21.11.2024
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Oberlandesgericht Nürnberg Urteil09.09.2010

Mithaftung ohne Verschulden: Fahrer haftet bei Verstoß gegen die Richt­ge­schwin­digkeit auf Autobahnen bei einem Unfall auch ohne Verschulden mitOLG Nürnberg lässt Pkw-Halter trotz fehlenden Verschuldens an Verkehrsunfall mithaften

Das Oberlan­des­gericht Nürnberg hat den Halter eines Fahrzeugs zur Zahlung von Schadensersatz an den Unfallgegner verurteilt. Der Wagen des Beklagten war auf einer Autobahn mit mindestens 160 km/h mit einem anderen Fahrzeug kollidiert. An der Unfallstelle galt eine Richt­ge­schwin­digkeit von 130 km/h. Der Unfallgegner hatte diese eingehalten. Auf dessen Klage stellte das Gericht eine Mithaftung des Beklagten von 25 % fest.

Das Gericht führte dazu aus, dass es sich für den Beklagten nicht um einen unabwendbaren Unfall gehalten habe. Wer mit Erfolg die Unabwendbarkeit eines Unfalls geltend machen wolle, müsse sich wie ein "Idealfahrer" verhalten. Dabei müsse die Frage gestellt werden, ob ein "Idealfahrer" überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. § 17 Absatz 3 StVG (Straßen­ver­kehrs­gesetz) erfordere, dass der "Idealfahrer" in seiner Fahrweise Gefah­ren­si­tua­tionen nach Möglichkeit vermeide.

Ein "Idealfahrer" hält sich an die Richt­ge­schwin­digkeit

Ein "Idealfahrer" fahre nicht schneller als Richtgeschwindigkeit. Ihm sei bewusst, dass die Gefahr, einen Unfall nicht mehr vermeiden zu können, aber auch, von anderen Verkehrs­teil­nehmern nicht rechtzeitig wahrgenommen zu werden, durch höhere Geschwin­dig­keiten deutlich steige.

Verstoß gegen Richt­ge­schwin­digkeit kann für sich genommen kein Verschulden begründen ...

Der deutsche Gesetzgeber habe diese Erkenntnis nicht in eine allgemeine Geschwin­dig­keits­be­schränkung auf Autobahnen umgesetzt. Er sei stattdessen bei der bloßen Empfehlung der Richt­ge­schwin­digkeits-Verordnung aus dem Jahr 1978 stehen geblieben. Aus dieser gesetz­ge­be­rischen Entscheidung ergebe sich, dass allein aus der Nichtbeachtung dieser Verordnung kein Schuldvorwurf abzuleiten sei.

... lässt aber Unfall nicht mehr als unabwendbar gelten

Bei der Auslegung des Begriffs des unabwendbaren Ereignisses berücksichtige die Rechtsprechung aber das dieser Empfehlung zugrunde liegende Erfah­rungs­wissen, dass sich durch eine höhere Geschwindigkeit als 130 km/h die Unfallgefahren auf der Autobahn deutlich erhöhen. Auf die Unabwendbarkeit eines Unfalls könne sich ein Kraftfahrer, der die Richt­ge­schwin­digkeit von 130 km/h überschritten habe, daher regelmäßig nicht berufen - es sei denn, er weise nach, dass der Unfall für ihn auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h nicht zu vermeiden war und es somit auch bei Einhaltung der Richt­ge­schwin­digkeit zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre.

Missachtung der Richt­ge­schwin­digkeit erhöht Unfallgefahr massiv

Aus diesem Grund kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Nichteinhaltung der Richt­ge­schwin­digkeit in dem zu entscheidenden Fall mit unfal­lur­sächlich gewesen sei. Der vorliegende Fall liefere geradezu ein Schulbeispiel dafür, wie massiv sich die Gefahr eines Unfalls durch die Missachtung der Richt­ge­schwin­digkeit erhöhe. Weil der Fahrer des Beklag­ten­fahrzeugs mit mindestens 160 km/h gefahren sei, habe nicht einmal mehr eine Vollbremsung genügt, um den trotz dieser Bremsung noch mit erheblicher Wucht erfolgenden Zusammenprall zu verhindern. Wäre der Fahrer dagegen mit nur 130 km/h gefahren, hätte er die Kollision mühelos vermeiden können. Dann hätte es schon genügt, den Fuß vom Gas zu nehmen, um den Unfall zu vermeiden.

Verur­sa­chungs­beitrag des Unfallgegners wiegt schwerer als erhöhte Betriebsgefahr des Beklagten

Insgesamt sei also die Betriebsgefahr des Beklag­ten­fahrzeugs durch die erhebliche Überschreitung der Richt­ge­schwin­digkeit deutlich erhöht gewesen. Ein Verschulden hingegen habe nicht nachgewiesen werden können. Die Überschreitung der Richt­ge­schwin­digkeit begründe kein Verschulden. Bei der Abwägung der Verur­sa­chungs­beiträge sei hingegen das erhebliche Verschulden des Unfallgegners zu berücksichtigen. Dieser habe allenfalls wenige Sekunden nach dem Einfahren auf die Autobahn ohne längeres Beobachten des Verkehrs­ge­schehens die Fahrspur gewechselt und damit das Gebot, einen Spurwechsel nur vorzunehmen, wenn die Gefährdung anderer ausgeschlossen sei, jedenfalls missachtet und damit eine erhöhte Sorgfalts­pflicht verletzt. Dieser Verur­sa­chungs­beitrag sei deutlich höher zu werten als die erhöhte Betriebsgefahr des Beklag­ten­fahrzeugs.

Verschulden des Unfallgegners ist kein Freibrief für Fahren oberhalb der Richt­ge­schwin­digkeit

Allerdings lasse dieses Verschulden die Haftung des Beklagten aus Betriebsgefahr nicht vollständig zurücktreten. Auch massives Verschulden eines Unfallgegners führe nicht zu einem "Freibrief", zur Nachtzeit mit einem erheblich über der Richt­ge­schwin­digkeit liegenden Tempo auf der Autobahn zu fahren und bei einem dann erfolgten Unfall jede Haftung von sich zu weisen.

Quelle: ra-online, Oberlandesgericht Nürnberg (vt/we)

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