18.10.2024
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Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil05.02.2015

Anfertigung von polizeilichen Video-Übersichts­auf­nahmen von Versammlungen stellt Eingriff in verfassungs­recht­lich geschützte Versammlungs­frei­heit darFür Übersichts­auf­nahmen ist gesetzliche Grundlage erforderlich

Auch durch die Anfertigung von bloßen Übersichts­auf­nahmen einer Versammlung durch die Polizei, die von einer Kamera auf einen Monitor bei der Einsatzleitung in Echtzeit übertragen und nicht aufgezeichnet und gespeichert werden, wird in die verfassungs­recht­lich geschützte Versammlungs­frei­heit eingegriffen, so dass es hierfür einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Dies entschied das Ober­verwaltungs­gericht.

Dem Streitfall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 24. März 2012 fand in Bad Neuenahr-Ahrweiler eine vom Kläger angemeldete und geleitete Versammlung unter dem Motto "Keine Straße, keine Stadt, kein Haus für Nazis" statt. Anlass war das sogenannte "Braune Haus", das dort seinerzeit von Mitgliedern einer rechtsextremen Organisation bewohnt und als Zentrale genutzt wurde. Die Polizei setzte einen mit einer Kamera ausgestatteten Übertra­gungswagen ein, mit dem sie zur Lageo­ri­en­tierung Übersichts­auf­nahmen der Versammlung anfertigte, die von der Kamera auf einen Monitor der Einsatzleitung übertragen, aber nicht aufgezeichnet und gespeichert wurden.

Kläger hält polizeiliche Bildaufnahmen für rechtswidrig

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die polizeilichen Bildaufnahmen der Versammlung rechtswidrig waren. Das Verwal­tungs­gericht wies die Klage wegen fehlenden Feststel­lungs­in­teresses des Klägers als unzulässig ab.

OVG bejaht Rechts­wid­rigkeit der Übersichts­auf­nahmen

Auf seine Berufung gab das Oberver­wal­tungs­gericht Rheinland-Pfalz der Klage hingegen statt. Die Klage sei zulässig. Der Kläger habe ein berechtigtes Interesse an der von ihm begehrten Feststellung unter dem Gesichtspunkt der Wieder­ho­lungs­gefahr. Die Klage habe auch in der Sache Erfolg. Die Anfertigung der Übersichts­auf­nahmen der Versammlung durch die Polizei sei rechtswidrig gewesen. Im vorliegenden Fall könnten die Übersichts­auf­nahmen nicht auf das Versamm­lungs­gesetz des Bundes als Rechtsgrundlage gestützt werden, das Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern öffentlicher Versammlungen durch die Polizei - einschließlich ihrer Aufzeichnung und Speicherung - bei erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erlaube. Für eine solche Gefahr seien keine tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich. Eine andere gesetzliche Grundlage für die Übersichts­auf­nahmen sei nicht vorhanden.

Auch Übersichts­auf­nahmen ohne Aufzeichnung können einschüchternde Wirkung auf Versamm­lungs­teil­nehmer haben

Eine gesetzliche Grundlage für die Anfertigung von Übersichts­auf­nahmen in Echtzeit­über­tragung durch die Polizei, die - wie hier - nicht aufgezeichnet und gespeichert würden, sei entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht entbehrlich. Auch durch solche bloßen Übersichts­auf­nahmen werde in die verfas­sungs­rechtlich geschützte Versammlungsfreiheit eingegriffen, so dass es hierfür einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. Denn auch Übersichts­auf­nahmen ohne Aufzeichnung seien geeignet, eine einschüchternde Wirkung auf Versamm­lungs­teil­nehmer zu entfalten und sie in ihrer Grund­rechts­ausübung zu beeinflussen oder sogar von ihr abzuhalten. Der einzelne Versamm­lungs­teil­nehmer könne regelmäßig nicht erkennen, ob eine auf die Versammlung gerichtete Kamera lediglich in Echtzeit Bilder auf einen Monitor übertrage oder aber zeitgleich darüber hinaus die Aufnahme aufgezeichnet und gespeichert werde. Nach dem heutigen Stand der Technik seien in Übersichts­auf­zeich­nungen des gesamten Versamm­lungs­ge­schehens die Einzelpersonen in der Regel indivi­du­a­li­sierbar miterfasst. Wer damit rechne, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert werde und ihm dadurch persönliche Risiken entstehen könnten, werde möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Mehrere Bundesländer hätten mittlerweile eine gesetzliche Regelung für Übersichts­auf­nahmen ohne Aufzeichnung getroffen.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz/ra-online

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