21.11.2024
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Thüringer Oberverwaltungsgericht Urteil18.07.2006

Benut­zungs­ge­bühren für kommunale Kinder­ta­ges­ein­rich­tungen müssen die geringere Leistungs­fä­higkeit von kinderreichen oder finanzschwachen Familien berücksichtigenBenut­zungs­ge­bühren für Erfurter Kinder­ta­ges­ein­rich­tungen unwirksam

Der Normen­kon­trol­lantrag dreier Elternpaare aus Erfurt gegen die Regelungen der im Wesentlichen gleichlautenden Gebüh­ren­sat­zungen aus den Jahren 2001 und 2005 über die Höhe der Benut­zungs­ge­bühren für die Inanspruchnahme kommunaler Kinder­ta­ges­ein­rich­tungen in der Landes­hauptstadt Erfurt hatte vor dem Thüringer Oberlan­des­gericht Erfolg. Die Satzungs­be­stim­mungen zur Beitragshöhe (jeweils § 8 nebst Anlagen) sind für unwirksam erklärt worden.

Der Senat hat erhebliche Rechtsverstöße festgestellt. Nach bundes- und landes­recht­lichen Vorgaben müssen die sog. Elternbeiträge für die Inanspruchnahme von Kinder­ta­ges­ein­rich­tungen auf Grund einer sozialen Staffelung erhoben werden, die an das Einkommen (wirtschaftliche Leistungs­fä­higkeit) und die Kinderzahl anknüpft. Dem entsprechen die Regelungen der Stadt Erfurt nicht. Die Staffelung muss gewährleisten, dass tendenziell eine geringere wirtschaftliche Leistungs­fä­higkeit und eine höhere Kinderzahl zu einer Begünstigung hinsichtlich der Beitragshöhe führen bzw. dass - umgekehrt - jedenfalls eine Schlech­ter­stellung bei geringerer Leistungs­fä­higkeit oder höherer Kinderzahl nicht stattfindet.

Der Senat hat dargelegt, dass die in den tabellarischen Anlagen zu § 8 der Satzungen zum Ausdruck kommende Festlegung des maßgeblichen Einkommens der Sache nach nichts anderes bedeutet, als dass die Zahl der Kinder und die mit Versorgung und Unterhalt eines Kindes verbundene Minderung der wirtschaft­lichen Leistungs­fä­higkeit in die Beitrags­be­messung ausschließlich insoweit einfließen, als für das zweite und dritte Kind ein Freibetrag vom Einkommen in Höhe von 150 € in Abzug gebracht wird. Dieser Betrag liegt deutlich unter dem Mindestaufwand für Versorgung und Unterhalt eines Kindes (Existenzminimum). Zugleich wird nach den Satzungen das Kindergeld (154 € für das erste bis dritte, 179 € für jedes weitere Kind) dem Einkommen hinzugerechnet.

Die angegriffenen Kita-Gebühren verfehlen daher die Vorgaben einer sozialen Staffelung schon deswegen, weil sie zum einen dem 4. und jedem weiteren Kind keinerlei begünstigende Beachtung schenken und weil zum anderen durch die Hinzurechnung des Kindergelds von jeweils 179 € zum sonstigen Einkommen eine höhere wirtschaftliche Leistungs­fä­higkeit von Familien mit 4 und mehr Kindern im Vergleich zu Familien mit weniger Kindern unterstellt wird, ohne dass die finanzielle Belastung durch den Unter­halts­aufwand für das 4. und jedes weitere Kind auch nur im Ansatz berücksichtigt wird. Ungeachtet dessen wird die gesetzliche Vorgabe einer sozialen Staffelung auch bei geringerer Kinderzahl regelmäßig geradezu in ihr Gegenteil verkehrt. Dies hat der Senat an einigen Beispielen verdeutlicht und aufgezeigt, dass nach den Satzungs­be­stim­mungen der Stadt Erfurt bei der Ermittlung der Beitragshöhe für Familien mit mehreren Kindern generell ein höheres Einkommen zu Grunde gelegt wird, auch wenn diese Familien über ein im Übrigen gleich hohes (Erwerbs-)Einkommen wie Familien mit weniger Kindern verfügen. So fallen etwa Familien mit 1 oder 2 Kindern bei einem Erwer­b­s­ein­kommen von jeweils 1.390 € etwa in die Beitragsstufe IV, während Familien mit 3 oder 4 Kindern bei gleichem Erwer­b­s­ein­kommen der nächsthöheren Beitragsstufe V zugeordnet werden, d. h. höhere Kita-Gebühren zahlen müssen.

Erläuterung zur Berechnung: Dem Erwer­b­s­ein­kommen wird das jeweilige Kindergeld hinzugerechnet, für das 2. und 3. Kind wird jeweils ein Freibetrag von 150 € abgezogen. Das für die Beitragshöhe maßgebliche Einkommen beträgt demnach bei 1 Kind 1.544 € (1.390 € Erwer­b­s­ein­kommen + 154 € Kindergeld), bei zwei Kindern 1.548 € (1.390 € + 2x 154 € - 1x 150 Freibetrag), bei 3 Kindern 1.552 € (1.390 € + 3x 154 € - 2x 150 €) und bei 4 Kindern 1.731 € (1.390 € + [3x 154 € + 1x 179 €] - 2x 150). Die Beitragsstufe IV gilt für ein Einkommen bis zu 1.550 €, höhere Einkommen bis zu 1.800 € werden der nächsthöheren Beitragsstufe V zugeordnet.

Der Senat hält darüber hinaus die Heranziehung des sozia­l­hil­fe­recht­lichen Einkom­mens­be­griffs (vgl. § 76 Bundes­so­zi­a­l­hil­fe­gesetz - BSHG a. F., § 82 Sozial­ge­setzbuch XII - SGB XII) für rechtlich bedenklich. Bereits aus Prakti­ka­bi­li­täts­gründen dürften die Anforderungen des auf Typisierung und Pauschalierung angelegten § 90 Abs. 1 SGB VIII verfehlt werden. Der Senat äußert sich weiter zur Bemessung von Elternbeiträgen, insbesondere zu einem sachgerechten Einkom­mens­begriff. Der Senat hat zudem erhebliche Zweifel daran geäußert, ob § 20 Abs. 2 des neuen, am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Thüringer Kinder­ta­ges­ein­rich­tungs­ge­setzes (ThürKitaG) mit § 90 Abs. 1 SGB VIII in Einklang steht; im Gegensatz zu dieser den Landes­ge­setzgeber ermächtigenden Vorschrift lässt es das neue Gesetz genügen, dass eine Beitragsstaffel nur an eines der beiden Merkmale "Einkommen" bzw. "Anzahl der Kinder" anknüpft (und nicht kumulativ an beide Merkmale).

Die Entscheidung im Normen­kon­troll­ver­fahren ist allgemein verbindlich, sie gilt also nicht nur im Verhältnis zu denjenigen Gebüh­ren­schuldnern, die den Antrag gestellt haben.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OVG Thüringen vom 22.09.2006

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