Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss15.08.2025
Ministerpräsident Schweitzer verstieß mit Aussagen zur Zusammensetzung der neuen Bundesregierung nicht gegen das NeutralitätsgebotErfolglose Organklage der CDU-Fraktion gegen den Ministerpräsidenten wegen eines Pressestatements in Berlin
Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) verstieß mit Aussagen zur Zusammensetzung der neuen Bundesregierung und entsprechenden Posts in sozialen Netzwerken nicht gegen das Neutralitätsgebot. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat eine entsprechende Organklage der CDU-Landtagsfraktion gegen den Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz zurückgewiesen.
Die antragstellende Fraktion hatte mit ihrer Klage geltend gemacht, dass ein Pressestatement des Ministerpräsidenten zur Zusammensetzung der neuen Bundesregierung sowie die damit einhergehende Berichterstattung auf Social-Media-Kanälen der Landesregierung und des Ministerpräsidenten das Gebot parteipolitischer Neutralität verletzt hätten.
Sachverhalt
Nach der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag am 23. Februar 2025 führten die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), die Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU) und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) zunächst Sondierungs- und sodann Koalitionsgespräche mit dem Ziel der Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung. Nachdem die Koalitionsgespräche erfolgreich abgeschlossen waren, teilten CDU und CSU am 28. April 2025 mit, welche Personen die Leitung der auf diese Parteien entfallenden Ministerien übernehmen sollten. Hierbei wurde bekannt, dass der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Patrick Schnieder (CDU) zum Bundesminister für Verkehr ernannt werden sollte. Die SPD gab ihre Personalvorschläge für die Leitung der auf sie entfallenden Ministerien am 5. Mai 2025 unmittelbar vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags bekannt. Zur Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz sollte die bisherige Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Stefanie Hubig (SPD), und zur Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen die rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Verena Hubertz (SPD) ernannt werden.
Ebenfalls am 5. Mai 2025 versandte der Pressedienst der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz einen Terminhinweis an die Medien. Aufgrund der Vielzahl der Anfragen lade der Ministerpräsident zu einem Pressestatement „zur neuen Bundesregierung“ in Anwesenheit der designierten Bundesministerinnen Dr. Hubig und Hubertz in die Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz in Berlin ein.
Das Pressestatement fand wie angekündigt statt. Der Ministerpräsident und die beiden designierten Bundesministerinnen saßen hierbei gemeinsam an einem Tisch, vor und hinter dem der Schriftzug „Rheinland-Pfalz“ sowie das Landeswappen angebracht waren, und ergriffen allesamt das Wort. Im Nachgang zu dem Pressestatement wurden auf dem Instagram-Account „ministerpraesident.rlp“ und der Facebook-Seite „Rheinland-Pfalz“ Beiträge mit dem Titel „Justiz, Verkehr und Bauen: Rheinland-Pfalz spielt eine starke Rolle“ veröffentlicht. Die Social-Media-Posts erfolgten zusammen mit insgesamt vier Fotos: Ein Foto zeigte den Ministerpräsidenten und die beiden designierten Bundesministerinnen Dr. Hubig und Hubertz bei dem Pressestatement, die weiteren Fotos zeigten Portraits der designierten Bundesministerinnen Dr. Hubig und Hubertz und des designierten Bundesministers Schnieder.
auch interessant
CDU sieht das Gebot parteipolitischer Neutralität verletzt
Mit ihrer Organklage machte die CDU-Landtagsfraktion (im Folgenden: Antragstellerin) geltend, der Ministerpräsident (im Folgenden: Antragsgegner) habe durch die einseitige Hervorhebung der designierten SPD-Bundesministerinnen unter Inanspruchnahme finanzieller, personeller und sachlicher Mittel der Staatskanzlei das Gebot parteipolitischer Neutralität verletzt.
Verfassungsgerichtshof weist die Organklage zurück
Der Verfassungsgerichtshof wies die Organklage zurück. Die Anträge seien teilweise unzulässig und im Übrigen offensichtlich unbegründet.
1. Soweit die Antragstellerin festzustellen begehre, der Antragsgegner habe durch die Berichterstattung auf der Facebook-Seite „Rheinland-Pfalz“ gegen das Demokratieprinzip verstoßen, sei der Antrag unzulässig. Insoweit sei der Antragsgegner nicht passivlegitimiert, weil die Seite nicht von ihm verantwortet werde. Diesbezüglich hätte die Antragstellerin ihren Antrag gegen die Landesregierung richten müssen.
Richter verneinen einen Verstoß gegen das Gebot parteipolitischer Neutralität
2. Soweit die Anträge zulässig seien, seien sie offensichtlich unbegründet. Der geltend gemachte Verstoß gegen das Gebot parteipolitischer Neutralität liege nicht vor.
a) Unter der Geltung der Verfassung für Rheinland-Pfalz sei die Landesregierung grundsätzlich zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit befugt. Diese sei nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung zu befähigen. Die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit umfasse deshalb nicht nur die Darlegung und Erläuterung der Politik der Regierung, sondern erstrecke sich darüber hinaus auch darauf, außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit sachlich über Fragen und Vorgänge zu informieren, die die Bürger unmittelbar beträfen, sowie auf aktuell streitige oder die Öffentlichkeit erheblich berührende Fragen einzugehen.
Die Befugnis zur amtlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit bestehe indes nicht grenzenlos. Die insoweit angesprochenen Themen müssten sich zum einen innerhalb des jeweiligen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs bewegen. Zum anderen seien die staatlichen Organe unter Geltung des Grundsatzes der Chancengleichheit der politischen Parteien dem Gebot parteipolitischer Neutralität unterworfen. Das Recht, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen, werde regelmäßig verletzt, wenn Staatsorgane als solche zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den politischen Wettbewerb einwirkten.
b) Ausgehend hiervon habe der Antragsgegner weder durch das in Rede stehende Pressestatement noch durch die nachfolgende Social-Media-Berichterstattung einen Verfassungsverstoß begangen.
aa) Das Pressestatement „zur neuen Bundesregierung“ habe der Antragsgegner in amtlicher Eigenschaft unter Wahrung seines ihm durch die Landesverfassung zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs abgegeben. Zwar handele es sich bei der Bildung einer Bundesregierung im Ausgangspunkt um einen Vorgang auf Bundesebene, der mangels unmittelbarer Beteiligung hieran nicht in den klassischen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Landesregierung falle. Jedenfalls aufgrund der absehbar starken personellen Beteiligung von rheinland-pfälzischen Politikerinnen und Politikern an der künftigen Bundesregierung habe jedoch ein Informationsinteresse der rheinland-pfälzischen Öffentlichkeit bestanden, weshalb der Antragsgegner zur Durchführung der betreffenden Veranstaltung berechtigt gewesen sei.
Die äußere Ausgestaltung des Pressestatements sei nicht unter Verstoß gegen das Gebot parteipolitischer Neutralität erfolgt.
Ein derartiger Verstoß ergebe sich nicht daraus, dass der Antragsgegner zu seinem Pressestatement die beiden designierten Bundesministerinnen Dr. Hubig und Hubertz, nicht aber den designierten Bundesminister Schnieder hinzugezogen habe. Die Veranstaltung sei aufgrund der kurzfristig und anlassbezogen erfolgten Einladung darauf ausgerichtet gewesen, die kurz zuvor vorgeschlagenen Bundesministerinnen aus Rheinland-Pfalz vorzustellen. Bezugspunkt des Pressestatements sei somit nicht die Zugehörigkeit zu einer Partei, sondern die am Vormittag bekanntgegebene Nominierung für ein bestimmtes Amt gewesen. Sei die Veranstaltung danach nicht darauf ausgelegt gewesen, zugunsten oder zulasten einer politischen Partei die Chancen im politischen Wettbewerb zu beeinflussen, habe die Nichtteilnahme des designierten Bundesministers Schnieder an der Veranstaltung den Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien nicht berühren können.
bb) Gleiches gelte im Ergebnis für den Instagram-Beitrag auf dem Account „ministerpraesident.rlp“. Ein Verstoß gegen das Gebot parteipolitischer Neutralität liege auch insoweit nicht vor.
Der Antragsgegner habe mit der in Streit stehenden Äußerung weder zugunsten noch zulasten einer politischen Partei in den Wettstreit der politischen Meinungen eingewirkt. Vielmehr habe er darüber informiert, welche Personen mit einem spezifischen Bezug zu Rheinland-Pfalz voraussichtlich in die neue Bundesregierung eintreten würden. Zum Gegenstand des Social-Media-Beitrags habe er damit – wie schon mit dem Pressestatement als solchem – die (künftigen) Amtspersonen und nicht die dahinterstehenden Parteipolitikerinnen beziehungsweise -politiker gemacht. Deren parteipolitische Zugehörigkeit werde nicht erwähnt. Auch eine verdeckte parteipolitische Werbung oder Herabsetzung enthalte der Beitrag nicht. Vor diesem Hintergrund habe es einer den Grundsatz der Chancengleichheit politischer Parteien wahrenden gleichgewichtigen Repräsentation der in dem Social-Media-Beitrag erwähnten Personen nicht bedurft.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.08.2025
Quelle: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/pt)