21.11.2024
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Sie sehen den Auspuff eines Autos.
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Oberlandesgericht Nürnberg Urteil09.06.1994

Unfall wegen liegen­ge­bliebenen PKW auf der AutobahnGrundsatz "Fahren auf Sicht" gilt auch auf Autobahnen

Jeder Autofahrer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke halten kann. Dieser Grundsatz gilt auch auf Autobahnen. Wer sich nicht daran hält, läuft Gefahr, selbst als Opfer eines fremd­ver­schuldeten Unfalls auf einem Teil seines Schadens sitzen zu bleiben.

So geschehen in einem Fall, mit dem das Oberlan­des­gericht Nürnberg befasst war. Das Gericht entschied in letzter Instanz, dass eine PKW-Halterin, deren Fahrzeug auf der Autobahn in ein unbeleuchtet liegen­ge­bliebenes Auto gerast war, wegen unangepasster Geschwindigkeit nur zwei Drittel ihres Schadens ersetzt erhält.

Die Klägerin hatte ihr Auto leihweise einem Bekannten überlassen. Dieser war bei Nacht auf der Autobahn mit 160 km/h unterwegs, als in einer langgezogenen Linkskurve plötzlich ein liegen­ge­bliebenes Fahrzeug vor ihm auftauchte. Er konnte nicht mehr ausweichen und prallte mit hoher Geschwindigkeit auf das Hindernis. Dabei erlitt sein Fahrzeug einen Totalschaden. Die Hauptschuld an dem Unfall trug unstreitig der Fahrer des liegen­ge­bliebenen Autos. Erst hatte er die Panne verursacht, weil er mit seinem Wagen die Mittelplanke rammte. Anschließend hatte er das beschädigte und nicht mehr beleuchtete Fahrzeug quer zur Fahrtrichtung auf der Überholspur stehen lassen, ohne es genügend zu sichern.

Angesichts dieses schwerwiegenden Fehlverhaltens sei der Fahrer des Pannenfahrzeugs für den Unfall allein­ver­ant­wortlich, meinte die Halterin des aufgefahrenen PKW. Sie beanspruchte deshalb den Ersatz ihres gesamten Schadens in Höhe von 42.474 DM. Die gegnerische Haftpflicht­ver­si­cherung war jedoch nur bereit, zwei Drittel davon zu übernehmen. Das restliche Drittel müsse die Halterin selber tragen, weil auch ihren Bekannten eine Mitschuld treffe. Dieser sei nämlich viel zu schnell gefahren. Da sich die Beteiligten nicht einigten, kam es zum Prozess.

Rechtlicher Ausgangspunkt der Haftungs-Verteilung nach einem Verkehrsunfall, in den mehrere Fahrzeuge verwickelt sind, ist § 17 StVG (= Straßen­ver­kehrs­gesetz). Dort heißt es:

"Wird ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht, ... so hängt ... die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist..."

Die Richter mussten somit abwägen, in welchem Maße beide Fahrzeuge zum Unfall beigetragen hatten. Ein sehr wichtiges, wenn auch nicht das allei­n­ent­scheidende Kriterium ist in solchen Fällen das Verhalten der beteiligten Fahrer. Je schwerer das Verschulden eines Fahrers wiegt, desto tiefer wird sich die Waagschale zu Gunsten der Gegenseite neigen. Besonders grobes Fehlverhalten kann dazu führen, dass ein verhältnismäßig geringfügiges Verschulden des Unfallgegners sogar völlig außer acht bleibt. Aber auch verschul­den­su­n­ab­hängige Gesichtspunkte können in die Bewertung einfließen, etwa die Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge.

Im konkreten Fall gab es keine Diskussionen darüber, dass den Fahrer des liegen­ge­bliebenen Autos ein gerüttelt Maß an Schuld traf. Fraglich war nur, ob daneben auch die vom anderen PKW ausgehende Betriebsgefahr ins Gewicht fiel oder ob sie so weit zurücktrat, dass sie bei der Abwägung völlig vernachlässigt werden konnte. Das Landgericht Nürnberg-Fürth und ihm folgend das Oberlan­des­gericht Nürnberg entschieden sich g e g e n eine Alles- oder Nichts-Lösung. Zwar müsse der Fahrer des Pannen-Autos die Hauptschuld auf seine Kappe nehmen. Doch auch sein Unfallgegner könne nicht völlig aus der Verantwortung entlassen werden, und zwar aus folgenden Gründen:

Zum einen wäre der auffahrende PKW schon für Tageslicht-Verhältnisse zu schnell gefahren. Nach eigenen Berechnungen der Klägerin hätte ihr Bekannter bei 160 km/h den Unfall nur dann vermeiden können, wenn er mindestens 175 m vor dem Hindernis reagiert hätte. Eine so weite Sicht hatte er aber schon deswegen nicht, weil wegen der langgezogene Kurve das liegen­ge­bliebene Auto erst spät ins Blickfeld kam. Wenn nun der Fahrer trotz optimaler Reaktion nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, dann untermauere dies geradezu den Vorwurf überhöhter Geschwindigkeit. Nach § 3 StVO (= Straßen­ver­kehrs­ordnung) darf nämlich ein Fahrzeugführer - unabhängig von sonstigen Geschwin­dig­keits­be­schrän­kungen - "nur so schnell fahren, dass er innerhalb der übersehbaren Strecke halten kann".

Dieses Gebot gilt auch auf Autobahnen. Erst recht müsse man dem Fahrer ein unangepasstes Tempo vorhalten, wenn man zusätzlich noch die Dunkelheit berücksichtige. Das Abblendlicht habe nur 75 m ausgeleuchtet, also nicht einmal die Hälfte des Anhalteweges. Auch deshalb seien die 160 km/h unter den gegebenen Sicht­ver­hält­nissen zu hoch gewesen. Als verschul­den­su­n­ab­hängiger Abwägungsfaktor falle schließlich zum Nachteil der Klägerin ins Gewicht, dass ihr Bekannter die auf Autobahnen empfohlene Richt­ge­schwin­digkeit von 130 km/h überschritten habe.

Nach Abwägung der beiderseitigen Verursachungs-Beiträge entschied das Landgericht Nürnberg-Fürth, für das liegen­ge­bliebene Auto die Haftungsquote doppelt so hoch zu bewerten wie für das auffahrende Fahrzeug. Folgerichtig setzte es die Mithaftung der Klägerin auf 1/3 fest. Damit war die Klägerin nicht einverstanden und legte Berufung ein. Das Oberlan­des­gericht Nürnberg schloss sich jedoch der vom Landgericht vertretenen Rechtsansicht an und wies das Rechtsmittel als unbegründet zurück.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Nürnberg

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