15.11.2024
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Sozialgericht Dresden Beschluss12.09.2007

Hartz III: Diskriminierung der Elternzeit verfas­sungs­widrig?Vorla­ge­be­schluss des Sozialgerichts Dresden an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht

Das Sozialgericht Dresden hält die Schlech­ter­stellung von arbeitslosen Eltern nach der Elternzeit für verfas­sungs­widrig. Die 29. Kammer hat daher eine Regelung aus den „Hartz III“-Gesetzen dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht vorgelegt.

Die 37 Jahre alte Klägerin war als Buchhalterin im Controlling tätig, bevor sie im Februar 2003 einen Sohn bekam. Sie erhielt bis November 2005 Erziehungsgeld. Sie lebt in Dresden und ist alleinerziehend. Ihr Arbeits­ver­hältnis wurde aufgelöst. Im Dezember 2005 meldete sie sich arbeitslos. Die beklagte Agentur für Arbeit Dresden bewilligte ihr 775 € Arbeits­lo­sengeld monatlich. Die Klägerin hatte in den letzten zwei Jahren vor der Arbeits­lo­sigkeit nicht mindestens 150 Tage gearbeitet. Daher griff die Beklagte als Bemes­sungs­entgelt auf eine Pauschale zurück. Diese wird nach einer Einteilung in vier Quali­fi­ka­ti­o­ns­gruppen bestimmt. Die Klägerin fiel mit abgeschlossener Ausbildung in die (zweit­schlechteste) Quali­fi­ka­ti­o­ns­gruppe 3. Dies ergibt sich aus einer mit der „Hartz III“-Reform eingeführten Vereinfachung der Rechtslage. Das Sozialgericht Dresden sah hierin eine verfas­sungs­widrige Schlech­ter­stellung der Klägerin gegenüber Eltern, die ihre Kinder betreuen lassen und arbeiten gehen. Wäre ihr bisheriges Gehalt berücksichtigt worden, hätte die Klägerin über 1.100 € Arbeits­lo­sengeld monatlich erhalten müssen. Das sind über 40 % mehr, als sie tatsächlich erhielt. Diese Benachteiligung verstößt gegen das Gleich­heitsgebot und das Grundrecht auf Schutz der Familie. Die 29. Kammer des Sozialgerichts Dresden hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Prüfung der Verfas­sungs­mä­ßigkeit des Gesetzes vorgelegt.

Ursula Pfeufer, Vorsitzende der 29. Kammer: „Gegen eine Vereinfachung des Leistungs­rechtes durch die „Hartz III“-Reform ist allgemein nichts einzuwenden. Allerdings müssen die Grundwerte des Grundgesetzes beachtet werden. Die Familie steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit ist es unvereinbar, dass ein Elternteil, der sich nach der Geburt uneingeschränkt seinem Kind widmet, finanziell schlechter dasteht, als wenn er arbeiten geht. Hier wird die Vollzeit­be­treuung gegenüber der Berufstätigkeit von Eltern benachteiligt.“

Erläuterungen
Aus dem Dritten Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB III)(neu gefasst durch „Hartz III“ ab 01.01.2005):

„§ 130 Bemes­sungs­zeitraum und Bemes­sungs­rahmen

(1) Der Bemes­sungs­zeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäf­ti­gungs­ver­hältnis abgerechneten Entgel­t­a­b­rech­nungs­zeiträume der versi­che­rungs­pflichtigen Beschäftigungen im Bemes­sungs­rahmen. Der Bemes­sungs­rahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versi­che­rungs­pflicht­ver­hält­nisses vor der Entstehung des Anspruchs.

(2) Bei der Ermittlung des Bemes­sungs­zeitraums bleiben außer Betracht(...)

3. Zeiten, in denen der Arbeitslose Elterngeld bezogen oder Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berück­sich­tigung von Einkommen nicht bezogen hat oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat, wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die durch­schnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war,(...)

(3) Der Bemes­sungs­rahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn

1. der Bemes­sungs­zeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält oder

2. es mit Rücksicht auf das Bemes­sungs­entgelt im erweiterten Bemes­sungs­rahmen unbillig hart wäre, von dem Bemes­sungs­entgelt im Bemes­sungs­zeitraum auszugehen. Satz 1 Nr. 2 ist nur anzuwenden, wenn der Arbeitslose dies verlangt und die zur Bemessung erforderlichen Unterlagen vorlegt.

§ 132 Fiktive Bemessung

(1) Kann ein Bemes­sungs­zeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemes­sungs­rahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemes­sungs­entgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen.

(2) Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Quali­fi­ka­ti­o­ns­gruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermitt­lungs­be­mü­hungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Dabei ist zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die

1. eine Hochschul- oder Fachhoch­schul­aus­bildung erfordern (Quali­fi­ka­ti­o­ns­gruppe 1), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße,

2. einen Fachschul­ab­schluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung erfordern (Quali­fi­ka­ti­o­ns­gruppe 2), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihun­dert­sech­zigstel der Bezugsgröße,

3. eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbil­dungsberuf erfordern (Quali­fi­ka­ti­o­ns­gruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhun­dert­fünf­zigstel der Bezugsgröße,

4. keine Ausbildung erfordern (Quali­fi­ka­ti­o­ns­gruppe 4), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechs­hun­dertstel der Bezugsgröße.“

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des SG Dresden vom 24.10.2007

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