Dokument-Nr. 23554
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- NJW-Spezial 2016, 281Zeitschrift: NJW-Spezial, Jahrgang: 2016, Seite: 281
- StV 2016, 445Zeitschrift: Der Strafverteidiger (StV), Jahrgang: 2016, Seite: 445
- Landgericht Köln, Beschluss26.01.2016, 111 Ks 5/14
Oberlandesgericht Köln Beschluss29.02.2016
Vermeidbare und nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von über 8 Monaten rechtfertigt Aufhebung der UntersuchungshaftSchwere der Tat und hohe Straferwartung rechtfertigen keine unverhältnismäßig lang andauernde Untersuchungshaft
Kommt es im Strafverfahren zu einer vermeidbaren und sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerung von über acht Monaten, rechtfertigt dies die Aufhebung der Untersuchungshaft. Dies gilt selbst dann, wenn dem Angeklagten ein versuchter Mord zur Last gelegt wird und er erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten verurteilt wurde. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln hervor.
In dem zugrunde liegenden Fall beantragte ein Angeklagter im Januar 2016 die Aufhebung eines Haftbefehls wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot. Dies hatte folgenden Hintergrund: Der Angeklagte befand sich seit Oktober 2013 in Untersuchungshaft. Nach der fünf Monate andauernden Hauptverhandlung wurde er schließlich im Dezember 2014 wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Nach Fertigstellung des Urteils im Februar 2015 dauerte es fünf Wochen bis zur Fertigstellung des Sitzungsprotokolls. Erst im Anschluss daran konnte das Urteil der Verteidigerin des Angeklagten im April 2015 zugestellt werden. Sie legte gegen das Urteil Revision ein und begründete sie im Mai 2015. Nachfolgend kam es wegen einer Arbeitsüberlastung des Staatsanwalts zu einer weiteren Verzögerung von über 6 Monaten. Erst im Dezember 2015 entschied sich der Staatsanwalt gegen eine Abgabe der Revisionsgegenerklärung und verfügte die Übersendung der Akten an die Generalbundesanwaltschaft. Wegen eines justizinternen Fehlers kam es dabei zu einer nochmaligen Verzögerung von über einen Monat. Die Generalbundesanwaltschaft erhielt die Akten schließlich im Januar 2016.
Landgericht verneint Aufhebung des Haftbefehls
Das Landgericht Köln verneinte die Aufhebung des Haftbefehls und ordnete daher das weitere Bestehen der Untersuchungshaft an. Dagegen richtete sich die Beschwerde des Angeklagten.
Oberlandesgericht ließ Angeklagten frei
Das Oberlandesgericht Köln entschied zu Gunsten des Angeklagten und hob daher die Entscheidung des Landgerichts auf. Die Fortdauer der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig gewesen. Sie sei aufgrund der Verfahrensverzögerungen mit dem Recht des Angeklagten auf ein im rechtsstaatlichen Verfahren verankerten Beschleunigungsgebot nicht mehr vereinbar gewesen.
Verstoß gegen Beschleunigungsgebot aufgrund vermeidbarer und ungerechtfertigter Verzögerung
Die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte müssen nach Ansicht des Oberlandesgerichts alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfene Tat herbeizuführen. Es sei insofern zu beachten, dass die Untersuchungshaft trotz geltender Unschuldsvermutung zu einem Freiheitsentzug führe. Die Untersuchungshaft könne daher als nicht notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare und sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerungen verursacht wird. So habe der Fall hier gelegen.
Vermeidbare und ungerechtfertigte Verzögerung von über 8 Monaten
Im vorliegenden Fall sei es zu einer auf justizinterne Ursachen zurückzuführende Verfahrensverzögerung von über 8 Monaten gekommen, so das Oberlandesgericht. Die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls über 5 Wochen nach Fertigstellung des Urteils sei verspätet gewesen. Ebenso die Entscheidung des Staatsanwalts gegen die Abgabe der Revisionsgegenerklärung und seine Verfügung zur Übersendung der Akten an die Generalbundesanwaltschaft. In diesem Zusammenhang spiele eine eventuelle Arbeitsüberlastung keine Rolle. Dies könne nicht zu Lasten eines Beschuldigten gehen. Schließlich sei die Verzögerung von über einem Monat bei der Versendung der Akten an die Generalbundesanwaltschaft zu lang gewesen.
Schwere der Tat sowie erstinstanzliche Verurteilung unbeachtlich
Die Schwere der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat sowie seine erstinstanzliche Verurteilung sei nach Auffassung des Oberlandesgericht unbeachtlich bei der Frage der Verhältnismäßig der Untersuchungshaft gewesen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 09.12.2016
Quelle: Oberlandesgericht Köln, ra-online (vt/rb)
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