Kassenpatienten müssen oft mehrere Monate auf eine Psychotherapie warten – zu lange, wenn bei einer schwerwiegenden Erkrankung dringender Behandlungsbedarf besteht. Wer in der Not ohne Absprache mit seiner Krankenkasse auf eine private Therapie ausweicht, läuft indes Gefahr, auf seinen Kosten sitzen zu bleiben.
Im zugrunde liegenden Streitfall benötigte der Antragsteller aus Berlin-Pankow aufgrund einer schwerwiegenden Depression psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung. Ohne dies mit seiner gesetzlichen Krankenkasse abzusprechen, begann er im Dezember 2014 eine Verhaltenstherapie bei einer Psychotherapeutin, die von der Krankenkasse zur vertragsärztlichen Versorgung nicht zugelassen war.
Nachdem seine Krankenkasse eine Kostenübernahme abgelehnt hatte, beantragte er im Juni 2015 beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Kasse zur Kostentragung zu verpflichten.
Das Sozialgericht Berlin lehnte den Eilantrag ab. Gemäß dem Gesetz (§ 76 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V) bestehe grundsätzlich nur ein Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung durch zugelassene Leistungserbringer. Andere Ärzte dürften nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. Die Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Psychotherapeuten komme damit nur dann in Betracht, wenn der Versicherte auf eine Akutbehandlung angewiesen und ein zugelassener Leistungserbringer unter zumutbaren Bedingungen nicht erreichbar sei.
Im vorliegenden Fall bedürfe der Antragsteller zwar dringend einer Behandlung. Es sei jedoch nicht erkennbar, dass die von ihm in Anspruch genommene Therapie eine Akutbehandlung darstelle: Seine Depression bestehe seit 2011, die Behandlung habe jedoch erst im Dezember 2014 begonnen. Der zweite Termin sei erst drei Monate später im März 2015 gewesen. Seitdem finde lediglich eine Sitzung pro Monat statt.
Auch eine Versorgungslücke, die unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens ausnahmsweise zur Behandlung durch nicht zugelassene Therapeuten berechtige, liege nicht vor. Aufgrund der Notwendigkeit einer zügigen Behandlung habe die Krankenkasse eine gesteigerte Beratungspflicht gehabt. Dementsprechend habe sie dem Antragsteller mehrere Praxen und Terminvermittlungsstellen genannt. Zum einen sei nicht klar, ob der Antragsteller diese Stellen überhaupt kontaktiert habe. Zum anderen habe das Gericht von der Berliner Fortbildungsakademie für Psychotherapie die Auskunft erhalten, dass zwar grundsätzlich eine Wartezeit von drei bis sechs Monaten bestehe, bei besonderer Dringlichkeit aber ein zeitnahes Vorgespräch angeboten werde.
Es sei im übrigen angesichts des bisherigen Behandlungsverlaufs schon nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller die Wartezeit unzumutbar gewesen sei. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, warum nicht wenigstens zukünftig ein Wechsel der Therapeutin möglich sei. Von einem besonders schützenswerten Vertrauensverhältnis zwischen behandelnder Therapeutin und Antragsteller könne schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil bisher gerade einmal fünf Termine stattgefunden hätten, die Behandlungsdauer also sehr kurz gewesen sei.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 31.07.2015
Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online