03.12.2024
03.12.2024  
Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 12225

Drucken
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht München Urteil04.08.2011

OLG München: Amtspflicht­ver­letzung bei falscher RentenberatungAmtliche Auskünfte müssen richtig, vollständig und unmiss­ver­ständlich sein

Eine Falschberatung durch einen Mitarbeiter eines Renten­ver­si­che­rungs­trägers kann zu einer Amtspflicht­ver­letzung führen. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts München hervor. Da die amtlichen Auskünfte nicht wie vom Bundes­ge­richtshof vorgeschrieben richtig, vollständig und unmiss­ver­ständlich waren sprach das Gericht einem Rentner wegen Falschberatung Schadensersatz zu.

Im zugrunde liegenden Fall hatte ein am 6. Juli 1948 geborener, bis zum 30. September 2003 als Angestellter im Bankgewerbe renten­ver­si­che­rungs­pflichtiger Mann geklagt. Vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Januar 2005 war der Mann arbeitslos gemeldet und hatte entsprechende Leistungen bezogen. Die sich anschließende selbständige Tätigkeit beendete der Mann zum 31. Dezember 2006. Eine erneute Arbeits­los­meldung erfolgte nicht. Am 31. Mai 2006 hatte der Mann eine Beratungsstelle der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung aufgesucht, um sich über die Möglichkeit, Altersrente zu beziehen, zu informieren. Der ihn dort beratende Mitarbeiter der Beklagten hatte ihm dabei die Berechnung einer Altersrente wegen Arbeits­lo­sigkeit oder nach Alters­teil­zeit­arbeit übergeben.

Versicherung lehnt Antrag auf Gewährung von Altersrente ab

Am 12. März 2008 stellte der Mann beim Träger der Renten­ver­si­cherung einen Antrag auf Gewährung von Altersrente nach § 237 des Sechsten Buches des Sozial­ge­setzbuchs (SGB VI). Die Versicherung lehnte den Antrag ab. Rechtsmittel des Mannes gegen diesen Bescheid blieben erfolglos. Der Mann war weder in dem von § 237 SGB VI geforderten Umfang arbeitslos gewesen noch hatte er in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente die von dieser Vorschrift geforderten Pflichtbeiträge erbracht.

Kläger verlangt Schadensersatz wegen Falschberatung durch die Renten­ver­si­cherung

In seiner auf Schadensersatz gerichteten und beim Landgericht Kempten (Allgäu) gegen die Renten­ver­si­cherung erhobenen Klage vertrat der Mann die Auffassung, am 31. Mai 2006 falsch beraten worden zu sein. Pflichtwidrig habe man es unterlassen, ihn darüber aufzuklären, dass er zwar gegenwärtig die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Altersrente gemäß § 237 SGB VI nicht erfülle, jedoch durch Nachzahlung von Beiträgen und Arbeits­los­meldung bis zum Rentenbeginn die für die Rentengewährung erforderlichen Voraussetzungen noch herbeiführen könne. Aufgrund der ihm übergebenen Proberechnung habe er darauf vertrauen können, dass ihm die dort genannten Rentenansprüche mit Vollendung des 60. Lebensjahres zustünden. Der Kläger machte den Schaden geltend, der ihm daraus entsteht, dass er mit Vollendung des 60. Lebensjahres keine Rente nach § 237 SGB VI erhält. Weiter wollte er Ersatz dafür, dass er eine Betriebsrente sowie eine weitere privat­rechtliche Zusatz­ver­sorgung nun erst zu einem späteren Zeitpunkt beziehen könne, da die Fälligkeit dieser Versorgungen an den Bezug der gesetzlichen Altersrente gekoppelt sei.

Versicherung weist Vorwurf der Falschberatung von sich

Die Beklagte war der Auffassung, den Kläger nicht fehlerhaft beraten zu haben, da es sich für ihn ersichtlich nicht um eine abschließende Bewertung gehandelt habe.

OLG bejaht Amtspflicht­ver­letzung des Renten­ver­si­che­rungs­trägers

Dem war das Landgericht im Ergebnis gefolgt und wies die Klage ab. Mit seiner Berufung hat der Kläger nun einen Teilerfolg erzielt. Das Oberlan­des­gericht München stellte nach erneuter Beweisaufnahme eine Amtspflichtverletzung des Renten­ver­si­che­rungs­trägers fest. § 14 des Ersten Buches der Sozia­l­ver­si­cherung (SGB I), so das Gericht, verpflichte die Leistungsträger der gesetzlichen Sozia­l­ver­si­cherung, die Versicherten über deren Rechte nach dem Sozial­ge­setzbuch zu beraten. Amtliche Auskünfte müssten nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs richtig, vollständig und unmiss­ver­ständlich sein. Zur Vollständigkeit gehöre hier, da die komplizierten, ständiger Veränderung unterliegenden Voraussetzungen von Ansprüchen aus der gesetzlichen Sozia­l­ver­si­cherung für den Versicherten aus eigenem Wissen nur sehr eingeschränkt überschaubar seien, im Regelfall auch eine Beratung über naheliegende Gestal­tungs­mög­lich­keiten des Versicherten, die es diesem ermöglichen, die erstrebte sozia­l­ver­si­che­rungs­rechtliche Position zu erlangen.

Versi­che­rungs­mi­t­a­r­beiter hätte auf Nichterfüllen der Voraussetzungen für Gewährung von Altersrente hinweisen müssen

Der den Kläger beratende Mitarbeiter der Beklagten sei deshalb verpflichtet gewesen, den Kläger am 31. Mai 2006 auch darüber zu unterrichten, dass und warum die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente gemäß § 237 SGB VI damals nicht erfüllt waren. Insbesondere sei der Kläger auch eindeutig und unmiss­ver­ständlich darüber zu unterrichten gewesen, dass er die Anspruchs­vor­aus­set­zungen durch Arbeits­los­meldung und Nachzahlung von Pflicht­bei­trägen bis zum maßgeblichen Rentenalter noch herbeiführen konnte. Dies sei nicht geschehen, was der hierfür beweis­pflichtige Kläger auch nachweisen habe können. Da es sich um ein Vier-Augen-Gespräch handelte, für das der Kläger keinen Zeugen außer dem im Lager der Beklagten stehenden Mitarbeiter zur Verfügung hatte, stellte das Gericht das Ergebnis der Anhörung des Klägers als Partei gleichwertig mit der Aussage des Mitarbeiters der Beklagten als Zeugen in die Beweiswürdigung ein.

Auch trotz erforderlicher Nachzahlung von Pflicht­bei­trägen wäre Bezug von Altersrente ab dem 60. Lebensjahr von Vorteil gewesen

Es wäre für den Kläger, so das Gericht, massiv vorteilhaft gewesen, wenn er schon ab Vollendung des 60. Lebensjahres und nicht erst fünf Jahre später eine Altersrente aus der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung hätte beziehen können. Die monatliche Rentenleistung hätte den namhaften Betrag von 1.468 Euro ausgemacht. Auch die erforderliche Nachzahlung von Pflicht­bei­trägen in Höhe von insgesamt 4.299,84 Euro sei bei vernünftiger wirtschaft­licher Betrach­tungsweise nicht geeignet gewesen, den Kläger davon abzuhalten, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente gemäß § 237 SGB VI herbeizuführen.

Beratungsfehler des Mitarbeiters ursächlich für unmöglichen Bezug von gesetzlicher Altersrente gemäß § 237 SGB VI

Der Beratungsfehler des Mitarbeiters der Beklagten sei, wie das Gericht erkannt hat, sowohl schuldhaft erfolgt als auch ursächlich dafür gewesen, dass der Kläger keine gesetzliche Altersrente gemäß § 237 SGB VI erhält, obwohl er bei richtiger Beratung noch die Voraussetzungen hierfür hätte schaffen können und geschaffen hätte. (Der Vorteil, der dem Kläger nun dadurch entsteht, dass seine reguläre Altersrente nicht um 18 % gekürzt ist, was im Fall eines Rentenbezugs ab 60 Jahre der Fall gewesen wäre, konnte vom Gericht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht berücksichtigt werden, da bei der Schadens­be­rechnung nur solche Vorteile auszugleichen sind, deren Anfall zuverlässig fest steht, was hier aufgrund der Möglichkeit, dass der Kläger vor seinem 65. Geburtstag verstirbt, nicht der Fall war.)

Geltend machen von über das Sozia­l­ver­si­che­rungsrecht hinausreichende Schäden nicht erfolgreich

Soweit der Kläger über das Sozia­l­ver­si­che­rungsrecht hinausreichende Schäden geltend machte, hatte seine Berufung keine Aussicht auf Erfolg und musste er demzufolge letztlich auch 2/3 der Kosten des Rechtsstreits tragen. Insoweit lag nach Auffassung des Gerichts kein ersatzfähiger Schaden vor. Dieser müsse nach ständiger Rechtsprechung aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen wurde. § 14 SGB I räume jedem Versicherten einen Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch ein. Die von der Beklagten verletzte Beratungs­pflicht diene damit nur der Wahrnehmung und Optimierung der sozia­l­ver­si­che­rungs­recht­lichen Position des Versicherten. Außerhalb des Sozia­l­ver­si­che­rungs­rechts eintretende Schäden einer Fehlberatung lägen nicht im Schutzzweck der genannten Norm. Dafür könne der Sozia­l­ver­si­che­rungs­träger nicht haftbar gemacht werden.

Quelle: Oberlandesgericht München/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil12225

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI