15.11.2024
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Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Urteil10.05.2006

Jeder hat Anspruch auf Erhalt von Umwelt­in­for­ma­tionen

Das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main hat der Klage der Degussa AG gegen die Stadt Frankfurt am Main wegen Umwelt­in­for­ma­tionen bezüglich des Westha­fen­ge­ländes im Wesentlichen stattgegeben.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstückes in der Nähe des Neubaugebietes am sog. Frankfurter Westhafen. Investor ist die Grund­s­tücks­ge­sell­schaft Westhafen GmbH, die die zur Bebauung anstehenden Grundstücke von der Beklagten im Jahre 1994 erworben hat. Das Gericht hat sie dem Verfahren beigeladen. Die Stadt Frankfurt am Main hat im Jahre 1999 den Bebauungsplan Nr. 717 für das Gebiet des Westhafens aufgestellt und im selben Jahr mit der Grund­s­tücks­ge­sell­schaft Westhafen GmbH einen Erschlie­ßungs­vertrag abgeschlossen. Die Klägerin behauptet, es gebe u. a. eine Zusatz­ver­ein­barung mit den Vertrags­partnern des Erschlie­ßungs­vertrags und der Westha­fen­pro­jekt­ent­wicklungs- GmbH, in der sich die Grund­s­tücks­ge­sell­schaft Westhafen GmbH verpflichtet habe, im Hinblick auf etwaige, auf den von der Stadt Frankfurt am Main erworbenen Grundstücken vorgefundene Umwelt­ver­un­rei­ni­gungen alle potentiellen(Mit-)verursacher zivilrechtlich in Anspruch zu nehmen. In diesem Zusammenhang sei ein zwischen der Degussa AG und der Grund­s­tücks­ge­sell­schaft Westhafen GmbH vor dem Landgericht Frankfurt am Main geführter Rechtsstreit zu sehen. Die Grund­s­tücks­ge­sell­schaft Westhafen GmbH klage vor dem Landgericht Frankfurt am Main, gestützt auf § 22 Wasser­haus­halts­gesetz, wegen angeblicher Cyanid­ver­un­rei­ni­gungen im Grundwasser auf ihren Grundstücken (das Verfahren ist bereits vor dem OLG Frankfurt am Main anhängig).

Die im Verfahren vor dem Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main erstrebte Infor­ma­ti­o­ns­be­schaffung diene dazu, ein faires Verfahren vor dem Landgericht überhaupt erst zu ermöglichen. Die Klägerin begehrt die Einsichtnahme in sämtliche beim Stadt­pla­nungsamt vorhandenen Unterlagen im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bebauungsplans und der Erschließung des Westha­fen­ge­ländes einschließlich der Protokolle über die Besprechungen zwischen den Vertretern der Stadt Frankfurt am Main und der Grund­s­tücks­ge­sell­schaft Westhafen GmbH. Die Beklagte vertritt u. a. die Ansicht, die Ordner enthielten keine Umwelt­in­for­ma­tionen i. S. d. genannten EU-Richtlinie und beruft sich auch auf "geschützte Geheimnisse, Datenschutz". Die Bespre­chungs­pro­tokolle mit Vertrags­partnern seien intern und nicht geeignet, sie in der Öffentlichkeit auszubreiten.

Das Gericht hat die Stadt Frankfurt am Main nun verpflichtet, der Klägerin (Degussa AG) binnen eines Monats nach Rechtskraft des Urteils Einsicht in bestimmte Ordner betreffend das Aufstel­lungs­ver­fahren für den Bebauungsplan Nr. 717 für das Westha­fen­gelände zu gewähren, soweit diese Umwelt­in­for­ma­tionen im Sinne der EU-Umwelt­in­for­ma­ti­o­ns­richtlinie vom 28.01.2003 enthalten.

Ferner wurde die Beklagte verpflichtet, der Klägerin binnen eines Monats nach Rechtskraft des Urteils Einsicht in den Erschlie­ßungs­vertrag zwischen der Beklagten und der dem Verfahren beigeladenen Grund­s­tücks­ge­sell­schaft Westhafen GmbH vom 23./26.08.1999 durch Überlassung einer Kopie zu gewähren, soweit dieser Erschlie­ßungs­vertrag Umwelt­in­for­ma­tionen der vorbezeichneten Art enthält. Zur Sicherung des Infor­ma­ti­o­ns­an­spruchs der Klägerin hat die Beklagte die entsprechenden Verfahrensakten zu paginieren und die Akten­be­standteile, die nach Ansicht der Beklagten keine Umwelt­in­for­ma­tionen enthalten, durch Angabe der Seitenzahlen und einer stich­wort­artigen Beschreibung des Inhalts im einzelnen aufzulisten. Eine Abschrift der Liste ist der Klägerin zu überlassen.

Die von der Klägerin weiterhin begehrte Einsicht in die beim Stadt­pla­nungsamt der Beklagten vorhandenen Unterlagen zum Aufstel­lungs­ver­fahren des Bebauungsplans Nr. 717 für das Westha­fen­gelände war in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten zugestanden worden, ohne dass es insoweit noch einer Sachent­scheidung des Gerichts bedurfte.

Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass die so genannte „EUUmwelt­in­for­ma­ti­o­ns­richtlinie“ (Richtlinie 203/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umwelt­in­for­ma­tionen) jedermann einen Anspruch auf Erhalt von Umwelt­in­for­ma­tionen gebe, der plausibel darlege, dass in bestimmten Akten Umwelt­in­for­ma­tionen enthalten seien. Obwohl Richtlinien der Europäischen Union sich grundsätzlich nur an die Mitglieds­s­taaten der EU richteten, die innerhalb einer bestimmten Frist diese Richtlinien in nationales Recht umzusetzen hätten, sei die EU-Umwelt­in­for­ma­ti­o­ns­richtlinie vorliegend mangels landes­ge­setz­licher Umsetzung unmittelbar anwendbar. Die Klägerin habe auch plausibel dargelegt, dass in den von ihr bezeichneten Akten Umwelt­in­for­ma­tionen enthalten sein dürften; dies liege darüber hinaus beim Westha­fen­gelände auf der Hand.

Entgegen dem Vorbringen der Beklagten sei das Begehren der Klägerin auch nicht offensichtlich rechts­miss­bräuchlich, so dass der Antrag auf Zugang zu den Umwelt­in­for­ma­tionen im Hinblick auf Art. 4 der Richtlinie von ihr abgelehnt werden könnte. Es stelle vielmehr ein legitimes Interesse dar, sich Informationen für einen laufenden Zivilprozess beschaffen zu wollen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 15+16/06 des VG Frankfurt/Main vom 11.05.2006

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