Die Parteien des Rechtsstreits waren über 23 Jahre miteinander verheiratet. Ihre Ehe war kinderlos geblieben. Der Kläger hatte sich im Scheidungsverfahren durch Vergleich zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts von monatlich 600 Euro verpflichtet. Nachdem der Kläger erneut geheiratet und mit der neuen Ehefrau ein gemeinsames Kind hat, begehrte er den Wegfall seiner Unterhaltspflicht. Das Amtsgericht Lingen hatte die Abänderungsklage abgewiesen. Der 12. Zivilsenat – 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Oldenburg hat dem Kläger auf dessen Berufung nun teilweise Recht gegeben: Der Kläger muss jetzt nur noch 200 Euro an seine geschiedene Ehefrau zahlen.
In der Entscheidung heißt es, der in § 1582 BGB ausnahmslos normierte Vorrang aller Ansprüche auf Scheidungsunterhalt nach langer Ehe sei nicht mit dem im Grundgesetz verankerten Schutz von Ehe und Familie zu vereinbaren. Der Stellenwert der nachfolgenden Ansprüche werde dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere der Unterhaltsanspruch des kinderbetreuenden Elternteils werde in erster Linie von dem Bedarf des kleinen Kindes auf Pflege und Erziehung getragen und sei deshalb in jeder Hinsicht privilegiert. Demgegenüber komme dem Anspruch der beklagten Ex-Ehefrau der geringste Stellenwert zu, weil er im konkreten Fall lediglich zur Aufstockung von deren Einkommen diente, um den „vollen“ Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu sichern.
Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht sei dennoch nicht erforderlich, weil die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung bestehe. Der verfassungsrechtlich gebotene Gleichrang der Ansprüche sei bereits dann gegeben, wenn der Begriff einer langen Ehedauer nicht den Sinn einer absoluten Zeitgrenze erhält, sondern zugleich die durch die Ehe entstandenen wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Verflechtungen in die Beurteilung einbezogen werden. Danach könne im entschiedenen Fall nicht von einer langen Ehedauer im Sinne des § 1582 BGB ausgegangen werden, da die Ehe kinderlos geblieben war und die geschiedene Ehefrau bereits seit 1992 eine ihrem beruflichen Werdegang entsprechende Vollzeittätigkeit ausübt.
Aufgrund des vom Oberlandesgericht angenommenen Gleichrangs der Ansprüche war der Unterhaltsbedarf der neuen Ehegattin bei der Berechnung des Anspruchs der geschiedenen Ehefrau zu berücksichtigen. Dies führte zwar nicht zu einem vollständigen Wegfall, aber zu einer deutlichen Reduzierung der Zahlungspflichten des Klägers.
In dem Urteil wird auch auf einen grundlegenden Wandel bei der Frage des Stellenwerts der bestehenden Ehe im Vergleich zur geschiedenen Ehe hingewiesen. Die geschiedene und die bestehende Ehe seien danach grundsätzlich gleichwertig. Dieser Wandel zeige sich auch im zur Zeit laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Reform des Unterhaltsrechts, durch die auch bei langer Ehedauer zumindest ein Gleichrang der Ansprüche des kinderbetreuenden Ehegatten gewährleistet werden soll (geplantes In-Kraft-Treten: 1. April 2007).
Erläuterungen
aus dem Gesetz
§ 1582 BGB: Rangverhältnisse mehrerer Unterhaltsbedürftiger
(1) 1 Bei Ermittlung des Unterhalts des geschiedenen Ehegatten geht im Falle des § 1581 der geschiedene Ehegatte einem neuen Ehegatten vor, wenn dieser nicht bei entsprechender Anwendung der §§ 1569 bis 1574, § 1576 und des § 1577 Abs. 1 unterhaltsberechtigt wäre.
2 Hätte der neue Ehegatte nach diesen Vorschriften einen Unterhaltsanspruch, geht ihm der geschiedene Ehegatte gleichwohl vor, wenn er nach § 1570 oder nach § 1576 unterhaltsberechtigt ist oder die Ehe mit dem geschiedenen Ehegatten von langer Dauer war.
3 Der Ehedauer steht die Zeit gleich, in der ein Ehegatte wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kin-des nach § 1570 unterhaltsberechtigt war.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 06.10.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 04.10.2006