Das Gericht führte dazu aus, dass es sich für den Beklagten nicht um einen unabwendbaren Unfall gehalten habe. Wer mit Erfolg die Unabwendbarkeit eines Unfalls geltend machen wolle, müsse sich wie ein "Idealfahrer" verhalten. Dabei müsse die Frage gestellt werden, ob ein "Idealfahrer" überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. § 17 Absatz 3 StVG (Straßenverkehrsgesetz) erfordere, dass der "Idealfahrer" in seiner Fahrweise Gefahrensituationen nach Möglichkeit vermeide.
Ein "Idealfahrer" fahre nicht schneller als Richtgeschwindigkeit. Ihm sei bewusst, dass die Gefahr, einen Unfall nicht mehr vermeiden zu können, aber auch, von anderen Verkehrsteilnehmern nicht rechtzeitig wahrgenommen zu werden, durch höhere Geschwindigkeiten deutlich steige.
Der deutsche Gesetzgeber habe diese Erkenntnis nicht in eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen umgesetzt. Er sei stattdessen bei der bloßen Empfehlung der Richtgeschwindigkeits-Verordnung aus dem Jahr 1978 stehen geblieben. Aus dieser gesetzgeberischen Entscheidung ergebe sich, dass allein aus der Nichtbeachtung dieser Verordnung kein Schuldvorwurf abzuleiten sei.
Bei der Auslegung des Begriffs des unabwendbaren Ereignisses berücksichtige die Rechtsprechung aber das dieser Empfehlung zugrunde liegende Erfahrungswissen, dass sich durch eine höhere Geschwindigkeit als 130 km/h die Unfallgefahren auf der Autobahn deutlich erhöhen. Auf die Unabwendbarkeit eines Unfalls könne sich ein Kraftfahrer, der die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h überschritten habe, daher regelmäßig nicht berufen - es sei denn, er weise nach, dass der Unfall für ihn auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h nicht zu vermeiden war und es somit auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre.
Aus diesem Grund kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Nichteinhaltung der Richtgeschwindigkeit in dem zu entscheidenden Fall mit unfallursächlich gewesen sei. Der vorliegende Fall liefere geradezu ein Schulbeispiel dafür, wie massiv sich die Gefahr eines Unfalls durch die Missachtung der Richtgeschwindigkeit erhöhe. Weil der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs mit mindestens 160 km/h gefahren sei, habe nicht einmal mehr eine Vollbremsung genügt, um den trotz dieser Bremsung noch mit erheblicher Wucht erfolgenden Zusammenprall zu verhindern. Wäre der Fahrer dagegen mit nur 130 km/h gefahren, hätte er die Kollision mühelos vermeiden können. Dann hätte es schon genügt, den Fuß vom Gas zu nehmen, um den Unfall zu vermeiden.
Insgesamt sei also die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs durch die erhebliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit deutlich erhöht gewesen. Ein Verschulden hingegen habe nicht nachgewiesen werden können. Die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit begründe kein Verschulden. Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge sei hingegen das erhebliche Verschulden des Unfallgegners zu berücksichtigen. Dieser habe allenfalls wenige Sekunden nach dem Einfahren auf die Autobahn ohne längeres Beobachten des Verkehrsgeschehens die Fahrspur gewechselt und damit das Gebot, einen Spurwechsel nur vorzunehmen, wenn die Gefährdung anderer ausgeschlossen sei, jedenfalls missachtet und damit eine erhöhte Sorgfaltspflicht verletzt. Dieser Verursachungsbeitrag sei deutlich höher zu werten als die erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs.
Allerdings lasse dieses Verschulden die Haftung des Beklagten aus Betriebsgefahr nicht vollständig zurücktreten. Auch massives Verschulden eines Unfallgegners führe nicht zu einem "Freibrief", zur Nachtzeit mit einem erheblich über der Richtgeschwindigkeit liegenden Tempo auf der Autobahn zu fahren und bei einem dann erfolgten Unfall jede Haftung von sich zu weisen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.04.2011
Quelle: ra-online, Oberlandesgericht Nürnberg (vt/we)