21.11.2024
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Dokument-Nr. 5097

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Sächsisches Landesarbeitsgericht Urteil02.11.2007

Tarifautonomie geht vor Tarifeinheit: Streikverbot gekippt - Lokführer erhalten volles StreikrechtEs darf auch gestreikt werden, wenn im Betrieb schon ein Tarifvertrag mit einer Konkur­renz­ge­werk­schaft existiert

Das Sächsische Landes­a­r­beits­gericht (LAG) hat im Berufungs­ver­fahren das erstin­sta­nzliche Urteil zum Streikverbot im Güter- und Fernverkehr aufgehoben und damit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) das Streikrecht im gesamten Schienenverkehr der Deutschen Bahn zugesprochen.

Das Arbeitsgericht Chemnitz hatte es der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer, die bei der DB Fernverkehr AG oder der Railion Deutschland AG beschäftigt sind, zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben dieser beiden Unternehmen durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit bestimmten in einer Anlage genannten Inhalten durchzusetzen. Die dagegen eingelegte Berufung der GDL hatte bei dem Landes­a­r­beits­gericht Erfolg. Ohne Erfolg blieben hingegen die Berufungen der DB RegioNetz Verkehrs GmbH, der DB Regio AG sowie des Arbeit­ge­ber­ver­bandes der Mobilitäts- und Verkehrs­dienst­leister e.V. (fortan: Bahn) gegen dasselbe Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz, mit denen die Bahn die Untersagung von Streiks auch auf die DB Regio NRW GmbH, die S-Bahn Hamburg GmbH, die S-Bahn Berlin GmbH sowie die DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH erstrecken wollte.

Im Ergebnis sind damit Streiks im gesamten Bahnverkehr zulässig.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Selbst der Grundsatz der Tarifeinheit steht dem Nebeneinander mehrerer konkurrierender Gewerkschaften nicht entgegen. Vielmehr setzt er Tarifpluralität, also den Abschluss mehrerer Tarifverträge über denselben Regelungs­ge­genstand gerade voraus. Dementsprechend ist es einer Koalition unbenommen, sich um den Abschluss eines spezielleren, einen konkurrierenden Tarifvertrag verdrängenden Tarifvertrag zu bemühen.

Würde jedes Mal, wenn der Arbeitgeber nicht freiwillig zu Tarif­ver­hand­lungen mit einer Gewerkschaft bereit ist, bereits bei der Frage der Zulässigkeit/Verhält­nis­mä­ßigkeit eines Streiks auf einen Tarifvertrag abgestellt, über den noch inhaltlich verhandelt werden muss und dessen abschließender Inhalt noch gar nicht feststeht, würde eine nicht zu rechtfertigende Vorverlagerung der Prüfung des Tarifvorrangs stattfinden.

Eine Störung der Tarifparität ist für die Kammer nicht erkennbar. Abgesehen davon, dass die Verfü­gungs­klä­ge­rinnen (Anmerkung: die Bahn) noch gar keine Kampfmittel ergriffen haben, wäre die Möglichkeit einer Aussperrung zwar schwierig, aber wie in der mündlichen Verhandlung angesprochen, nicht schon ausgeschlossen.

Zentraler Bewer­tungs­maßstab für die Zulässigkeit des Streiks ist daher der Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit im weiteren Sinn. Bei der Ausgestaltung des Arbeits­kampfrechts haben die Gerichte insbesondere zu beachten, dass jegliche Reglementierung zugleich eine Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betäti­gungs­freiheit darstellt, die der verfas­sungs­recht­lichen Rechtfertigung bedarf. Aus der Bedeutung des Art. 9 Abs. 3 GG als Freiheitsrecht der Koalitionen und der Staatsferne der Koali­ti­o­ns­freiheit folgt, dass die Wahl der Mittel, welche die Koalition zur Erreichung des Zwecks der Regelungen für geeignet halten, den Koalitionen selbst obliegt. Es ist grundsätzlich den Tarif­ver­trags­parteien selbst überlassen, ihre Kampfmittel an sich wandelnde Umstände anzupassen. Eine Bewertung von Arbeits­kampf­maß­nahmen durch die Fachgerichte als rechtswidrig kommt deshalb grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine Arbeits­kampf­maßnahme offensichtlich ungeeignet und unver­hält­nismäßig ist. Was im hier zu entscheidenden Fall nicht gegeben ist.“

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 02.11.2007

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