15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 3141

Drucken
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Oldenburg Urteil26.09.2006

Unter­halts­an­spruch: Geschiedene und bestehende Ehen sind grundsätzlich gleichwertigNeue Ehefrau mit Kind genießt allerdings Privileg gegenüber langjähriger Ex-Frau ohne Kind

Das Oberlan­des­gericht Oldenburg hat eine richtung­weisende Entscheidung zum Zusammentreffen mehrerer Unter­halts­ansprüche nach der Scheidung getroffen. Danach geht auch nach langjähriger Ehe der Unter­halts­an­spruch eines geschiedenen Ehegatten dem Anspruch des neuen Ehegatten, der Kinder zu betreuen hat, nicht zwangsläufig vor. Die entsprechende Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 1582 BGB) müsse verfas­sungs­konform ausgelegt werden.

Die Parteien des Rechtsstreits waren über 23 Jahre miteinander verheiratet. Ihre Ehe war kinderlos geblieben. Der Kläger hatte sich im Schei­dungs­ver­fahren durch Vergleich zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts von monatlich 600 Euro verpflichtet. Nachdem der Kläger erneut geheiratet und mit der neuen Ehefrau ein gemeinsames Kind hat, begehrte er den Wegfall seiner Unter­halts­pflicht. Das Amtsgericht Lingen hatte die Abände­rungsklage abgewiesen. Der 12. Zivilsenat – 4. Senat für Familiensachen des Oberlan­des­ge­richts Oldenburg hat dem Kläger auf dessen Berufung nun teilweise Recht gegeben: Der Kläger muss jetzt nur noch 200 Euro an seine geschiedene Ehefrau zahlen.

In der Entscheidung heißt es, der in § 1582 BGB ausnahmslos normierte Vorrang aller Ansprüche auf Schei­dungs­un­terhalt nach langer Ehe sei nicht mit dem im Grundgesetz verankerten Schutz von Ehe und Familie zu vereinbaren. Der Stellenwert der nachfolgenden Ansprüche werde dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere der Unter­halts­an­spruch des kinder­be­treuenden Elternteils werde in erster Linie von dem Bedarf des kleinen Kindes auf Pflege und Erziehung getragen und sei deshalb in jeder Hinsicht privilegiert. Demgegenüber komme dem Anspruch der beklagten Ex-Ehefrau der geringste Stellenwert zu, weil er im konkreten Fall lediglich zur Aufstockung von deren Einkommen diente, um den „vollen“ Unterhalt nach den ehelichen Lebens­ver­hält­nissen zu sichern.

Eine Vorlage an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht sei dennoch nicht erforderlich, weil die Möglichkeit einer verfas­sungs­kon­formen Auslegung bestehe. Der verfas­sungs­rechtlich gebotene Gleichrang der Ansprüche sei bereits dann gegeben, wenn der Begriff einer langen Ehedauer nicht den Sinn einer absoluten Zeitgrenze erhält, sondern zugleich die durch die Ehe entstandenen wirtschaft­lichen Abhängigkeiten und Verflechtungen in die Beurteilung einbezogen werden. Danach könne im entschiedenen Fall nicht von einer langen Ehedauer im Sinne des § 1582 BGB ausgegangen werden, da die Ehe kinderlos geblieben war und die geschiedene Ehefrau bereits seit 1992 eine ihrem beruflichen Werdegang entsprechende Vollzeit­tä­tigkeit ausübt.

Aufgrund des vom Oberlan­des­gericht angenommenen Gleichrangs der Ansprüche war der Unter­halts­bedarf der neuen Ehegattin bei der Berechnung des Anspruchs der geschiedenen Ehefrau zu berücksichtigen. Dies führte zwar nicht zu einem vollständigen Wegfall, aber zu einer deutlichen Reduzierung der Zahlungs­pflichten des Klägers.

In dem Urteil wird auch auf einen grundlegenden Wandel bei der Frage des Stellenwerts der bestehenden Ehe im Vergleich zur geschiedenen Ehe hingewiesen. Die geschiedene und die bestehende Ehe seien danach grundsätzlich gleichwertig. Dieser Wandel zeige sich auch im zur Zeit laufenden Gesetz­ge­bungs­ver­fahren zur Reform des Unter­halts­rechts, durch die auch bei langer Ehedauer zumindest ein Gleichrang der Ansprüche des kinder­be­treuenden Ehegatten gewährleistet werden soll (geplantes In-Kraft-Treten: 1. April 2007).

Erläuterungen
aus dem Gesetz

§ 1582 BGB: Rangver­hältnisse mehrerer Unter­halts­be­dürftiger

(1) 1 Bei Ermittlung des Unterhalts des geschiedenen Ehegatten geht im Falle des § 1581 der geschiedene Ehegatte einem neuen Ehegatten vor, wenn dieser nicht bei entsprechender Anwendung der §§ 1569 bis 1574, § 1576 und des § 1577 Abs. 1 unter­halts­be­rechtigt wäre.

2 Hätte der neue Ehegatte nach diesen Vorschriften einen Unter­halts­an­spruch, geht ihm der geschiedene Ehegatte gleichwohl vor, wenn er nach § 1570 oder nach § 1576 unter­halts­be­rechtigt ist oder die Ehe mit dem geschiedenen Ehegatten von langer Dauer war.

3 Der Ehedauer steht die Zeit gleich, in der ein Ehegatte wegen der Pflege oder Erziehung eines gemein­schaft­lichen Kin-des nach § 1570 unter­halts­be­rechtigt war.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 04.10.2006

der Leitsatz

BGB § 1582, BGB § 1573, BGB § 1360, GG Art. 6, BGB § 1360

1. Konkurriert ein Anspruch auf Aufsto­ckungs­un­terhalt nach langjähriger Ehe (mehr als 23 Jahre) mit dem Anspruch des kinder­be­treuenden Ehegatten in einer neuen Ehe, ist es zur Vermeidung eines verfas­sungs­widrigen Ergebnisses geboten, § 1582 Abs. 1 BGB in der Weise auszulegen, dass es sich um keine Ehe von "langer Dauer" handelt und beide Ansprüche gleichrangig sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Aufsto­ckungs­un­terhalt lediglich dazu dient, dem geschiedenen Ehegatten einen die eigene, eheunabhängige Lebensstellung übersteigenden Lebensstandard zu sichern.

2. Alle nach der Ehescheidung entstandenen gleichrangigen Ansprüche wirken sich beim nachehelichen Unterhalt bedarfsmindernd aus.

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil3141

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI