18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen eine Reihe mit gelben Aktenordnern, die mit Barcodes markiert sind.

Dokument-Nr. 32646

Drucken
ergänzende Informationen

Verwaltungsgericht Hannover Urteil09.02.2023

Datenerhebung bei Amazon in Winsen ist rechtmäßigPersönlichkeits­recht der Beschäftigten überwiegt hier nicht die unter­neh­me­rischen Interessen von Amazon

Amazon darf die Arbeitsleistung seiner Beschäftigten am Logis­tik­standort Winsen in Niedersachsen technisch überwachen. Das hat das Verwal­tungs­gericht Hannover entschieden. Die Vorgehensweise sei nicht zu beanstanden. Der Zweck der Kontrollen liege in der Steuerung der logistischen Abläufe.

Die Klägerin betreibt in Winsen (Luhe) ein Logistikzentrum zur Auslieferung von Waren aus dem Online­ver­sand­handel von Amazon (sogenanntes "Fulfillment Center"). In bestimmten Arbeits­be­reichen benutzen die Beschäftigten Handscanner, mittels derer bestimmte Arbeitsschritte erfasst werden. Die Daten werden mit einer Softwa­re­an­wendung ausgewertet und dienen in erster Linie der Steuerung logistischer Prozesse. Daneben werden mit den Daten auch Bewer­tungs­grundlagen für Quali­fi­zie­rungs­maß­nahmen sowie für Feedback und Perso­na­l­ent­schei­dungen gelegt. Wegen dieser Vorgehensweise leitete die Beklagte ein daten­schutz­recht­liches Kontroll­ver­fahren gegen die Klägerin ein mit dem Ergebnis, dass sie der Klägerin mit Bescheid von Oktober 2020 untersagte, aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten ihrer Beschäftigten ununterbrochen zu erheben und diese zur Erstellung von Quanti­täts­leistungs- und Quali­täts­leis­tungs­profilen sowie für Feedback­ge­spräche und Prozessanalysen zu nutzen. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die ununterbrochene Erhebung der entsprechenden Leistungsdaten der Beschäftigten rechtswidrig sei und gegen daten­schutz­rechtliche Bestimmungen verstoße.

Amazon: Datenerhebung für Einsatzplanung, Feedback und Perso­na­l­ent­schei­dungen erforderlich

Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrer Klage. Zur Begründung trug sie unter anderem vor, sie verstoße nicht gegen daten­schutz­rechtliche Bestimmungen. Vielmehr habe sie ein berechtigtes Interesse an der Datenerhebung und Daten­ver­a­r­beitung. So würden aktuelle und minutengenaue individuelle Leistungswerte bei der Steuerung der Logis­tik­prozesse kurzfristig dazu benötigt, um auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Verschiebungen reagieren zu können. Anhand der aktuellen Leistungswerte der Mitar­bei­te­rinnen und Mitarbeiter könne sie erkennen, ob Mitarbeitende an einem bestimmten Tag besonders schnell oder besonders langsam arbeiteten und hierauf durch Umverteilung reagieren. Mittelfristig würden zurückliegende individuelle Leistungswerte benötigt, um die konstanten Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden zuverlässig erfassen und bei der flexiblen Einsatzplanung berücksichtigen zu können. Zudem ermögliche diese Vorgehensweise die Schaffung objektiver und fairer Bewer­tungs­grundlagen für Feedback und Perso­na­l­ent­schei­dungen. Den Mitar­bei­te­rinnen und Mitarbeitern könne objektives und individuell leistungs­be­zogenes Feedback gegeben werden, das nicht durch subjektive Wahrnehmungen beeinflusst sei.

Gericht folgt Argumentation von Amazon

Das Gericht ist der Auffassung, dass die Daten­ver­a­r­beitung für alle drei Zwecke - Steuerung der Logis­tik­prozesse, Steuerung der Qualifizierung und Schaffung von Bewer­tungs­grundlagen für individuelles Feedback und Perso­na­l­ent­schei­dungen - erforderlich ist. Hinsichtlich der Optimierung der Logis­tik­prozesse leuchte der Kammer ohne weiteres ein, dass die Klägerin die verarbeiteten Daten dazu nutzen kann, um auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Verschiebungen von Beschäftigten ad hoc zu reagieren und so den reibungsfreien Ablauf aller Prozesse innerhalb des Fulfillment Centers, das auf die Auslieferung der Ware zu einem genau definierten Zeitpunkt (Cut-Off-Zeitpunkt) ausgerichtet ist, zu garantieren. Auch könne die Klägerin indivi­du­a­li­sierte Quali­fi­zie­rungs­bedarfe der Beschäftigten schnell detektieren und auf diese reagieren. Schließlich verschafften die erhobenen Daten eine breite und objektive Grundlage für Feedback und Personal- und Beför­de­rungs­ent­schei­dungen.

Hauptzweck der Datenerhebung liegt in der Steuerung der Logistikabläufe

Nach Auffassung des Gerichts steht der durch die Überwachung der Beschäftigten bedingte Eingriff in das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung der Beschäftigten nicht außer Verhältnis zu den schützenswerten Interessen der Klägerin, so dass der Eingriff auch angemessen sei: Unter Berück­sich­tigung der vorliegenden Erkenntnisse und nach der Befragung der Zeugen - der früheren Betrie­bs­rats­vor­sit­zenden und des jetzigen Betrie­bs­rats­vor­sit­zenden, geht nach Auffassung des Gerichts eine Abwägung der gegenläufigen Interessen hier zu Gunsten der Klägerin aus. Das Gericht hat dabei unter anderem berücksichtigt, dass keine heimliche Datenerhebung erfolgt, die Beschäftigten die Datenerhebung vielmehr vorhersehen können und wissen, dass die Klägerin die Daten für die logistischen Prozesse benötigt. Zudem finde keine Verhal­tens­kon­trolle statt, die Kommunikation und physische Bewegungen würden nicht erfasst, vielmehr finde "nur" eine Leistungs­kon­trolle statt. Die Privatsphäre sei nicht betroffen. Außerdem sei der Hauptzweck der Datenerhebung nicht die Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten, sondern die Steuerung der Logistikabläufe. Schließlich werde die Möglichkeit objektiven Feedbacks und fairer Perso­na­l­ent­schei­dungen von vielen Beschäftigten als positive Wirkung der Überwachung gewertet; dies hätten auch die Zeugen bestätigt, die deutlich gemacht hätten, dass die Überwachung kein besonderes Thema im Betrieb sei. Das Gericht hat die Berufung zum OVG Lüneburg zugelassen.

Quelle: Verwaltungsgericht Hannover, ra-online (pm/ab)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil32646

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI