21.11.2024
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Oberlandesgericht München Urteil21.12.2017

OLG München spricht Sohn ererbten Schmerzens­geld­anspruch nach künstlicher Ernährung des Vaters mittels PEG-Sonde zuHausarzt hätte PEG-Sondenernährung mit Betreuer des Patienten gründlich erörtern müssen

Das Oberlan­des­gericht München hat entschieden, dass einem Sohn als Alleinerben seines verstorbenen Vaters Schmerzens­geld­ansprüche im Zusammenhang mit dessen künstlicher Ernährung mittels PEG-Sonde gegen den behandelnden Hausarzt zustehen. Das Gericht bejahte eine Pflicht­ver­letzung seitens des Arztes, da dieser die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium einer finalen Demenz oder deren Beendigung mit Umstellung des Behand­lungsziels auf rein palliative Versorgung mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten besonders gründlich mit dem Betreuer hätte erörtern müssen.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens machte gegenüber dem beklagten Hausarzt Schadensersatz- und Schmer­zens­geldansprüche im Zusammenhang mit der künstlichen Ernährung seines (dementen und unter Betreuung stehenden) Vaters mittels PEG-Sonde in den Jahren 2010 und 2011 geltend. Er ist der Auffassung, dass die Sonderernährung, der er nie zugestimmt habe, spätestens ab Anfang 2010 medizinisch nicht mehr indiziert gewesen sei, vielmehr habe sie ausschließlich zu einer sinnlosen Verlängerung des krank­heits­be­dingten Leidens seines Vaters ohne Aussicht auf Besserung des gesund­heit­lichen Zustands geführt. Der Patient habe nur noch verkrampft im Pflegebett gelegen, habe schwer gelitten und am Leben nicht mehr teilgenommen. Die künstliche Ernährung habe in diesem Zeitraum einen rechtswidrigen körperlichen Eingriff und damit einen Behand­lungs­fehler und eine Verletzung des Persön­lich­keits­rechts seines Vaters dargestellt. Der Beklagte sei als Hausarzt daher zur Änderung des Therapieziels dahingehend verpflichtet gewesen, das Sterben des Patienten unter pallia­tiv­me­di­zi­nischer Betreuung durch Beendigung der Sonderernährung zuzulassen. Der Kläger hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro für angemessen und beantragte eine Zahlung von Schadensersatz in Höhe von ca. 53.000 Euro.

Betreuer laut Hausarzt ausdrücklich auch Sondenernährung gewünscht

Der Beklagte wies eine Pflichtverletzung zurück. Er habe in mehreren Gesprächen mit dem Betreuer des Patienten dessen Gesund­heits­zustand geschildert und auch die Frage einer Beendigung der Sondenernährung diskutiert. Der Betreuer habe ausdrücklich auch die Sondenernährung gewünscht. In jedem Fall fehle eine schuldhafte Verletzung von Pflichten aus dem Behand­lungs­vertrag. Es gelte weiterhin der Grundsatz, dass dem Schutz des Lebens Vorrang eingeräumt werden müsse, "in dubio pro vita".

LG weist Klage ab

Das Landgericht wies die Klage nach Einholung eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens ab, weil es zwar eine Pflicht­ver­letzung des Behand­lungs­ver­trages bejahte, aber weitere Voraussetzungen für Ansprüche nicht als nachgewiesen ansah. Gegen die Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt.

Fortsetzung der PEG-Sondenernährung hätte mit Betreuer besonders gründlich erörtert werden müssen

Das Oberlan­des­gericht München bestätigte die Auffassung des Landgerichts zum Vorliegen einer Pflicht­ver­letzung des Behand­lungs­vertrags. Als behandelnder Arzt eines nicht mehr einwil­li­gungs­fähigen Patienten wäre er nämlich verpflichtet gewesen, die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium der finalen Demenz oder deren Beendigung mit Umstellung des Behand­lungsziels auf rein palliative Versorgung mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten besonders gründlich mit dem Betreuer zu erörtern. Eine derartige vertiefte Erörterung mit dem Betreuer war hier unstreitig, also auch nach Angaben des Beklagten, nicht erfolgt. Das Oberlan­des­gericht hat eine Verletzung der Pflicht des Arztes zur umfassenden Information des Betreuers (§ 1901 b Abs. 1 BGB) bejaht. Das bedeutet nicht, dass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Behandlung abzubrechen, sondern, dass er dem Betreuer die Grundlage für dessen verant­wor­tungs­be­wusste Entscheidung an die Hand geben hätte müssen. Trotz durchgeführter Beweisaufnahme war ungeklärt geblieben, ob sich der Betreuer auch bei umfassender ordnungsgemäßer Erörterung für die Fortsetzung der PEG-Ernährung entschieden hätte. Dies war zum Nachteil des Beklagten zu verwerten, weil er insoweit beweisbelastet war.

Lebens­ver­län­gerung kann Schaden im Rechtssinn darstellen

Nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts kann die aus der Pflicht­ver­letzung resultierende Lebens­ver­län­gerung eines Patienten einen Schaden im Rechtssinn darstellen. Die Verletzung des Integri­täts­in­teresses eines Patienten, dem über einen längeren Zeitraum ohne wirksame Einwilligung mittels einer Magensonde Nahrung und Flüssigkeit verabreicht wird, könne für sich betrachtet bereits ein Schmerzensgeld rechtfertigen; im konkreten Fall sei zu berücksichtigen, dass der Vater des Klägers über fast zwei Jahre hinweg an Dekubiti und anderen schweren Erkrankungen gelitten habe. Dabei hat das Gericht auch bedacht, dass der Patient infolge der degenerativen Gehir­n­er­krankung in seiner Wahrnehmungs- und Empfin­dungs­fä­higkeit eingeschränkt war.

Aus künstlicher Ernährung resultierender Vermö­gens­schaden nicht ausreichend dargelegt

Schaden­s­er­satz­ansprüche, die der Kläger wegen der Kosten der Heimun­ter­bringung seines Vaters auch geltend gemacht hat, hat das Gericht schon deshalb nicht zugesprochen, weil der Kläger einen Vermö­gens­schaden seines Vaters durch die künstliche Ernährung nicht ausreichend dargelegt hat.

Schmer­zens­geldan­spruch uneingeschränkt vererblich

Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist nach der Entscheidung des Gericht uneingeschränkt vererblich, konnte also vom Kläger als Alleinerbe geltend gemacht werden.

Quelle: Oberlandesgericht München/ra-online

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