15.11.2024
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Dokument-Nr. 3960

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Beschluss19.02.2004Verwaltungsgericht Stuttgart5 K 597/04
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Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss19.02.2004

Paintball-Spiele dürfen vorläufig nicht verboten werden

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart hat einer Betreiberin einer Sportanlage in Stuttgart-Zuffenhausen (Antragstellerin) vorläufigen Rechtsschutz gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Landes­hauptstadt Stuttgart vom 09.02.2004 gewährt. Mit dieser Verfügung untersagte die Stadt Stuttgart den Spielbetrieb für sogenannte „Paintball-Spiele“ und drohte für jeden Verstoß ein Zwangsgeld in Höhe von € 5.000,00 an. Die Vollziehung der auf das Polizeigesetz gestützten Unter­sa­gungs­ver­fügung wurde ausgesetzt.

Die Stadt Stuttgart war der Auffassung, das „spielerisches simuliertes Töten“ von Menschen durch Beschießen mit Kugeln aus einem Farbmarkierer bei den Paint­ba­ll­spielen bejahe oder bagatellisiere die Gewalt und sei wegen der möglichen Auswirkungen einer solchen Tendenz auf die allgemeinen Wertvor­stel­lungen und das Verhalten in der Gesellschaft mit der verfas­sungs­recht­lichen Garantie der Menschenwürde unvereinbar. Die Antragstellerin wandte sich gegen eine Gleichsetzung des von ihr vorgesehenen Spielbetriebs mit der von der gewalt­ver­ha­rm­lo­senden milita­ris­tischen sogenannten „Gotcha-Szene“. Paintball sei als Mannschafts- oder Einzelsportart vielmehr vergleichbar mit dem aus dem Schulsport bekannten Völkerball. Nach dem Liga-Regelwerk „Deutsches Paintball“ unter anderem des Deutschen Paint­ba­ll­ver­bandes handele es sich um Mannschaftsspiele, die zwischen jeweils zwei Mannschaften ausgetragen würden. Die Spieler seien mit Gasdruck­pistolen - sogenannten Markierern - ausgerüstet. Als Munition dienten mit Farbflüssigkeit gefüllte Gelatinekugeln (Paintball). Die Spielhandlung bestehe im Kampf der Mannschaften um eine bzw. zwei Flaggen, die es zu erobern (Flagge reißen, 25 Punkte) und in die eigene oder gegnerische Startposition zu bringen gelte (Flagge legen, 50 Punkte). Ein Mittel hierfür sei das Ausschalten gegnerischer Mitspieler durch deren Markierung, d. h. durch das Treffen des Spielers mit einem Paintball (5 Punkte). Taktische Vorteile erreichten die Mannschaften unter anderem durch die Markierung der Gegenspieler oder durch geschickte Positionierung auf dem Spielfeld, unter anderem durch die Verwendung vorgegebener Hindernisse. Das Tragen einer Schutzmaske sei vorgeschrieben. Ebenso dürften die Farbmarkierer nur innerhalb des abgegrenzten Spielfeldes abgeschossen werden.

Die 5. Kammer des Verwal­tungs­ge­richts Stuttgart hat in ihrem Beschluss hierzu ausgeführt:

Es bestünden nach dem bisherigen Erkenntnisstand erhebliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Verfügung. Zumindest erscheine aber der Ausgang des Haupt­sa­che­ver­fahrens offen. Denn es sei fraglich, ob der umstrittenen Paintball-Spielbetrieb mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, insbesondere der Unantastbarkeit der Würde des Menschen unvereinbar sei. In oberge­richt­lichen Entscheidungen werde zwar bezüglich der Spiele im Laserdrom ausgeführt, dass der hauptsächliche Reiz dieser Spiele in dem „Vergnügen an simulierten Tötungs­hand­lungen“ und einem dadurch erlebten Macht- und Lustgewinn zu sehen sei. Dieses Spiel sei nach seinen Regeln darauf angelegt, dass nicht nur fest installierte Ziele, sondern auch und gerade auf Menschen „geschossen“ werde und damit Tötungs­hand­lungen simuliert würden. Der Schütze müsse stets auf die Körpermitte des Gegners zielen, damit der Treffer zähle, da die im Spiel angelegten Stoffwesten jeweils im Brust und im Rückenbereich mit einem Sensorempfänger ausgestattet seien. Die Spieler würden so zu kriegsähnlichen, nahkampf­gleichen Verhal­tens­mustern gezwungen. Demgegenüber handele es sich bei dem hier zur Diskussion stehenden Paintball wohl nicht um ein Spiel, dessen Inhalt nahezu ausschließlich in der Simulation des Tötens bestehe.

Ausweislich des vorgelegten Regelwerkes sei das „markieren“ von Mitspielern nur ein Aspekt einer mehrschichtigen Spielhandlung. Es müsse nicht auf bestimmte Körperteile gezielt werden, so dass ein Gegenspieler bei einem Treffer als „verletzt“ oder „getötet“ angesehen werden könne. Zwischen Treffern an einer beliebigen Stelle des Körpers, an der Schutzkleidung oder an Ausrüs­tungs­ge­gen­ständen wie dem eigenen Farbmarkierer werde nicht unterschieden. Bei dieser Regelung könne ein Gegenspieler spieltechnisch gesehen auch durch einen geringfügigen Streifschuss ausgeschaltet werden, der in einer realen Kampfhandlung keinerlei Auswirkungen gehabt hätte. Dass die Treffsicherheit nicht als solche den Reiz des Spiels ausmache, sondern lediglich gleichwertig neben anderen Eigenschaften wie Geschick­lichkeit, Schnelligkeit, Reakti­o­ns­vermögen, Strategie, Taktik und Mannschaftsgeist zu sehen sei, werde auch dadurch unterstrichen, dass als Ziel des Spieles gelte, eine Flagge aus dem Startpunkt der Gegner in den eigenen Startpunkt zurückzubringen. Das Markieren der Gegenspieler habe eine spiel­mit­ge­staltende, nicht jedoch dominierende Funktion. Diese Gewichtung werde auch durch die Punktvergabe deutlich (25 Punkte für das Reißen, 50 Punkte für das Ablegen der Flagge, demgegenüber nur 5 Punkte für das Markieren eines Gegenspielers).

Es sei auch nicht zu befürchten, die Spieler könnten den Rahmen der „Metaebene“ der „Spielwelt“ überschreiten, weil sie nicht mehr in der Lage seien, zwischen Spiel und Alltagswelt zu differenzieren. Grenzen würden bereits durch die detaillierte Haus- und Spieleordnung der Antragstellerin gezogen, die auch dazu diene, den Paintball-Sport ausdrücklich von den kriegs­spie­l­ähnlich ausgerichteten „Gotcha-Veranstaltungen“ zu distanzieren. So sei beispielsweise das Tragen von Tarnkleidung oder militärischer Kleidung, das Verwenden von Markierfarbe in rotähnlichen Tönen, die Benutzung der Farbmarkierer außerhalb des abgegrenzten Spielfeldes, und die Verwendung vollau­to­ma­tischer Markierer oder Markierer mit Laser­punkt­visier untersagt. Die gesamte Spielumgebung (Halle, abgegrenztes Spielfeld, künstliche Hindernisse, überwachter Spielablauf) weise ebenfalls keine starke Ähnlichkeit mit realen Kampffeldern auf. Danach dürfe das Paintball-Spiel, zumindest in der Weise wie es durch die Antragstellerin betrieben werde, wohl nicht gegen einen gesell­schaft­lichen Wertekonsens der Gesellschaft verstoßen (so aber wohl verall­ge­meinernd für Paintball-Spiele der VGH München). Es liege in der Natur gesell­schaft­licher Wertordnungen, dass sie ständigen Entwicklungen unterworfen seien. So sei auch der kontrollierte spielerische Tabubruch seit jeher Teil unserer gesell­schaft­lichen Kultur. Betrachte man ein nach den Regeln geordnet ablaufendes Paintball-Spiel im Zusammenhang mit Sportarten wie Fechten, Boxen, Catchen, American-Football, Rugby oder Eishockey, mit zahlreichen, zum Teil extrem gewalt­ver­herr­li­chenden Spielfilmen, die im Fernsehen gezeigt würden und auf dem Markt erhältlichen Videospielen sowie der Vielfalt von frei verkäuflichem oder zumindest tolerierten Kriegspielzeug für Kinder, erscheine es zweifelhaft, dem hier fraglichen Paintballspiel innerhalb des in der heutigen Gesellschaft herrschenden Wertesystems einen „moralischen Unwert“ zu verleihen, der geeignet wäre, ein polizei­recht­liches Einschreiten zu rechtfertigen.

Siehe nachfolgend die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg:

Paint-Ball-Spiele vorläufig nur unter Auflagen zulässig (Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg, Beschluss v. 17.05.2007 - 1 S 914/04 -)

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 31.03.2004

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