Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger christlichen Glaubens aus Bagdad, reiste im November 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er wurde als politischer Flüchtling anerkannt, weil er wegen der Stellung eines Asylantrags mit Verfolgung durch das Baath-Regime Sadam Husseins rechnen musste. Diesen Verfolgungsschutz (sog. "kleines Asyl") widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im März 2004. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. In dem vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufungsverfahren trug der Kläger vor, er sei als praktizierender Christ und Angehöriger der christlich-chaldäischen Minderheit im Irak Übergriffen der muslimischen Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt. Die gegenwärtige Staatsmacht im Irak könne ihn vor diesen Übergriffen nicht schützen.
Nach Auffassung des Gerichts liegen die Voraussetzungen für einen asylrechtlichen Abschiebungsschutz nicht mehr vor, weshalb dieser vom Bundesamt zwingend zu widerrufen war. Der Kläger habe derzeit bei einer Rückkehr in den Irak keine politische Verfolgung durch das Baath-Regime mehr zu befürchten.
Als Angehöriger der chaldäischen Glaubensgemeinschaft drohe ihm zwar bei einer Rückkehr nach Bagdad mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure. Dies werde insbesondere durch die systematischen Angriffe im Jahr 2004 auf verschiedene christliche Kirchen und deren Würdenträger deutlich, die in erster Linie die Störung der Religionsausübung verschiedener christlicher Gemeinden namentlich in Bagdad zum Ziel gehabt hätten.
Eine Verfolgung müsse der Kläger bei Rückkehr in den Irak jedoch deshalb nicht befürchten, weil er in den kurdisch regierten Landesteilen im Norden des Iraks eine innerstaatliche Fluchtalternative habe. Die Sicherheitslage im Nordirak werde allgemein als "stabil" bezeichnet und das Verhältnis zwischen Kurden und Christen sei von gegenseitiger Toleranz geprägt. Auch bemühe sich der nordirakische Teilstaat um eine Integration der assyro-chaldäischen Christen. Christliche Familien erhielten Sozialhilfe von der Demokratischen Partei Kurdistan und Grundstücke sowie Mittel für den Hausbau von der Patriotischen Union Kurdistans. Assyro-Chaldäer hätten zudem ein eigenes Schulsystem und Medien in neuaramäischer Sprache. Bis Ende Januar 2006 seien etwa 3500 assyro-chaldäische Familien, d.h. mehr als 18.000 Menschen, in den Norden des Iraks geflüchtet, wo unter anderem 30 neue Dörfer sowie Straßen und Bewässerungssysteme für sie gebaut worden seien. Die Bundesrepublik sei deshalb auch im Januar 2006 aufgefordert worden, die Programme für die Ansiedlung christlicher Flüchtlinge im Nordirak finanziell zu unterstützen. Angesichts dieser Umstände sei davon auszugehen, dass auch der Kläger mit seiner vierköpfigen Familie dort eine Lebensgrundlage finden könne. Ein Abschiebeschutz wegen der allgemein unsicheren Lage, der Gefahr terroristischer Anschläge und der wirtschaftlich schlechten Lebensumstände komme nicht in Betracht, da hiervon die gesamte Bevölkerung des Iraks betroffen sei und diesem Umstand in Baden-Württemberg durch eine Duldung Rechnung getragen werde. Zudem sei der Kläger auf einen Abschiebeschutz auch nicht angewiesen, da sein weiterer Aufenthalt durch die erteilte Niederlassungserlaubnis gesichert sei.
Erläuterungen
Da der Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage zahlreicher Erkenntnismittel eine innerstaatliche Fluchtalternative für chaldäische Christen im Irak angenommen hat, steht diese Entscheidung auch nicht in Widerspruch zu der jüngst vom Bundesverwaltungsgericht bekannt gegebenen Entscheidung. Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht eine den Widerruf einer Asylanerkennung bestätigende Entscheidung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben und mit der Begründung zurückverwiesen, das Gericht habe die Gefahr einer privaten Gruppenverfolgung von Christen im Irak auf einer zu schmalen Tatsachenfeststellung beurteilt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.08.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VGH Baden-Württemberg vom 02.