Dokument-Nr. 3440
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Oberlandesgericht Nürnberg Urteil27.11.2006
Abtreibung ist kein "Babycaust"Abtreibungsarzt darf nicht persönlich beleidigt werden
Abtreibung darf nicht mit dem nationalsozialistischen Massenmord gleichgesetzt werden. Das Oberlandesgericht Nürnberg gab der Unterlassungsklage eines Arztes teilweise statt, der Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt hatte und dafür öffentlich angegriffen worden war. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil desselben Gerichtes aus dem Jahr 2000 wegen eines Verfassungsverstoßes aufgehoben, mit dem das Begehren des Arztes in zweiter Instanz vollständig abgewiesen worden war.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat am 27. November 2006 ein Urteil des Landgerichtes Nürnberg-Fürth vom 11. Februar 1999 teilweise bestätigt, in dem der Unterlassungsklage eines Arztes aus Nürnberg in vollem Umfang stattgegeben worden war. Danach kann der Arzt von den Verantwortlichen einer Flugblattaktion die Unterlassung der Behauptungen „Kindermord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums Nord“ und „damals: Holocaust, heute: Babycaust“ verlangen.
Der Arzt hatte auf dem Gelände des Klinikums Nord in Nürnberg Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen und war dafür öffentlich scharf angegriffen worden. Im Rahmen einer am 08. Oktober 1997 durchgeführten Flugblattaktion wurde er als „Tötungsspezialist für ungeborene Kinder“ bezeichnet. Zugleich wurde die Behauptung aufgestellt, dass auf dem Gelände des Klinikums Nord „Kindermord im Mutterschoß“ stattfinde. Außerdem befand sich auf der Rückseite des Flugblattes die Aussage: „damals: Holocaust, heute: Babycaust“.
Einer wegen dieser drei Äußerungen erhobenen Unterlassungsklage gab das Landgericht Nürnberg-Fürth am 11. Februar 1999 in erster Instanz Recht. Die unterlegenen Verantwortlichen für die Flugblattaktion legten gegen dieses Urteil Berufung ein und hatten Erfolg. Am 28. September 2000 wies das Oberlandesgericht Nürnberg die Unterlassungsklage des Arztes in vollem Umfang ab. Der Arzt erhob nun seinerseits Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht und erreichte, dass das Urteil des Oberlandesgerichtes Nürnberg am 24. Mai 2006 zum Teil aufgehoben wurde.
Nach dem Willen der Bundesverfassungsrichter hatte das Oberlandesgericht Nürnberg nochmals darüber zu befinden, ob der Arzt eine Unterlassung der Behauptungen „Kindermord im Mutterschoß“ und „damals: Holocaust, heute: Babycaust“ verlangen kann. Hinsichtlich der Äußerung „Tötungsspezialist für ungeborene Kinder“ blieb auch die Verfassungsbeschwerde erfolglos. Zur Begründung führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass es sich bei der Äußerung „Kindermord im Mutterschoß“ um eine mehrdeutige Aussage handele. So sei unter anderem unklar, ob der Mordvorwurf gezielt gegen den Arzt erhoben wurde oder nur allgemeine Kritik an Abtreibungen geübt werden sollte. Werde die Äußerung als gegen den Arzt persönlich gerichteter Vorwurf verstanden, sei von einer erheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzung auszugehen. Bei einer Klage auf Unterlassung der Wiederholung einer Äußerung müsse auf die Deutungsvariante abgestellt werden, die den Betroffenen am meisten beeinträchtigt. Der Vergleich zwischen „Holocaust“ und „Babycaust“ sei als eine unzulässige unmittelbare Gleichsetzung der Tätigkeit des Arztes mit dem nationalsozialistischen Massenmord zu verstehen. Auch hier sei die Deutungsmöglichkeit heranzuziehen, die den auf Unterlassung klagenden Arzt am meisten belastet. Die Bezeichnung des Arztes als „Tötungsspezialist für ungeborene Kinder“ sei eine zutreffende Tatsachenaussage. Die anklingende Wertung könne als hinnehmbar beurteilt werden.
Nach der Auffassung des Oberlandesgericht Nürnberg hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 24. Mai 2006 bindend festgestellt, wie die Behauptungen „Kindermord im Mutterschoß“ und „damals: Holocaust, heute: Babycaust“ zu deuten sind. Auch habe das Bundesverfassungsgericht bereits die Entscheidung getroffen, dass der Arzt durch diese Behauptungen in seinen Rechten verletzt wurde. Ein Spielraum für eine eigene Bewertung sei nicht mehr vorhanden, sodass das Sachurteil wie geschehen ergehen musste.
Nach § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz ( BVerfGG ) sind alle Gerichte an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes gebunden. Diese Bindungswirkung erfasst nicht nur den Entscheidungstenor, sondern auch all diejenigen Teile der Entscheidungsgründe, die für das Ergebnis von tragender Bedeutung waren.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 04.12.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Nürnberg vom 28.11.2006
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