23.11.2024
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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss01.03.2019

Robert Bosch GmbH durfte Vorlage von Dokumenten im Zusammenhang mit Diesel­abgas­problematik verweigernVorlage von Unterlagen würde unmittelbaren vermögens­rechtlichen Schaden verursachen

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat entschieden, dass die Robert Bosch GmbH berechtigt war, in Verfahren des Landgerichts Stuttgarts (elektronische) das Vorlegen von Dokumente im Zusammenhang mit der Diesel­abgas­problematik zu verweigern.

In den Ausgangs­ver­fahren vor dem Landgericht Stuttgart verlangen die Kläger, u. a. zwei internationale Investmentfonds mit Sitz in New York, von der beklagten Firma Porsche Automobil Holding SE Schadensersatz wegen unterlassener und unzutreffender Kapital­ma­rk­t­in­for­ma­tionen im Zusammenhang mit der Diese­l­ab­gas­pro­blematik. In diesen Verfahren ordnete das Landgericht jeweils an, dass die Robert Bosch GmbH als Dritte im Sinne von §§ 142 Abs. 1 Satz 1, 144 Abs. 1 Satz 2 der Zivil­pro­zess­ordnung (ZPO) dem Gericht näher bezeichnete Unterlagen vorzulegen habe. Diese berief sich dagegen auf das Recht, die Urkundenvorlage nach § 384 ZPO zu verweigern, weil sie sonst hierdurch vermö­gens­rechtliche Schäden aufgrund einer zivil­recht­lichen Inanspruchnahme zu befürchten habe, sich der Gefahr einer Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungs­wid­rigkeit ausgesetzt sehe und außerdem geheim­hal­tungs­be­dürftige Gewer­be­ge­heimnisse offenbaren müsse.

LG verneint Verwei­ge­rungs­rechte der Robert Bosch GmbH

Nach mündlicher Verhandlung über diese Fragen stellte das Landgericht Stuttgart in sogenannten Zwischen­ur­teilen vom 13. Juli 2018 fest, dass die Robert Bosch GmbH die Vorlage der Dokumente zu Unrecht verweigert habe, da ihr keine Verwei­ge­rungs­rechte zustünden.

Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht auch für juristischen Personen möglich

Auf die sofortige Beschwerde der Robert Bosch GmbH entschied das Oberlan­des­gericht Stuttgart, dass sie sich gegenüber der Anordnung des Landgerichts zur Vorlage der Unterlagen zu Recht auf ein Verwei­ge­rungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO beruft. Zwar könne ein Gericht anordnen, dass ein am Ausgangsprozess nicht beteiligter Dritter die in seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Hierdurch sollen die Aufklä­rungs­mög­lich­keiten der (Zivil)Gerichte gestärkt werden. Allerdings seien Dritte zur Vorlegung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar sei oder sie zur Zeugnis­ver­wei­gerung berechtigt seien. Nach § 384 Nr. 1 ZPO kann das Zeugnis verweigert werden über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einer nahestehenden Person einen unmittelbaren vermö­gens­recht­lichen Schaden verursachen würde. Dabei sei bei juristischen Personen, die auf Herausgabe von Unterlagen in Anspruch genommen werden, auch auf die Vermö­gens­ver­hältnisse der juristischen Person abzustellen. Wenn dieser ein eigener Schaden drohe, sei ihr auch ein Recht zur Verweigerung der verlangten Vorlage zuzubilligen.

Zeugen sollen durch Zeugnispflicht nicht zu selbst­schä­di­genden Handlungen gezwungen werden

Folglich stehe der Heraus­ga­be­ver­pflichtung das Zeugnisverweigerungsrecht der Robert Bosch GmbH entgegen. Sie könne die Vorlage der Unterlagen verweigern, weil diese ihr einen unmittelbaren vermö­gens­recht­lichen Schaden verursachen würde. Ein solcher unmittelbarer Schaden drohe, wenn die Vorlage der Unterlagen die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Anspruch gegen den Zeugen schaffen oder die Durchsetzung einer bereits bestehenden Schuld­ver­pflichtung erleichtern könnte. Zweck der gesetzlichen Regelung sei es, den Zeugen vor nachteiligen Folgen seiner eigenen wahrheits­gemäßen Aussage zu schützen. Niemand solle aus seiner Zeugnispflicht zu selbst­schä­di­genden Handlungen gezwungen werden. Der Zeuge müsse deshalb seine vermö­gens­recht­lichen Interessen denen der beweisführenden Partei nicht unterordnen.

OLG bejaht Gefahr der Inanspruchnahme in Zusammenhang mit Abgasskandal

Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei nicht anzunehmen, dass durch die Vorlage der in Rede stehenden Unterlagen unter keinen denkbaren Umständen die Gefahr für die Robert Bosch GmbH bestehe, wegen Leistungen im Zusammenhang mit Motor­steu­e­rungs­software für Dieselfahrzeuge der Volkswagen AG deliktisch auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Im Gegenteil sei davon auszugehen, dass eine solche Gefahr bestehe. Das Landgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass nach den vom Bundes­ge­richtshof zur Beihilfe in den Fällen berufstypischer neutraler Handlungen entwickelten Grundsätzen eine strafbare Beihilfe der Antragsgegnerin ausgeschlossen sei. Es betrachte die Frage einer möglichen deliktischen Haftung der Volkswagen AG und damit auch einer Haftung der Robert Bosch GmbH wegen einer Beteiligung daran unter einem zu engen Blickwinkel. Mehrere Landgerichte, auch verschiedene Kammern des Landgerichts Stuttgart, hätten bereits Schaden­s­er­satz­ansprüche von Kraft­fahr­zeug­käufern gegen die Volkswagen AG wegen des Inver­kehr­bringens von Diesel­fahr­zeugen mit manipulierter Abgassoftware bzw. im Zusammenhang mit dem Einsatz einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung bejaht, unter anderem gemäß § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

Haftung aufgrund Teilnahme an sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung möglich

Das Landgericht habe die Möglichkeit einer Haftung der Antragsgegnerin gemäß § 830 BGB als Teilnehmerin einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung von Kraft­fahr­zeug­käufern durch die Volkswagen AG nicht hinreichend in seiner Würdigung berücksichtigt. Zumindest in einem Teil von gegen die Robert Bosch GmbH selbst geführten Verfahren werde u. a. vorgetragen, diese habe der Volkswagen AG die Steue­rungs­software als "Program­mier­gerüst" zu Verfügung gestellt und Volkswagen habe auf dieser Basis entsprechende erweiternde oder modifizierende Softwaremodule entwickelt. Die Robert Bosch GmbH habe aber auch "letzte Hand angelegt" und sei sich vollständig über die Funktionsweise der Steue­rungs­software - einschließlich der verbotenen Abschalt­ein­rich­tungen - im Klaren gewesen. Sollte dieser Vortrag erweislich sein - was der Senat nicht geprüft hat und auch nicht zu prüfen hatte -, läge es aber mehr als nahe, die Grenze zur strafbaren Beihilfe als überschritten anzusehen. Ob der Beweis tatsächlich zu führen sei, könne anhand der Akten des vorliegenden Verfahrens nicht beurteilt werden und bedurfte im hiesigen Verfahren auch keiner Klärung, da es jedenfalls durchaus in Betracht komme. Das Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht bestehe aber - so der Senat - auch, soweit man berech­tig­terweise an dem Bestehen des Haftungsgrundes oder des Rechtsgrundes zweifeln könne. Ob der Robert Bosch GmbH darüber hinaus noch Zeugnis­ver­wei­ge­rungs­rechte aus anderen Vorschriften zustehen, konnte der Senat offen lassen ebenso wie die Frage der Zumutbarkeit der Vorlegung.

Relevante Vorschriften (auszugsweise):

Zivilprozessordnung

§ 142 Anordnung der Urkun­den­vor­legung

Abs. 1 Das Gericht kann anordnen, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Das Gericht kann hierfür eine Frist setzen sowie anordnen, dass die vorgelegten Unterlagen während einer von ihm zu bestimmenden Zeit auf der Geschäftsstelle verbleiben.

Abs. 2 Dritte sind zur Vorlegung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnis­ver­wei­gerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. [...]

§ 144 Augenschein; Sachverständige

Abs. 1 Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen.

Abs. 2 Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnis­ver­wei­gerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. [...]

§ 384 Zeugnis­ver­wei­gerung aus sachlichen Gründen

Das Zeugnis kann verweigert werden:

1. über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einer Person, zu der er in einem der im § 383 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Verhältnisse steht, einen unmittelbaren vermö­gens­recht­lichen Schaden verursachen würde;

2. über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einem seiner im § 383 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Angehörigen zur Unehre gereichen oder die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungs­wid­rigkeit verfolgt zu werden;

3. über Fragen, die der Zeuge nicht würde beantworten können, ohne ein Kunst- oder Gewer­be­ge­heimnis zu offenbaren.

Bürgerliches Gesetzbuch:

§ 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 830 Mittäter und Beteiligte

Abs.1 Haben mehrere durch eine gemein­schaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Das Gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat.

Abs. 2 Anstifter und Gehilfen stehen Mittätern gleich.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online (pm)

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