Anordnungen, nämlich aufgrund eines generellen Einrei­se­verbotes oder aufgrund eines Verbotes des Hotelbetriebs vereitelt werden würde. Es war zudem nach ihrem Inhalt damit zu rechnen, dass im Fall der Möglichkeit der Einreise und des Hotel­auf­ent­haltes die Reise erheblich beeinträchtigt sein würde. Hier kam es insbesondere in Betracht, dass aufgrund behördlicher Anordnungen die Bewegungs­freiheit der Reisenden vor Ort derart eingeschränkt sein könnte, dass der Zweck eines Erholungs- und Badeurlaubes nicht mehr erreicht werden könnte. Schließlich kam es in Betracht, dass aufgrund behördlicher Anordnungen die Reise abgebrochen werden müsste oder die Rückreise nicht zur vertraglich vereinbarten Zeit erfolgen könnte.

Erhebliche Wahrschein­lichkeit zum Zeitpunkt der Rücktritts­er­klärung

Aufgrund der gegebenen Umstände bestand zum Zeitpunkt der Rücktritts­er­klärung für eine Vereitelung oder eine erhebliche Beein­träch­tigung der Reise auch eine erhebliche Wahrschein­lichkeit. Im September 2020 wurde - dies ist allgemeinkundig - von vielen Vertretern aus Politik und Wissenschaft über die Medien die Erwartung geäußert, dass die Pandemie sich in den folgenden Wochen wieder weltweit verstärkt ausbreiten werde. Diese durch die tatsächliche Entwicklung bestätigte Erwartung hat in der Zeit ab November 2020 auch zu entsprechenden Beschränkungen touristischer Aktivitäten geführt.

Pande­mie­be­dingte Auswirkungen stellen Reisemangel dar

Der Ansicht des Reise­un­ter­nehmens, die pande­mie­be­dingten Auswirkungen gehörten zum allgemeinen Lebensrisiko und seien kein Reisemangel, ist nicht zu folgen. Die drohenden behördlichen Restriktionen führen im Fall ihres Eintritts dazu, dass sich die Reise nicht mehr im Sinne des § 651 i Abs. 2 Nummer 1 BGB für den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen des gebuchten Erholungs­ur­laubes eignet. Es ist danach unerheblich, inwieweit durch im Zusammenhang mit der Pandemie getroffene obrigkeitliche Anordnungen auch zu einer Beein­träch­tigung der allgemeinen Lebensumstände führen.

Berufung wegen uneinheitlicher Rechtsprechung zugelassen

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es sind bei den Gerichten eine Vielzahl von Klagen anhängig, die die Frage zum Gegenstand haben, ob bei einem Rücktritt im Zusammenhang mit der Pandemie die Voraussetzungen des § 651 h Abs. 3 BGB gegeben sind. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Oberge­richtliche Rechtsprechung existiert bislang nicht. Das Gericht hat daher die Berufung gegen das Urteil zugelassen, da dieses zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Quelle: Amtsgericht Hannover, ra-online (pm/ab)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil30167

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI