23.11.2024
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Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Urteil

Verfas­sungs­ge­richtshof: Natur­schutzrecht ist gemein­de­freundlich anzuwenden

Der Ausweisung von Natur- und Vogel­schutz­ge­bieten durch den Landes­ge­setzgeber aufgrund europa­recht­licher Vorgaben lässt sich die in der Landes­ver­fassung für Rheinland-Pfalz garantierte kommunale Selbst­ver­waltung nicht entgegenhalten. Soweit die Schutz­vor­schriften Vorhaben jedoch ausnahmsweise ermöglichen, sind sie gemein­de­freundlich auszulegen und anzuwenden. Dies entschied der Verfas­sungs­ge­richtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz in einem aktuellen Urteil.

Mit der Europäischen Vogel­schutz­richtlinie wurden die Mitglieds­s­taaten der Europäischen Union im Jahre 1979 erstmals zur Erhaltung von Lebensräumen näher bestimmter Vogelarten und Zugvögel verpflichtet. Die Vogel­schutz­richtlinie wurde durch die 1992 verabschiedete Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) ergänzt. Sie soll der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen dienen. Hierzu werden Gebiete von gemein­schaft­licher Bedeutung erfasst, um ein europaweit zusam­men­hän­gendes ökologisches Netz mit dem Namen "Natura 2000" zu schaffen. Die Ausweisung der Schutzgebiete hat in Deutschland durch die Bundesländer zu erfolgen.

Das Land Rheinland-Pfalz hat dementsprechend im Landes­pfle­ge­gesetz u. a. nahezu das gesamte Gemeindegebiet der Ortsgemeinde Scheibenhardt als FFH-Gebiet sowie als Europäisches Vogel­schutz­gebiet ausgewiesen. Lediglich die bebauten Bereiche sind hiervon ausgenommen. In den Schutzgebieten sind nach dem Landes­pfle­ge­gesetz Veränderungen grundsätzlich unzulässig, wenn sie zu erheblichen Beein­träch­ti­gungen des Schutzzweckes führen. Ausnahmsweise darf ein Projekt zugelassen werden, wenn es aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist und zumutbare Alternativen nicht gegeben sind.

Mit ihrem Normen­ko­trol­lantrag hat die Ortsgemeinde Scheibenhardt geltend gemacht, dass durch die Schutz­ge­biets­fest­set­zungen ihr von der Landes­ver­fassung garantiertes Selbst­ver­wal­tungsrecht verletzt sei. Ihr werde insbesondere eine künftige Ausweisung von Bauland praktisch unmöglich gemacht. Das Gemeindegebiet sei in einer Art "Rundumschlag" mit Schutzgebieten belegt worden. Dies nehme der Gemeinde jeden Raum für weitere planerische Aktivitäten und stelle einen Eingriff in die gemeindliche Planungshoheit dar.

Der Verfas­sungs­ge­richtshof wies den Normen­kon­trol­lantrag zwar ab, hob jedoch die Pflicht des Staates hervor, Natur­schutz­be­stim­mungen so anzuwenden, dass den Gemeinden nahe liegende Entwick­lungs­mög­lich­keiten verblieben. Die Festsetzung der Naturschutz- und Vogel­schutz­gebiete in der Gemarkung Scheibenhardt könne als solche nicht am Maßstab der rheinland-pfälzischen Landes­ver­fassung überprüft werden. Dies beruhe darauf, dass der Landes­ge­setzgeber bei den Schutz­ge­biets­aus­wei­sungen zwingende Vorgaben des Europäischen Gemeinschafts- und des Bundesrechts umsetze. Danach dürften auf dieser ersten Stufe nur natur­schutz­fachliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Das Recht der kommunalen Selbst­ver­waltung, das insbesondere die Planungshoheit umfasse, werde insoweit vom Gemeinschafts- und Bundesrecht verdrängt.

Gerade weil auf der ersten Stufe der Ausweisung von Schutzgebieten nur natur­schutz­fachliche Gesichtspunkte maßgebend seien, verlange die Garantie kommunaler Planungshoheit um so mehr auf der zweiten Stufe der Anwendung der Schutz­vor­schriften durch das Land gemein­schafts­rechtlich offen gelassene Spielräume zu nutzen, um die Entfaltung gemeindlicher Selbst­ver­waltung zu ermöglichen. Das Gemein­schaftsrecht ermögliche es, dem Naturschutz gegenläufige Interessen an der Nutzung des Bodens zur Geltung zu bringen. Dies bedeute keine Entwertung der Natur­schutz­belange. Es lasse nur Raum, um keineswegs minder legitimen anderen Interessen angemessen Rechnung zu tragen. Der Staat trage nach der Landes­ver­fassung nicht nur Verantwortung für den Schutz von Natur und Umwelt (Art. 69 LV), sondern habe auch das Wohlergehen des Einzelnen und der inner­staat­lichen Gemeinschaften zu fördern (Art. 1 Abs. 2 LV). Deshalb verbiete es sich, den Belangen des Naturschutzes generellen Vorrang auch vor noch so berechtigten Anliegen der Menschen einzuräumen. Hieraus folge, dass der Staat bei der Prüfung, ob eine gemeindliche Bauleitplanung in einem FFH- und Vogel­schutz­gebiet noch verträglich sei, auch das Planungs­in­teresse der Gemeinde als öffentliches Interesse angemessen berücksichtigen müsse.

Bei der vom Verfas­sungs­ge­richtshof durchgeführten Ortsbe­sich­tigung in der Gemeinde Scheibenhardt sei festgestellt worden, dass sich am nordöstlichen Rand der vorhandenen Bebauung eine Abrundung der Ortslage geradezu anbiete. Dem von der Gemeinde verfolgten Interesse, in diesem Bereich für ihre Bürger - insbesondere junge Familien - Bauland auszuweisen, komme ein starkes Gewicht zu. Eine von der Gemeinde insoweit entwickelte Planung dürfte deshalb jedenfalls im Ausnahmewege auch im FFH- und Vogel­schutz­gebiet zulässig sein.

Quelle: Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 01.09.2005

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