21.11.2024
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Sozialgericht Berlin Urteil27.09.2013

Entschä­di­gungsrente für DDR-DopingopferVerabreichung von Dopingmitteln durch den Trainer an eine 16-Jährige stellt vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff dar

Die Verabreichung von Dopingmitteln durch den Trainer einer DDR- Kinder- und Jugend­sport­schule an eine damals 16jährige Kanu­leistungs­sportlerin stellt einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff dar. Es ist - jedenfalls im konkreten Einzelfall - davon auszugehen, dass die Sportlerin über die wahre Bedeutung der ihr verabreichten Mittel bewusst im Unklaren gelassen wurde. Insofern lag auch keine Einwilligung in das Doping vor. Wegen der aus dem Dopinggebrauch resultierenden gesund­heit­lichen und wirtschaft­lichen Folgen ist der Sportlerin eine Rente nach dem Opfer­entschädigungs­gesetz zu gewähren. Dies entschied das Sozialgericht Berlin.

Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1968 geborene Klägerin aus Berlin besuchte von 1982 bis 1988 in der DDR eine Kinder- und Jugend­sport­schule, wo sie als Kanutin trainierte. Seit sie 16 Jahre alt war, verabreichte ihr ihr Trainer "blaue Pillen", die wohl den Wirkstoff Oral-Turinabol enthielten, und auch die Antibabypille. Die Medikamente bewirkten eine Zunahme der Muskelmasse und der körperlichen Leistungs­fä­higkeit. Zeitweise war die Klägerin sogar Mitglied der DDR-Natio­nal­mann­schaft.

Klägerin erkrankt an Brust- und Hautkrebs

Mit 32 Jahren erkrankte die Klägerin an Brust- und später auch an Hautkrebs. Weitere Krankheiten und Beschwerden, auch psychischer Art, folgten.

Bundes­ver­wal­tungs­gericht gewährt finanzielle Einmalhilfe

Im Juni 2003 gewährte ihr das Bundes­ver­wal­tungsamt nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz eine finanzielle Einmalhilfe von 6.000 Euro.

Landesamt für Gesundheit und Soziales lehnt Antrag auf Gewährung von Rente nach dem Opferent­schä­di­gungs­gesetz ab

Im Juni 2006 beantragte die Klägerin beim Beklagten, dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) zusätzlich eine Rente nach dem Opferent­schä­di­gungs­gesetz. Sie trug vor, dass sie niemals gewusst habe, Dopings­ub­stanzen einzunehmen. Ihr Trainer habe ihr die blauen Pillen mit dem Hinweis gegeben, es handele sich um Vitamine. Für ihre gesund­heit­lichen Schäden sei das Doping in der DDR ursächlich. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, im konkreten Fall sei davon auszugehen, dass die damals immerhin schon 16jährige Klägerin in den Dopinggebrauch eingewilligt habe.

Sozialgericht entscheidet zugunsten der Klägerin

Im Juli 2007 hat die Klägerin hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Das Gericht stellte umfangreiche Ermittlungen an, unter anderem durch Einholung mehrerer medizinischer Sachver­stän­di­gen­gut­achten. Auf die mündliche Verhandlung, in der die Klägerin auch persönlich angehört worden war, entschied das Sozialgericht Berlin (in der Besetzung mit einer Berufsrichterin und zwei ehrenamtlichen Richtern) durch Urteil teilweise zugunsten der Klägerin.

Trainer ließ Klägerin über verabreichte Substanzen bewusst im Unklaren

Von einer Einwilligung der Klägerin in den Gebrauch von Dopingmitteln könne nicht ausgegangen werden. Die Klägerin sei von ihrem Trainer bewusst im Unklaren gelassen geworden, um was für Substanzen es sich eigentlich handelte. Sie sei zwar bereit gewesen, leistungs­för­dernde Vitamine zu sich zu nehmen, habe aber keine Vorstellung von der eigentlichen Bedeutung der Präparate und deren möglichen Spätfolgen gehabt. Bei dieser Einschätzung sei sowohl das jugendliche Alter zum Zeitpunkt des Dopings zu berücksichtigen gewesen als auch die besonderen Umstände der Trainings­si­tuation an einer DDR Jugend­sport­schule.

Gericht bejaht Kausalität zwischen Dopingeinnahme und Brust­kre­bs­er­krankung

Das Gericht gehe des weiteren von einer Kausalität zwischen der Dopingeinnahme und der Brust­kre­bs­er­krankung aus. Ein Zusammenhang zwischen dem Doping und weiteren Erkrankungen habe sich hingegen nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen lassen.

Anspruch auf Entschä­di­gungsrente besteht nur für Zeitraum mit Schädi­gungs­folgen mit einem Grad der Schädigung von 50

Ein Anspruch der Klägerin auf Entschä­di­gungsrente bestehe allerdings nach der Gesetzeslage nur für den Zeitraum, in dem die Schädi­gungs­folgen einen Grad der Schädigung von 50 (vergleichbar einem Grad der Schwer­be­hin­derung) ausgemacht haben. Dieser Zeitraum umfasse vorliegend ein halbes Jahr. Wegen des darüber hinaus geltend gemachten Anspruchs (also Leistungen für einen längeren Zeitraum aufgrund weiterer Schäden) sei die Klage abzuweisen gewesen.

Die strei­tent­schei­denden Vorschriften stammen aus dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG)

§ 1 Abs. 1 Satz 1:

Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes … infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person … eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesund­heit­lichen und wirtschaft­lichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundes­ver­sor­gungs­ge­setzes.

§ 1 Abs. 2 Nr. 1:

Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 steht gleich die vorsätzliche Beibringung von Gift.

§ 2 Abs. 1 Satz 1:

Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruch­stellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Gemäß § 10 a sind diese Vorschriften mit gewissen Einschränkungen auch auf schädigende Ereignisse in der DDR anwendbar.

Quelle: Sozialgericht Berlin/ra-online

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