21.11.2024
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Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.

Dokument-Nr. 19258

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Urteil10.11.2014Verwaltungsgerichtshof Baden-WürttembergA 11 S 1636/14 und A 11 S 1778/14
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil10.11.2014

Dublin-Verfahren: Überstellung nach Bulgarien bei nicht ernsthaft erkrankten Männern und Paaren ohne kleine Kinder zulässigUnmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund systemischer Mängel oder Schwachstellen des bulgarischen Asylsystems für betroffenen Personenkreis nicht zu erwarten

Nicht ernsthaft erkrankte Männer oder Paare ohne kleine Kinder, die in Bulgarien einen Asylantrag gestellt haben und anschließend als Asylbewerber nach Deutschland eingereist sind, dürfen im Dublin-Verfahren zur Durchführung des Asylverfahrens nach Bulgarien überstellt werden. Dies entschied der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg und verwies darauf, dass diesem Personenkreis in Bulgarien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund systemischer Mängel oder Schwachstellen des bulgarischen Asylsystems oder der dortigen Aufnah­me­be­din­gungen für Asylbewerber droht.

Die Kläger sind ihren Angaben zufolge Kurden aus Syrien. Sie reisten über die Türkei nach Bulgarien und stellten dort Asylanträge. Danach reisten sie nach Deutschland und stellten erneut Asylanträge. Auf Ersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Beklagte) erklärten die bulgarischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge und stimmten der Rücküberstellung der Kläger nach Bulgarien zu (Dublin-Verfahren). Daraufhin ordnete die Beklagte die Abschiebung der Kläger nach Bulgarien an. Mit ihren Klagen rügten die Kläger, Bulgarien halte europa­rechtliche Mindest­standards zur Durchführung eines Asylverfahrens nicht ein und Asylbewerber würden in Bulgarien menschen­rechts­widrig behandelt.

VG gibt Klagen unter Verweis auf systematische Mängel bei Aufnahme- und Asylsystem in Bulgarien statt

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart gab den Klagen mit der Begründung statt, das Aufnahme- und Asylsystem in Bulgarien leide an systemischen Mängeln. Auf die Berufungen der Beklagten änderte der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg die Urteile und wies die Klagen ab.

Kläger könnten nicht Übernahme der Zuständigkeit durch die Bundesrepublik Deutschland beanspruchen

Die Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass Bulgarien der nach dem Dublin-Zustän­dig­keits­system zuständige Staat zur Durchführung des Asylverfahrens und daher verpflichtet sei, die Kläger wieder aufzunehmen. Die Kläger könnten nicht beanspruchen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Zuständigkeit übernehme. Jeder EU-Mitgliedstaat könne grundsätzlich darauf vertrauen, dass alle am Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der in EU-Grund­recht­echarta und Europäischer Menschen­rechts­kon­vention gewährleisteten Menschenrechte und Grundfreiheiten beachteten. Es bestehe eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem EU-Mitgliedstaat den Anforderungen der Genfer Flücht­lings­kon­vention und der Menschen­rechts­kon­vention genüge. Zwar könnten erhebliche Funkti­o­ns­s­tö­rungen im System der Rechts­an­wen­dung­s­praxis eines bestimmten EU-Mitgliedstaats die erstzunehmende Gefahr begründen, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen EU-Mitgliedstaat in einer mit ihren Menschenrechten unvereinbaren Weise behandelt würden.

Drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Asylbewerber nicht zu erwarten

Das Dublin-Zustän­dig­keits­system werde aber nicht schon durch vereinzelte Verstöße gegen Bestimmungen der Dublin-Verordnung und auch nicht durch jede Verletzung eines Grundrechts oder des Verbots unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung grundsätzlich in Frage gestellt. Es sei nur dann - teilweise - zu suspendieren, wenn einem EU-Mitgliedstaat aufgrund ihm vorliegender Informationen bekannt sei, dass Asylbewerbern in einem anderen EU-Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel oder Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der Aufnah­me­be­din­gungen für Asylbewerber eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung konkret drohe. Das sei nach den dem Verwal­tungs­ge­richtshof vorliegenden Erkennt­nis­quellen in Bulgarien jedenfalls bei nicht ernsthaft erkrankten Alleinstehenden oder Ehepaaren ohne kleine Kinder und damit auch bei den Klägern nicht der Fall.

Situation ernsthaft erkrankter Asylbewerber, von Paaren mit kleinen Kindern und asylsuchender unbegleiteter Minderjähriger bedarf weiterer Prüfung

Diese Erkennt­nis­quellen belegten, dass jedenfalls insoweit in Bulgarien ein ausreichend differenziertes Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Durchführung eines effektiven Prüfungs- und Anerken­nungs­ver­fahrens installiert sei. Dieses genüge, von einzelnen Unzuläng­lich­keiten abgesehen, den (unions-)rechtlichen Anforderungen noch und ermögliche eine ordnungsgemäße Behandlung der Flüchtlinge. Die Situation ernsthaft erkrankter Asylbewerber, von Paaren mit kleinen Kindern und asylsuchender unbegleiteter Minderjähriger in Bulgarien bedürfe bei gegebenem Anlass allerdings weiterer Prüfung und gesonderter Betrachtung.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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