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Verwaltungsgericht Wiesbaden Beschluss16.09.2013

NPD darf ohne den Nachweis einer Haft­pflicht­versicherung keine Wahlplakate aufstellenVerwal­tungs­gericht weist Eilantrag der NPD auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück

Das Verwal­tungs­gericht Wiesbaden hat entschieden, dass die Stadt Wiesbaden der NPD das Aufstellen von Wahlplakaten untersagen darf, solange die Partei keinen Nachweis über eine gültige Haft­pflicht­versicherung vorlegt.

Im zugrunde liegenden Streitfall hatte die Stadt Wiesbaden die notwendige Erteilung einer Sonder­nut­zungs­er­laubnis zum Plakatieren anlässlich der bevorstehenden Landtags- und Bundestagswahl - wie bei allen anderen Parteien - gemäß ihrer "Plaka­tie­rungs­richt­linien" (Ziffer 1.2g der Richtlinien der Landes­hauptstadt Wiesbaden für die Erteilung von Sonder­nut­zungs­er­laub­nissen zur Aufstellung von beweglichen Plakatständern und -tafeln sowie Transparenten der Parteien und Wähler­ge­mein­schaften in Wahlkampfzeiten, genehmigt durch Magis­trats­be­schluss Nr. 0987 vom 8. November 2005) von dem vorherigen Nachweis einer entsprechenden Haftpflichtversicherung abhängig gemacht und die Partei auf diese Regelung mehrfach hingewiesen.

Gericht lehnt Anspruch der NPD auf Erteilung einer Sonder­nut­zungs­er­laubnis zum Aufstellen der Wahlplakate ab

Der von der NPD angesichts der in weniger als zwei Wochen stattfindenden Bundes- und Landtagswahl gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war nicht erfolgreich. Zwar attestierte das Verwal­tungs­gericht Wiesbaden der NPD die grundsätzliche Dringlichkeit des Eilantrags zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kurz vor der Wahl, lehnte jedoch einen Anspruch der Partei auf Erteilung einer Sonder­nut­zungs­er­laubnis zum Aufstellen der Wahlplakate ab.

Wahlsicht­werbung darf nicht durch gänzliche oder weitgehende Verweigerung vorgesehener Erlaubnisse beschnitten werden

Das Gericht legt in seiner Begründung dar, dass die Aufstellung von Plakatständern im öffentlichen Straßenraum eine erlaub­nis­pflichtige Sondernutzung darstellt, die der Erlaubnis der Straßenbehörde bedarf. Das Straßengesetz enthalte hierzu keine näheren Vorgaben, nach welchen Maßstäben die Erlaubnis versagt werden kann oder muss; über einen Antrag habe die Stadt daher nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Hierbei seien in erster Linie straßen­rechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, aber auch alle sonstigen Rechtsnormen zu beachten, um die Herbeiführung eines rechtswidrigen Zustands zu vermeiden. Es sei aber auch allgemein anerkannt, dass für die Zeit des Wahlkampfes, jedenfalls in der Regel in den letzten sechs Wochen vor dem festgesetzten Wahltermin, der „heißen“ Wahlkampfphase, den zur Wahl zugelassenen Parteien und Gruppierungen aufgrund der Bedeutung der Wahlen in einem demokratischen Staat und der Bedeutung der Parteien für die Wahlen ein Anspruch zusteht, in angemessener Weise Wahlsichtwerbung im Straßenraum zu betreiben. Dadurch werde in der Regel das Ermessen der Erlaub­nis­behörde dahingehend eingeschränkt, dass entsprechende Sonder­nut­zungs­er­laubnisse zu erteilen sind. Die Wahlsicht­werbung als gewissermaßen selbst­ver­ständ­liches Wahlkampfmittel dürfe daher durch gänzliche oder auch nur weitgehende Verweigerung vorgesehener Erlaubnisse grundsätzlich nicht beschnitten werden.

Stadt darf Erteilung der Sonder­nut­zungs­er­laubnis an Bedingungen knüpfen

Die Stadt Wiesbaden ist nach Auffassung des Gerichts auch unter Berück­sich­tigung der verfas­sungs­mäßigen Rechte der Parteien jedoch nicht verpflichtet, die im Übrigen gebührenfreie Sonder­nut­zungs­er­laubnis ohne jegliche Bedingungen und Beschränkungen zu erteilen. Die Stadt übernehme durch die Erteilung der Sonder­nut­zungs­er­laubnis auch eine Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Dieser werde sie dadurch gerecht, indem sie den Nachweis einer entsprechenden Haftpflicht­ver­si­cherung fordere. Es bestehe ein berechtigtes Interesse daran, dass beispielsweise Sach- und Personenschäden bei einer auf Wahlwerbung zurück­zu­füh­renden Schadens­re­a­li­sierung, durch eine Versicherung des Erlaub­nis­in­habers abgedeckt seien. Die Wahlplakate würden häufig unmittelbar am Straßenrand aufgestellt oder in einiger Höhe an Bäumen oder Laternenmasten angebracht. Wenn sie umfallen oder sich die Befestigung lösen würden, könnten erhebliche Personen- und Sachschäden entstehen. Hinzu komme, dass die Plakate bis zu 6 Wochen im öffentlichen Straßenraum verbleiben dürften. Gerade eine an das Gesetz gebundene, dem Gemeinwohl verpflichtete Stadt, müsse nicht sehenden Auges das Risiko hinnehmen, dass Ansprüche aus Personenschäden mangels Deckung durch eine Versicherung unbeglichen und Rechtsansprüche mangels Solvenz unverwirklicht bleiben.

Recht auf Gleich­be­handlung der Parteien nicht verletzt

Auch das Recht auf Gleich­be­handlung bzw. Chancen­gleichheit der Parteien untereinander sei nicht verletzt, da die Stadt Wiesbaden ihre gängige Verwal­tung­s­praxis konsequent angewandt habe, indem sie von allen Parteien vor Erteilung der Sonder­nut­zungs­er­laubnis einen entsprechenden Versi­che­rungs­nachweis verlangt habe. Die Plaka­tie­rungs­richtlinie bestehe seit fast acht Jahren. In allen seit Inkrafttreten durchgeführten Wahlkämpfen hätten die teilnehmenden Parteien entsprechende Versicherungen nachgewiesen.

2009 wurde Haftpflicht­ver­si­cherung nachgewiesen und Sonder­nut­zungs­er­laubnis erteilt

Die NPD selbst habe im Bundes­tags­wahlkampf 2009 den Nachweis einer Haftpflicht­ver­si­cherung hinsichtlich des Besitzes und der Verwendung von Rekla­me­ein­rich­tungen und Wahlplakaten sowie aus dem Anbringen dieser Plakate nachgewiesen und daraufhin die beantragte Sonder­nut­zungs­er­laubnis erhalten.

NPD muss Weigerungen der Versicherungen zum Vertrags­ab­schluss nachweisen können

Die NPD habe nicht glaubhaft gemacht, dass sich Versicherungen weigern würden, mit ihr dement­spre­chende Verträge zu schließen. Soweit die NPD darauf hinweise, dass in den letzten Jahren kein Versi­che­rungs­un­ter­nehmen bereit gewesen sei, den Abschluss von Haftpflicht­ver­si­che­rungs­ver­trägen für die Überlassung von kommunalen öffentlichen Einrichtungen mit ihr abzuschließen, sagt dies nach Auffassung des Gerichts nichts über die Möglichkeit des Abschlusses einer Versicherung zum Aufstellen von Wahlplakaten aus. Insbesondere habe die NPD nach Kündigung des Haftpflicht­ver­trages durch eine Versicherung im Jahr 2011 nicht nachgewiesen, dass es ihr in der Zwischenzeit unmöglich gewesen sei, auch durch Vertrags­ver­hand­lungen mit anderen Versicherungen, jedenfalls unter Beschränkung auf bestimmte Haftungsrisiken für das Aufstellen von Wahlplakaten, eine neue Versicherung abzuschließen. Sie habe nicht vorgetragen, dass beispielsweise Vertrags­ver­hand­lungen mit ausländischen Versicherungen geführt worden seien, und habe auch keine Angebots- bzw. Ableh­nungs­schreiben vorgelegt. Sollte die NPD meinen, einem Boykott der Versi­che­rungs­wirt­schaft ausgesetzt zu sein, müsse sie hiergegen gegebenenfalls zivil­ge­richt­lichen Rechtsschutz suchen. Hierzu habe sie auch seit 2011 ausreichend Zeit gehabt.

Abgabe einer Haftungs­übernahme bzw. Freistel­lungs­er­klärung gegenüber der Stadt nicht ausreichend

Das Gericht hält die Vorlage eines Versi­che­rungs­nach­weises auch für das geeignete Mittel, Geschädigten im Falle einer Schadens­re­a­li­sierung einen möglichst solventen Schuldner in Form einer Versicherung gegen­über­zu­stellen. Soweit die NPD der Auffassung sei, es genüge die Abgabe einer Haftungs­übernahme bzw. Freistel­lungs­er­klärung gegenüber der Stadt Wiesbaden, überzeuge dies nicht. Im Falle einer Schadens­re­a­li­sierung müssten sich die Geschädigten dann an die Partei als solche wenden. Diese hafte grundsätzlich lediglich mit ihrem Vermögen. Dass dieses gerade bei kleineren Parteien unter Umständen nicht ausreiche, um auch nur durch­schnittliche Schadenshöhen bzw. eine kleinere Anzahl Geschädigter zu befriedigen, liege auf der Hand. Sollte bei der NPD eine Ausnahme von dem Versi­che­rungs­nachweis gemacht werden, so müsste dies nach dem Gleich­be­hand­lungs­grundsatz auch für die anderen Parteien gelten. Dies würde nach Auffassung des Gerichts allerdings zu einer Potenzierung des Problems im Hinblick auf die "Flut" der Wahlplakate im Stadtgebiet der Stadt Wiesbaden und zu einem völlig unkal­ku­lierbaren Risiko führen.

Anhaltspunkte für ein Unterbinden der Wahlwerbung der NPD „durch die Hintertür“ nicht erkennbar

Anhaltspunkte dafür, dass die Stadt Wiesbaden gezielt auf die Wahlkampf­führung einer für die Landtags- und Bundes­tags­wahlen zugelassenen und durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht verbotenen Partei einwirken und quasi „durch die Hintertür“ eine unerwünschte Wahlwerbung durch eine Verwal­tungs­ent­scheidung verhindern wolle, seien ebenfalls nicht ersichtlich. Die zugrun­de­lie­genden Richtlinien seien bereits mit Magis­trats­be­schluss der Stadt Wiesbaden vom 8. November 2005 genehmigt worden. Es habe daher an der NPD gelegen, sich frühzeitig mit den örtlichen Voraussetzungen vertraut zu machen.

§ 16 Hessisches Straßengesetz - Sondernutzung

(1) Der Gebrauch der öffentlichen Straßen über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung) bedarf der Erlaubnis der Straßen­bau­behörde. Die Erlaubnis soll nicht erteilt werden, wenn behinderte Menschen durch die Sondernutzung in der Ausübung des Gemeingebrauchs erheblich beeinträchtigt würden.

(2) Die Erlaubnis darf nur auf Zeit oder auf Widerruf erteilt werden. Bedingungen und Auflagen sind zulässig. Eine auf Zeit erteilte Erlaubnis kann widerrufen werden, wenn es das Wohl der Allgemeinheit erfordert.

(3) Der Erlaubnisnehmer hat dem Träger der Straßenbaulast alle Kosten zu ersetzen, die diesem durch die Sondernutzung zusätzlich entstehen. Hierfür kann der Träger der Straßenbaulast angemessene Vorschüsse und Sicherheiten verlangen.

(4) Bei der Errichtung und bei dem Betrieb der Sonder­nut­zungs­anlage hat der Erlaubnisnehmer die anerkannten Regeln der Technik zu beachten. Arbeiten an der Straße bedürfen der Zustimmung der Straßen­bau­behörde.

(5) Wechselt der Träger der Straßenbaulast, so bleibt eine gemäß Abs. 1 erteilte Erlaubnis bestehen.

(6) Der Erlaubnisnehmer hat keinen Ersatzanspruch bei Widerruf der Sonder­nut­zungs­er­laubnis oder bei Sperrung, Änderung oder Einziehung der öffentlichen Straße. Im Falle des Abs. 2 Satz 3 ist der Betroffene vom Träger der Straßenbaulast angemessen zu entschädigen. Über die Entschädigung entscheidet das Regie­rungs­prä­sidium.

(7) Ist nach den Vorschriften des Straßen­ver­kehrs­rechts eine Erlaubnis für eine übermäßige Straßen­be­nutzung oder eine Ausnah­me­ge­neh­migung erforderlich, so bedarf es keiner Erlaubnis nach Abs. 1. Vor ihrer Entscheidung hat die zuständige Behörde die sonst für die Sonder­nut­zungs­er­laubnis zuständige Behörde zu hören. Die von dieser geforderten Bedingungen, Auflagen und Sonder­nut­zungs­ge­bühren sind dem Antragsteller in der Erlaubnis oder Ausnah­me­ge­neh­migung aufzuerlegen.

Satzung über Sondernutzungen an öffentlichen Straßen und über Sonder­nut­zungs­ge­bühren in der Landes­hauptstadt Wiesbaden (Sonder­nut­zungs­satzung)

§ 6 Kostenersatz, Haftung

(1) Der Erlaubnisnehmer hat der Stadt alle Kosten zu ersetzen, die ihr durch die Sondernutzung zusätzlich entstehen. Bei durch Baumaßnahmen veranlassten Sondernutzungen, insbesondere durch Bauzäune, Gerüste und Container, haften ungeachtet einer Erlaubnis auch der Bauherr und das bauausführende Unternehmen auf Kostenersatz. Zur Deckung von Ansprüchen der Stadt auf Kostenersatz können jederzeit angemessene Vorschüsse und Sicher­heits­leis­tungen verlangt werden. Dies gilt auch, wenn Beschädigungen an der Straße oder Straßen­ein­rich­tungen zu besorgen sind.

(2) Der Erlaubnisnehmer hat die Stadt von allen Ansprüchen Dritter freizustellen, die wegen der Sondernutzung oder der Art ihrer Ausübung gegen die Stadt erhoben werden. Die Stadt kann von dem Erlaubnisnehmer jederzeit den Abschluss einer Versicherung wegen solcher Ansprüche sowie den Nachweis regelmäßiger Prämienzahlung verlangen.

(3) - (4) [...]

§ 11 Gebüh­ren­be­freiung, Gebüh­re­n­er­mä­ßigung

(1) Als Sondernutzungen sind gebührenfrei: 1. Kreuzungen der Straße mit ober- oder unterirdischen Leitungen der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Fernwärme oder Wasser sowie der öffentlichen Abwas­ser­lei­tungen jeweils mit den Hausanschlüssen,

2. von der Straßen­bau­ver­waltung allgemein eingeführte private Hinweisschilder zur besseren Orientierung der Verkehrs­teil­nehmer,

3. Infor­ma­ti­o­ns­stände politischer Parteien, karitativer, kirchlicher, gemeinnütziger Organisationen,

4. Plakatständer und -tafeln, wenn sie von politischen Parteien oder Wähler­ver­ei­ni­gungen aus Anlass von Wahlen und im Rahmen der politischen Meinungsbildung aufgestellt werden.

Quelle: Verwaltungsgericht Wiesbaden/ra-online

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