21.11.2024
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Oberlandesgericht Nürnberg Urteil27.11.2006

Abtreibung ist kein "Babycaust"Abtreibungsarzt darf nicht persönlich beleidigt werden

Abtreibung darf nicht mit dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Massenmord gleichgesetzt werden. Das Oberlan­des­gericht Nürnberg gab der Unter­las­sungsklage eines Arztes teilweise statt, der Schwan­ger­schafts­ab­brüche durchgeführt hatte und dafür öffentlich angegriffen worden war. Zuvor hatte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ein Urteil desselben Gerichtes aus dem Jahr 2000 wegen eines Verfas­sungs­ver­stoßes aufgehoben, mit dem das Begehren des Arztes in zweiter Instanz vollständig abgewiesen worden war.

Das Oberlan­des­gericht Nürnberg hat am 27. November 2006 ein Urteil des Landgerichtes Nürnberg-Fürth vom 11. Februar 1999 teilweise bestätigt, in dem der Unter­las­sungsklage eines Arztes aus Nürnberg in vollem Umfang stattgegeben worden war. Danach kann der Arzt von den Verant­wort­lichen einer Flugblattaktion die Unterlassung der Behauptungen „Kindermord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums Nord“ und „damals: Holocaust, heute: Babycaust“ verlangen.

Der Arzt hatte auf dem Gelände des Klinikums Nord in Nürnberg Schwan­ger­schafts­ab­brüche vorgenommen und war dafür öffentlich scharf angegriffen worden. Im Rahmen einer am 08. Oktober 1997 durchgeführten Flugblattaktion wurde er als „Tötungs­spe­zialist für ungeborene Kinder“ bezeichnet. Zugleich wurde die Behauptung aufgestellt, dass auf dem Gelände des Klinikums Nord „Kindermord im Mutterschoß“ stattfinde. Außerdem befand sich auf der Rückseite des Flugblattes die Aussage: „damals: Holocaust, heute: Babycaust“.

Einer wegen dieser drei Äußerungen erhobenen Unter­las­sungsklage gab das Landgericht Nürnberg-Fürth am 11. Februar 1999 in erster Instanz Recht. Die unterlegenen Verant­wort­lichen für die Flugblattaktion legten gegen dieses Urteil Berufung ein und hatten Erfolg. Am 28. September 2000 wies das Oberlan­des­gericht Nürnberg die Unter­las­sungsklage des Arztes in vollem Umfang ab. Der Arzt erhob nun seinerseits Beschwerde zum Bundes­ver­fas­sungs­gericht und erreichte, dass das Urteil des Oberlan­des­ge­richtes Nürnberg am 24. Mai 2006 zum Teil aufgehoben wurde.

Nach dem Willen der Bundes­ver­fas­sungs­richter hatte das Oberlan­des­gericht Nürnberg nochmals darüber zu befinden, ob der Arzt eine Unterlassung der Behauptungen „Kindermord im Mutterschoß“ und „damals: Holocaust, heute: Babycaust“ verlangen kann. Hinsichtlich der Äußerung „Tötungs­spe­zialist für ungeborene Kinder“ blieb auch die Verfas­sungs­be­schwerde erfolglos. Zur Begründung führte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht aus, dass es sich bei der Äußerung „Kindermord im Mutterschoß“ um eine mehrdeutige Aussage handele. So sei unter anderem unklar, ob der Mordvorwurf gezielt gegen den Arzt erhoben wurde oder nur allgemeine Kritik an Abtreibungen geübt werden sollte. Werde die Äußerung als gegen den Arzt persönlich gerichteter Vorwurf verstanden, sei von einer erheblichen Persön­lich­keits­rechts­ver­letzung auszugehen. Bei einer Klage auf Unterlassung der Wiederholung einer Äußerung müsse auf die Deutungs­va­riante abgestellt werden, die den Betroffenen am meisten beeinträchtigt. Der Vergleich zwischen „Holocaust“ und „Babycaust“ sei als eine unzulässige unmittelbare Gleichsetzung der Tätigkeit des Arztes mit dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Massenmord zu verstehen. Auch hier sei die Deutungs­mög­lichkeit heranzuziehen, die den auf Unterlassung klagenden Arzt am meisten belastet. Die Bezeichnung des Arztes als „Tötungs­spe­zialist für ungeborene Kinder“ sei eine zutreffende Tatsa­che­n­aussage. Die anklingende Wertung könne als hinnehmbar beurteilt werden.

Nach der Auffassung des Oberlan­des­gericht Nürnberg hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht mit seiner Entscheidung vom 24. Mai 2006 bindend festgestellt, wie die Behauptungen „Kindermord im Mutterschoß“ und „damals: Holocaust, heute: Babycaust“ zu deuten sind. Auch habe das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bereits die Entscheidung getroffen, dass der Arzt durch diese Behauptungen in seinen Rechten verletzt wurde. Ein Spielraum für eine eigene Bewertung sei nicht mehr vorhanden, sodass das Sachurteil wie geschehen ergehen musste.

Nach § 31 Abs. 1 Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts­gesetz ( BVerfGG ) sind alle Gerichte an die Entscheidungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richtes gebunden. Diese Bindungswirkung erfasst nicht nur den Entschei­dungstenor, sondern auch all diejenigen Teile der Entschei­dungs­gründe, die für das Ergebnis von tragender Bedeutung waren.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Nürnberg vom 28.11.2006

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