21.11.2024
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Sozialgericht Detmold Urteil09.04.2010

Hartz IV: ARGE muss Kosten für Schüler­mo­natskarte übernehmenGericht setzt erstmals Härte­fa­ll­grundsätze des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts um

Das Sozialgericht Detmold hat eine ARGE ab Februar 2010 zur Übernahme der Kosten von Schüler­mo­nats­fahrten verurteilt und damit erstmals die vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht aufgestellten Härte­fa­ll­grundsätze für Hartz-IV-Empfänger in Anwendung gebracht.

Im zugrunde liegenden Fall klagten zwei Mitglieder einer Hartz-IV-Bedarfs­ge­mein­schaft, die die gymnasiale Oberstufe einer ca. 4,8 km entfernten Gesamtschule besuchten. Ihren Antrag auf Übernahme der Fahrtkosten (ca. 80 EUR pro Monat) hatte die beklagte ARGE abgelehnt, da sie ihrer Meinung nach aus der Regelleistung zu bestreiten seien.

Schüler­fahr­karten sind laufender Bedarf zur Deckung des menschen­würdigen Existenz­mi­nimums

Dieser Ansicht folgte das Sozialgericht Detmold nicht und sah in den Schüler­fahr­karten einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf zur Deckung des menschen­würdigen Existenz­mi­nimums, der zur Anwendung der Anspruchs­grundlage Artikel 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Artikel 20 GG führt.

Bild kommt bei Gewährleistung menschen­würdigen Existenz­mi­nimums Schlüsselrolle zu

Die Gewährleistung eines menschen­würdigen Existenz­mi­nimums umfasst nämlich dabei nicht nur die Erhaltung der physischen Existenz, sondern auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischen­mensch­licher Beziehung und zur Teilnahme am gesell­schaft­lichen, kulturellen und politischen Leben. Hierbei kommt der Bildung - so das Sozialgericht - eine Schlüsselrolle zu, die ihre besondere Bedeutung für die persönliche Entwicklung des Einzelnen als auch der Gesellschaft unterstreicht.

Auch materielle Voraussetzungen für Chancen­gleichheit bei der Bildung müssen geschaffen werden

Der auch vom Grundgesetz und den Schulgesetzen geforderte gleich­be­rechtigte Zugang zu den Bildungs­ein­rich­tungen würde jedoch ohne die Gewährleistung der hierfür notwendigen finanziellen Rahmen­be­din­gungen wertlos und verkäme zur leeren Hülse. Durch viele Studien in den letzten Jahren sei belegt, dass Kinder und Jugendliche aus ärmeren Haushalten nicht dieselben Chancen hätten, am Bildungserfolg teilzunehmen, wie Kinder und Jugendliche von besser situierten Eltern. Der Zugang zur Bildung sei nach den Ausführungen des Sozialgerichts zentrale Aufgabe des Einsatzes öffentlicher Mittel, da dadurch auch die Zukunfts­per­spektive des Landes maßgeblich beeinflusst werde. Damit der Zugang zur Bildung allen Kindern und Jugendlichen nicht nur formal gleich­be­rechtigt offen stehe, müssten auch die materiellen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Angebote tatsächlich beanspruchen zu können. Durch die Übernahme der Schüler­fahrt­kosten sah die Kammer allein eine Chancengleichheit zwar nicht verwirklicht, da hier auch andere nicht materielle Faktoren die Teilha­bemög­lichkeit erschwerten. Gleichwohl würden hierdurch die Chancen, am Bildungserfolg teilzunehmen, zumindest merklich verbessert.

Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel für Schulwegstrecke nicht unangemessen

Bei der Entfernung zum Schulort handelt es sich – so das Sozialgericht – auch nach allgemeiner Lebenserfahrung zudem um eine Wegstrecke, die anders als früher in der Regel auch von Schülern aus einkom­mens­schwä­cheren Bevöl­ke­rungs­kreisen nicht mehr zu Fuß oder per Fahrrad bewältigt wird. Es sei deshalb nicht unangemessen, hierfür öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen, wenn man die Häufigkeit der Fahrten und die damit verbundenen Witte­rungs­ein­flüsse berücksichtige. Die mit dem Fußweg oder der Fahrradfahrt verbundenen Belastungen seien geeignet, sich negativ auf den schulischen Erfolg auszuwirken und damit die Teilhabechancen am Bildungserfolg zu verringern. Zudem könnten die mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verbundenen Kosten nicht so gut situierte Eltern davon abhalten, ihre Kinder die gymnasiale Oberstufe besuchen zu lassen, da sie sich den finanziellen Belastungen des Schulbesuchs, die sich letztendlich nicht nur aber auch in den Beför­de­rungs­kosten konkretisierten, nicht gewachsen fühlten.

Quelle: ra-online, SG Detmold

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