15.11.2024
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Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.

Dokument-Nr. 2815

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Urteil21.06.2006Verfassungsgerichtshof Baden-WürttembergA 2 S 571/05
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Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil21.06.2006

Christen dürfen in den Irak abgeschoben werdenIraker sind im kurdisch regierten Landesteil sicher vor politischer Verfolgung

Irakische Staats­an­ge­hörige christlichen (chaldäischen) Glaubens sind zwar mit beachtlicher Wahrschein­lichkeit bei einer Rückkehr nach Bagdad oder in den Süden des Iraks einer politischen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, sie sind jedoch in den kurdisch regierten Landesteilen im Norden des Iraks hinreichend sicher vor politischer Verfolgung. Dies hat der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg in einem Grundsatzurteil entschieden und - in Übereinstimmung mit dem Verwal­tungs­gericht Freiburg - den Widerruf eines asylrechtlichen Abschie­bungs­schutzes bestätigt.

Der Kläger, ein irakischer Staats­an­ge­höriger christlichen Glaubens aus Bagdad, reiste im November 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er wurde als politischer Flüchtling anerkannt, weil er wegen der Stellung eines Asylantrags mit Verfolgung durch das Baath-Regime Sadam Husseins rechnen musste. Diesen Verfol­gungs­schutz (sog. "kleines Asyl") widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im März 2004. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwal­tungs­gericht ab. In dem vom Verwal­tungs­ge­richtshof zugelassenen Berufungs­ver­fahren trug der Kläger vor, er sei als praktizierender Christ und Angehöriger der christlich-chaldäischen Minderheit im Irak Übergriffen der muslimischen Bevöl­ke­rungs­mehrheit ausgesetzt. Die gegenwärtige Staatsmacht im Irak könne ihn vor diesen Übergriffen nicht schützen.

Nach Auffassung des Gerichts liegen die Voraussetzungen für einen asylrechtlichen Abschie­bungs­schutz nicht mehr vor, weshalb dieser vom Bundesamt zwingend zu widerrufen war. Der Kläger habe derzeit bei einer Rückkehr in den Irak keine politische Verfolgung durch das Baath-Regime mehr zu befürchten.

Als Angehöriger der chaldäischen Glaubens­ge­mein­schaft drohe ihm zwar bei einer Rückkehr nach Bagdad mit beachtlicher Wahrschein­lichkeit asylerhebliche Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure. Dies werde insbesondere durch die systematischen Angriffe im Jahr 2004 auf verschiedene christliche Kirchen und deren Würdenträger deutlich, die in erster Linie die Störung der Religi­o­ns­ausübung verschiedener christlicher Gemeinden namentlich in Bagdad zum Ziel gehabt hätten.

Eine Verfolgung müsse der Kläger bei Rückkehr in den Irak jedoch deshalb nicht befürchten, weil er in den kurdisch regierten Landesteilen im Norden des Iraks eine innerstaatliche Fluchtal­ter­native habe. Die Sicherheitslage im Nordirak werde allgemein als "stabil" bezeichnet und das Verhältnis zwischen Kurden und Christen sei von gegenseitiger Toleranz geprägt. Auch bemühe sich der nordirakische Teilstaat um eine Integration der assyro-chaldäischen Christen. Christliche Familien erhielten Sozialhilfe von der Demokratischen Partei Kurdistan und Grundstücke sowie Mittel für den Hausbau von der Patriotischen Union Kurdistans. Assyro-Chaldäer hätten zudem ein eigenes Schulsystem und Medien in neuaramäischer Sprache. Bis Ende Januar 2006 seien etwa 3500 assyro-chaldäische Familien, d.h. mehr als 18.000 Menschen, in den Norden des Iraks geflüchtet, wo unter anderem 30 neue Dörfer sowie Straßen und Bewäs­se­rungs­systeme für sie gebaut worden seien. Die Bundesrepublik sei deshalb auch im Januar 2006 aufgefordert worden, die Programme für die Ansiedlung christlicher Flüchtlinge im Nordirak finanziell zu unterstützen. Angesichts dieser Umstände sei davon auszugehen, dass auch der Kläger mit seiner vierköpfigen Familie dort eine Lebensgrundlage finden könne. Ein Abschiebeschutz wegen der allgemein unsicheren Lage, der Gefahr terroristischer Anschläge und der wirtschaftlich schlechten Lebensumstände komme nicht in Betracht, da hiervon die gesamte Bevölkerung des Iraks betroffen sei und diesem Umstand in Baden-Württemberg durch eine Duldung Rechnung getragen werde. Zudem sei der Kläger auf einen Abschiebeschutz auch nicht angewiesen, da sein weiterer Aufenthalt durch die erteilte Nieder­las­sungs­er­laubnis gesichert sei.

Erläuterungen
Da der Verwal­tungs­ge­richtshof auf der Grundlage zahlreicher Erkennt­nis­mittel eine innerstaatliche Fluchtal­ter­native für chaldäische Christen im Irak angenommen hat, steht diese Entscheidung auch nicht in Widerspruch zu der jüngst vom Bundes­ver­wal­tungs­gericht bekannt gegebenen Entscheidung. Mit dieser Entscheidung hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht eine den Widerruf einer Asylanerkennung bestätigende Entscheidung des Bayrischen Verwal­tungs­ge­richtshofs aufgehoben und mit der Begründung zurückverwiesen, das Gericht habe die Gefahr einer privaten Gruppen­ver­folgung von Christen im Irak auf einer zu schmalen Tatsa­chen­fest­stellung beurteilt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 02.

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