14.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.

Dokument-Nr. 26851

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Oberlandesgericht Stuttgart Urteil20.12.2018

Patientin hat Anspruch auf Schmerzensgeld wegen vergessener OP-Nadel im BauchraumZurücklassen der Nadel im Bauchraum stellt schuldhaften Behand­lungs­fehler dar

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat entschieden, dass einer Patienten wegen einer im Bauchraum vergessenen OP-Nadel Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro und Schadensersatz u.a. wegen noch nicht vorhersehbarer Schäden zusteht.

Die heute 30-jährige Klägerin des zugrunde liegenden Verfahens unterzog sich im März 2014 einer urologischen Operation in dem Bundes­wehr­kran­kenhaus der Beklagten, bei der eine 1,9 cm lange Nadel im Körper zurückgeblieben war. Dies wurde bei einem CT im April 2014 festgestellt und die Patientin darüber rund zwei Monate nach der Operation informiert. Seither muss sie sich zur Kontrolle des Verbleibs der Nadel im Körper regelmäßig röntgenologisch untersuchen lassen und befürchtet Folgeschäden sowie gegebenenfalls eine weitere Operation zur Entfernung der Nadel.

Berufungs­klägerin sieht in unterbliebener Zählkontrolle keinen Behand­lungs­fehler

Das Landgericht Ulm hatte die Beklagte bereits zu Schmerzensgeld und Schadensersatz verurteilt, wogegen diese sich mit ihrer Berufung richtet. Nach Auffassung der Berufungs­klägerin, vertreten durch das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistung der Bundeswehr, stelle eine unterbliebene Zählkontrolle keinen Behand­lungs­fehler dar.

Ärzte alle möglichen und zumutbaren Siche­rungs­vor­keh­rungen gegen unbeab­sich­tigtes Zurücklassen von Fremdkörpern treffen

Das Oberlan­des­gericht Stutthart gab der Geschädigten überwiegend Recht und reduzierte lediglich das erstinstanzlich verhängte Schmerzensgeld. Das Oberlan­des­gericht sah im Zurücklassen der Nadel im Bauchraum einen schuldhaften Behand­lungs­fehler, der der Klinik zur Last fällt. Nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs müssten Ärzte alle möglichen und zumutbaren Siche­rungs­vor­keh­rungen gegen das unbeabsichtigte Zurücklassen eines Fremdkörpers im Opera­ti­o­ns­gebiet treffen und sämtliche Instrumente nach einer OP auf ihre Vollständigkeit überprüfen. Zur Zählkontrolle und Vermeidung unbeabsichtigt im Opera­ti­o­ns­gebiet zurück­ge­lassener Fremdkörper hat das Aktionsbündnis Patien­ten­si­cherheit bereits 2010 Handlungs­emp­feh­lungen veröffentlicht. Da diese Handlungs­emp­feh­lungen auf Grundlage eines Beschlusses des deutschen Bundestages durch das Bundes­mi­nis­terium für Gesundheit gefördert wurden, hielt es das Gericht für befremdlich, dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland der Auffassung war, sie selbst sei vier Jahre nach Veröf­fent­lichung dieser Empfehlungen nicht zu Zählkontrollen bei Operationen verpflichtet. Nach den weiteren Darlegungen des Gerichts seien der Behand­lungs­fehler und die verspätete Aufklärung der Patientin jedoch nicht als grober Behand­lungs­fehler zu bewerten.

Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro angemessen und ausreichend

Das unbemerkte Zurücklassen der Nadel habe bei der Klägerin zu einem Schaden geführt. Sie sei nicht nur durch die regelmäßigen Lagekontrollen der Nadel, sondern auch durch das Wissen um die Nadel im Körper und die Ungewissheit über die Erfor­der­lichkeit einer Operation zu deren Entfernung belastet. Das Berufungs­gericht hielt daher ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro für angemessen und ausreichend. Weiter erhält die Klägerin ihre bisherigen materiellen Schäden in Höhe von rund 2.000 Euro erstattet. Im Übrigen stellte das Gericht fest, dass der Kranken­haus­träger verpflichtet sei, der Klägerin alle weiteren materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus dem Behand­lungs­fehler zu ersetzen.

Relevante Normen:

Erläuterungen

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 630 a Vertrags­ty­pische Pflichten beim Behand­lungs­vertrag

(1) Durch den Behand­lungs­vertrag wird derjenige, welcher die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt (Behandelnder), zur Leistung der versprochenen Behandlung, der andere Teil (Patient) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist.

(2) Die Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist.

§ 630 h Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklä­rungs­fehler

(1) Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behand­lungs­risiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.

§ 280 Schadensersatz wegen Pflicht­ver­letzung

(1) 1 Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuld­ver­hältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. 2 Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

§ 253 Immaterieller Schaden

(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermö­gens­schaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.

(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbst­be­stimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermö­gens­schaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.

§ 253 Immaterieller Schaden

(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermö­gens­schaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.

(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbst­be­stimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermö­gens­schaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online

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