21.11.2024
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Dokument-Nr. 3331

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Oberlandesgericht Naumburg Entscheidung07.11.2006

Beschleu­ni­gungs­grundsatz verletzt - OLG entlässt Angeklagten aus Unter­su­chungshaftGrundsätzlich soll an zwei Verhand­lungstagen pro Woche verhandelt werden

Weil der Beschleu­ni­gungs­grundsatz der Straf­pro­zess­ordnung - die zügige Durchführung des Strafverfahrens - nicht hinreichend eingehalten wurde, hat das Oberlan­des­gericht Naumburg einen Angeklagten (in der Presse als so genannter "Gas-Bomber von Halle" bezeichnet) nach 2 ½ Jahren aus der Unter­su­chungshaft entlassen.

Der Angeklagte wurde vom Landgericht Halle am 6.12.2005 u.a. wegen versuchten Mordes und Herbeiführung einer Spreng­stof­f­ex­plosion zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Das Urteil ist bislang nicht rechtskräftig, weil der Angeklagte Revision zum Bundes­ge­richtshof eingelegt hat. Mit dem Urteil hatte das Landgericht Halle die Fortdauer der Unter­su­chungshaft angeordnet. Der Angeklagte befand sich seit dem 16.3.2004 in Unter­su­chungshaft. Gegen den Beschluss des Landgerichts Halle, mit dem die Fortdauer der Unter­su­chungshaft angeordnet wurde, hat der Angeklagte im Oktober 2006 Beschwerde eingelegt, der das Landgericht Halle nicht abgeholfen hat. Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist gemäß § 122 Straf­pro­zess­ordnung das Oberlan­des­gericht. Die Straf­pro­zess­ordnung sieht die Anordnung der Unter­su­chungshaft grundsätzlich nur bis zu einer Dauer von 6 Monaten vor. Soll die Unter­su­chungshaft über diesen Zeitraum hinaus fortbestehen, müssen dafür besondere Gründe vorliegen. Die Anforderungen an diese Gründe steigen mit der forts­chrei­tenden Dauer der Unter­su­chungshaft. Entscheidend ist nach der mittlerweile sehr strengen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, ob die Straf­ver­fol­gungs­be­hörden und Gerichte alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen. Kommt es zu vermeidbaren und dem Staat zurechenbaren Verfah­rens­ver­zö­ge­rungen und überschreitet der Vollzug der Unter­su­chungshaft die 6 Monatsfrist in ungewöhnlichem Maße, kann ein Verstoß gegen das Grundrecht des Angeklagten aus Art. 2 Grundgesetz vorliegen, mit der Folge, dass der Angeklagte, auch wenn ihm schwere Straftaten zur Last gelegt werden, aus der Unter­su­chungshaft zu entlassen ist.

Innerhalb dieser Vorgaben durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hatte der Strafsenat des Oberlan­des­ge­richts über die Beschwerde des Angeklagten zu entscheiden. Der Senat war der Ansicht, dass im Hinblick auf die seit 2 ½ Jahren andauende Unter­su­chungshaft nunmehr keine hinreichenden Gründe für ihre Fortdauer bestehen, weil dem Beschleu­ni­gungs­grundsatz nicht in vollem Unfang genügt worden sei. Der Strafsenat sieht es als bedenklich an, dass während der Dauer der Haupt­ver­handlung ( 17.11.2004 - 6.12.2005 ) im Durchschnitt lediglich an einem Verhandlungstag pro Woche verhandelt worden sei, während das Bundes­ver­fas­sungs­gericht seit seiner Entscheidung vom 29.11.2005 bei Haftsachen grundsätzlich 2 Verhand­lungstage pro Woche verlange, um dem Beschleu­ni­gungsgebot zu genügen. Der Strafsenat sieht einen Verstoß gegen den Beschleu­ni­gungs­grundsatz weiter darin, dass das Urteil der Verteidigerin des Angeklagten erst rund 6 Monate nach der Urteils­ver­kündung zugestellt worden sei. Diese Verzögerung habe zwar seine Ursache darin gehabt, dass das Pro-tokoll über die mündliche Verhandlung erst zu diesem Zeitpunkt fertig gestellt worden sei. Denn nach der Verkündung des Urteils schieden zwei Mitglieder der Strafkammer aus dem Justizdienst aus, so dass die verbleibende Richterin nicht nur das schriftliche Urteil ( 141 Seiten ), sondern neben weiteren Tätigkeiten auch noch das 365seitige Protokoll erstellen musste. Da an der Abfassung des schriftlichen Urteils nur die Richter beteiligt sein dürfen, die an der mündlichen Verhandlung und der Urteils­ver­kündung teilgenommen haben, kam eine personelle "Nachrüstung" der Kammer nicht in Be-tracht. Hinsichtlich der genannten Unstände stellt der Strafsenat in seinem Beschluss fest, dass sie jedenfalls nicht zu lasten des Angeklagten gehen könnten, nachdem die Unter­su­chungshaft 2 ½ Jahre angedauert habe. Der Strafsenat hat daher die Entlas-sung des Angeklagten aus der Unter­su­chungshaft angeordnet.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Naumburg

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