21.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Oberlandesgericht München Urteil11.01.2011

Sektflasche explodiert: Hersteller zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteiltHersteller haften für Produktfehler - auch für unvermeidbare Ausreißer

Der Hersteller haftet für seine Produkte und muss durch Fehler verursachte Schäden ersetzen. Insbesondere die von Glasflaschen mit kohlen­säu­re­haltigen Getränken wie Sekt ausgehenden Gefahren sind bekannt. Explodiert eine Sektflasche in der Hand eines Kunden, so kann sich der Sekthersteller nicht einfach darauf berufen, dass es möglicherweise erst nach dem Verkauf zu einer Beschädigung der Flasche gekommen sein könnte. Eine solche Beschädigung erst nach Auslieferung der Flasche muss der Hersteller nachweisen. Andernfalls schuldet er dem verletzten Kunden Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Geklagt hatte in dem in letzter Instanz vom Oberlan­des­gericht München entschiedenen Fall eine Lehrerin. Diese war auf einer Dienst­be­sprechung verletzt worden, als der Schulrektor den 21 Lehrern des Kollegiums jeweils eine ,2 Liter Flasche Piccolo überreicht hatte. Beim Übergeben einer der Flaschen explodierte diese in der Hand des Rektors. Die Klägerin wurde von umherfliegenden Glassplittern am rechten Auge getroffen und verletzt. Sie verklagte daraufhin den Sekthersteller und Flasche­n­ab­füller sowie den Hersteller der Glasflasche auf Schadensersatz sowie auf Schmerzensgeld von mindestens 50.000 Euro.

Oberflä­chen­be­schä­digung der Flasche führte zur Explosion

Das Landgericht München II gab der Lehrerin dem Grunde nach Recht. Das Oberlan­des­gericht bestätigte die Entscheidung in der Berufung. Nach Angaben des Sachver­ständigen beruhe der Unfall auf einer Oberflä­chen­ver­letzung der Flasche. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Beschädigung erst nach den maßgeblichen Zeitpunkten des Inver­kehr­bringens entstanden seien, lägen nicht vor. Es liege ein sogenannter Innendruckbruch aufgrund einer Oberflä­chen­be­schä­digung vor.

Oberflä­chen­be­schä­di­gungen der Flasche sind jederzeit möglich, aber kaum erkenn- und vermeidbar

Solche Oberflä­chen­be­schä­di­gungen können auf vielfältige Weise entstehen: Bereits in der Glashütte, beim Verpacken, Transport und Entpacken der Flaschen, in der Befül­lungs­anlage oder auch erst beim Händler oder dem Endkunden. Durch Beschädigungen entstandene Mikrorisse spielten sich auf atomarer Ebene ab und seien nicht einmal mithilfe eines Mikroskops zu erkennen und setzten sich mit nicht voraussagbarer Ausbrei­tungs­ge­schwin­digkeit fort.

Kunden dürfen erwarten, dass gekaufte Glasflaschen nicht explodieren

Infolge der Oberflä­chen­be­schä­digung sei die Flasche auch fehlerhaft im Sinne des Produkt­haf­tungs­ge­setzes gewesen. Danach habe ein Produkt einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit biete, die unter Berück­sich­tigung der Umstände erwartet werden könne. Bei Glasflaschen mit kohlen­säu­re­haltigen Getränken gehe die berechtigte Kundenerwartung dahin, dass die Flaschen keine Beschädigungen haben - auch keine Haar- und Mikrorisse, die zu einer Explosion der Flasche führen.

Hersteller hat Verantwortung für seine Produkte - auch wenn Fehler unvermeidbar sind

Dieser Erwartung stehe nicht entgegen, dass Mikrorisse gar nicht erkannt werden können, also technisch nicht feststellbar und folglich nicht hundert­pro­zentig vermeidbar seien. Sei ein solcher Riss trotzdem vorhanden, so liege ein Fabri­ka­ti­o­ns­fehler in Form eines Ausreißers vor. Die Haftung für unvermeidbare Ausreißer bedeute deshalb auch keine Verantwortung für Verhal­ten­s­unrecht, sondern gemäß der Konzeption des Produkt­haf­tungs­ge­setzes eine Verantwortung des Herstellers für Gefahren des Produktes.

Von explodierenden Glasflaschen ausgehende Gefahren sind bekannt

Zumindest die Gefahr, die von zerberstenden Glasflaschen ausgehe, sei bekannt und grundsätzlich vermeidbar - etwa durch Ummantelung der Glasflaschen. Dass darauf unter Kosten­ge­sichts­punkten verzichtet worden sei, führe nicht zur Verneinung eines Produktfehlers. Mit Blick auf die Größe der Gefahr, die von umherfliegenden Scherben bei einer Explosion für Gesundheit und Leben von Menschen ausgehe, sei die Erwartung des Verbrauchers, dass eine Flasche mit kohlen­säu­re­haltigen Getränken ohne jede die Innen­druck­fes­tigkeit einschränkende Beschädigung in den Verkehr gegeben werde, berechtigt. Und zwar unabhängig davon, dass der Hersteller eine Risikoflasche gar nicht mit absoluter Sicherheit erkennen und aussortieren könne.

Nur unbekannte Risiken schließen eine Haftung des Herstellers aus

Der Hersteller hafte nur dann nicht, wenn der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist, nicht erkannt werden konnte. Damit soll die Haftung für sogenannte Entwick­lungs­risiken ausgeschlossen werden, also die Haftung für Risiken eines Produktes, die im Zeitpunkt des Inver­kehr­bringens nicht erkennbar waren. Die von Glasflaschen mit kohlen­säu­re­haltigen Getränken ausgehende Risiken sind jedoch grundsätzlich bekannt.

Schlag­fes­tigkeit von Glasflaschen reicht im Normalfall aus - Oberflä­chen­ver­letzung ist bei normaler Handhabung unwahr­schein­licher als Sechser im Lotto

Die Richter führten weiter aus, dass das Risiko, dass es bei einer vorsichtigen Handhabung der Flasche durch den Kunden zu einer Oberflä­chen­ver­letzung komme, kleiner sei als die Chance auf einen Sechser im Lotto. Der Normalfall bestehe darin, dass bei dieser Handhabung nichts passiere. Für den normalen Gebrauch reiche die Schlag­fes­tigkeit der Flaschen aus. Deshalb reiche auch die bloße Möglichkeit eines späteren Fehlereintritts nicht aus, um den Hersteller aus seiner Haftung zu entlassen.

Quelle: ra-online, Oberlandesgericht München (vt/we)

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