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Oberlandesgericht München Urteil11.01.2011
Sektflasche explodiert: Hersteller zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteiltHersteller haften für Produktfehler - auch für unvermeidbare Ausreißer
Der Hersteller haftet für seine Produkte und muss durch Fehler verursachte Schäden ersetzen. Insbesondere die von Glasflaschen mit kohlensäurehaltigen Getränken wie Sekt ausgehenden Gefahren sind bekannt. Explodiert eine Sektflasche in der Hand eines Kunden, so kann sich der Sekthersteller nicht einfach darauf berufen, dass es möglicherweise erst nach dem Verkauf zu einer Beschädigung der Flasche gekommen sein könnte. Eine solche Beschädigung erst nach Auslieferung der Flasche muss der Hersteller nachweisen. Andernfalls schuldet er dem verletzten Kunden Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Geklagt hatte in dem in letzter Instanz vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall eine Lehrerin. Diese war auf einer Dienstbesprechung verletzt worden, als der Schulrektor den 21 Lehrern des Kollegiums jeweils eine ,2 Liter Flasche Piccolo überreicht hatte. Beim Übergeben einer der Flaschen explodierte diese in der Hand des Rektors. Die Klägerin wurde von umherfliegenden Glassplittern am rechten Auge getroffen und verletzt. Sie verklagte daraufhin den Sekthersteller und Flaschenabfüller sowie den Hersteller der Glasflasche auf Schadensersatz sowie auf Schmerzensgeld von mindestens 50.000 Euro.
Oberflächenbeschädigung der Flasche führte zur Explosion
Das Landgericht München II gab der Lehrerin dem Grunde nach Recht. Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung in der Berufung. Nach Angaben des Sachverständigen beruhe der Unfall auf einer Oberflächenverletzung der Flasche. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Beschädigung erst nach den maßgeblichen Zeitpunkten des Inverkehrbringens entstanden seien, lägen nicht vor. Es liege ein sogenannter Innendruckbruch aufgrund einer Oberflächenbeschädigung vor.
Oberflächenbeschädigungen der Flasche sind jederzeit möglich, aber kaum erkenn- und vermeidbar
Solche Oberflächenbeschädigungen können auf vielfältige Weise entstehen: Bereits in der Glashütte, beim Verpacken, Transport und Entpacken der Flaschen, in der Befüllungsanlage oder auch erst beim Händler oder dem Endkunden. Durch Beschädigungen entstandene Mikrorisse spielten sich auf atomarer Ebene ab und seien nicht einmal mithilfe eines Mikroskops zu erkennen und setzten sich mit nicht voraussagbarer Ausbreitungsgeschwindigkeit fort.
Kunden dürfen erwarten, dass gekaufte Glasflaschen nicht explodieren
Infolge der Oberflächenbeschädigung sei die Flasche auch fehlerhaft im Sinne des Produkthaftungsgesetzes gewesen. Danach habe ein Produkt einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit biete, die unter Berücksichtigung der Umstände erwartet werden könne. Bei Glasflaschen mit kohlensäurehaltigen Getränken gehe die berechtigte Kundenerwartung dahin, dass die Flaschen keine Beschädigungen haben - auch keine Haar- und Mikrorisse, die zu einer Explosion der Flasche führen.
Hersteller hat Verantwortung für seine Produkte - auch wenn Fehler unvermeidbar sind
Dieser Erwartung stehe nicht entgegen, dass Mikrorisse gar nicht erkannt werden können, also technisch nicht feststellbar und folglich nicht hundertprozentig vermeidbar seien. Sei ein solcher Riss trotzdem vorhanden, so liege ein Fabrikationsfehler in Form eines Ausreißers vor. Die Haftung für unvermeidbare Ausreißer bedeute deshalb auch keine Verantwortung für Verhaltensunrecht, sondern gemäß der Konzeption des Produkthaftungsgesetzes eine Verantwortung des Herstellers für Gefahren des Produktes.
Von explodierenden Glasflaschen ausgehende Gefahren sind bekannt
Zumindest die Gefahr, die von zerberstenden Glasflaschen ausgehe, sei bekannt und grundsätzlich vermeidbar - etwa durch Ummantelung der Glasflaschen. Dass darauf unter Kostengesichtspunkten verzichtet worden sei, führe nicht zur Verneinung eines Produktfehlers. Mit Blick auf die Größe der Gefahr, die von umherfliegenden Scherben bei einer Explosion für Gesundheit und Leben von Menschen ausgehe, sei die Erwartung des Verbrauchers, dass eine Flasche mit kohlensäurehaltigen Getränken ohne jede die Innendruckfestigkeit einschränkende Beschädigung in den Verkehr gegeben werde, berechtigt. Und zwar unabhängig davon, dass der Hersteller eine Risikoflasche gar nicht mit absoluter Sicherheit erkennen und aussortieren könne.
Nur unbekannte Risiken schließen eine Haftung des Herstellers aus
Der Hersteller hafte nur dann nicht, wenn der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist, nicht erkannt werden konnte. Damit soll die Haftung für sogenannte Entwicklungsrisiken ausgeschlossen werden, also die Haftung für Risiken eines Produktes, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkennbar waren. Die von Glasflaschen mit kohlensäurehaltigen Getränken ausgehende Risiken sind jedoch grundsätzlich bekannt.
Schlagfestigkeit von Glasflaschen reicht im Normalfall aus - Oberflächenverletzung ist bei normaler Handhabung unwahrscheinlicher als Sechser im Lotto
Die Richter führten weiter aus, dass das Risiko, dass es bei einer vorsichtigen Handhabung der Flasche durch den Kunden zu einer Oberflächenverletzung komme, kleiner sei als die Chance auf einen Sechser im Lotto. Der Normalfall bestehe darin, dass bei dieser Handhabung nichts passiere. Für den normalen Gebrauch reiche die Schlagfestigkeit der Flaschen aus. Deshalb reiche auch die bloße Möglichkeit eines späteren Fehlereintritts nicht aus, um den Hersteller aus seiner Haftung zu entlassen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 27.05.2011
Quelle: ra-online, Oberlandesgericht München (vt/we)
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