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Oberlandesgericht München Urteil21.12.2017
OLG München spricht Sohn ererbten Schmerzensgeldanspruch nach künstlicher Ernährung des Vaters mittels PEG-Sonde zuHausarzt hätte PEG-Sondenernährung mit Betreuer des Patienten gründlich erörtern müssen
Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass einem Sohn als Alleinerben seines verstorbenen Vaters Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit dessen künstlicher Ernährung mittels PEG-Sonde gegen den behandelnden Hausarzt zustehen. Das Gericht bejahte eine Pflichtverletzung seitens des Arztes, da dieser die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium einer finalen Demenz oder deren Beendigung mit Umstellung des Behandlungsziels auf rein palliative Versorgung mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten besonders gründlich mit dem Betreuer hätte erörtern müssen.
Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens machte gegenüber dem beklagten Hausarzt Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit der künstlichen Ernährung seines (dementen und unter Betreuung stehenden) Vaters mittels PEG-Sonde in den Jahren 2010 und 2011 geltend. Er ist der Auffassung, dass die Sonderernährung, der er nie zugestimmt habe, spätestens ab Anfang 2010 medizinisch nicht mehr indiziert gewesen sei, vielmehr habe sie ausschließlich zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens seines Vaters ohne Aussicht auf Besserung des gesundheitlichen Zustands geführt. Der Patient habe nur noch verkrampft im Pflegebett gelegen, habe schwer gelitten und am Leben nicht mehr teilgenommen. Die künstliche Ernährung habe in diesem Zeitraum einen rechtswidrigen körperlichen Eingriff und damit einen Behandlungsfehler und eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts seines Vaters dargestellt. Der Beklagte sei als Hausarzt daher zur Änderung des Therapieziels dahingehend verpflichtet gewesen, das Sterben des Patienten unter palliativmedizinischer Betreuung durch Beendigung der Sonderernährung zuzulassen. Der Kläger hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro für angemessen und beantragte eine Zahlung von Schadensersatz in Höhe von ca. 53.000 Euro.
Betreuer laut Hausarzt ausdrücklich auch Sondenernährung gewünscht
Der Beklagte wies eine Pflichtverletzung zurück. Er habe in mehreren Gesprächen mit dem Betreuer des Patienten dessen Gesundheitszustand geschildert und auch die Frage einer Beendigung der Sondenernährung diskutiert. Der Betreuer habe ausdrücklich auch die Sondenernährung gewünscht. In jedem Fall fehle eine schuldhafte Verletzung von Pflichten aus dem Behandlungsvertrag. Es gelte weiterhin der Grundsatz, dass dem Schutz des Lebens Vorrang eingeräumt werden müsse, "in dubio pro vita".
LG weist Klage ab
Das Landgericht wies die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens ab, weil es zwar eine Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages bejahte, aber weitere Voraussetzungen für Ansprüche nicht als nachgewiesen ansah. Gegen die Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt.
Fortsetzung der PEG-Sondenernährung hätte mit Betreuer besonders gründlich erörtert werden müssen
Das Oberlandesgericht München bestätigte die Auffassung des Landgerichts zum Vorliegen einer Pflichtverletzung des Behandlungsvertrags. Als behandelnder Arzt eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten wäre er nämlich verpflichtet gewesen, die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium der finalen Demenz oder deren Beendigung mit Umstellung des Behandlungsziels auf rein palliative Versorgung mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten besonders gründlich mit dem Betreuer zu erörtern. Eine derartige vertiefte Erörterung mit dem Betreuer war hier unstreitig, also auch nach Angaben des Beklagten, nicht erfolgt. Das Oberlandesgericht hat eine Verletzung der Pflicht des Arztes zur umfassenden Information des Betreuers (§ 1901 b Abs. 1 BGB) bejaht. Das bedeutet nicht, dass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Behandlung abzubrechen, sondern, dass er dem Betreuer die Grundlage für dessen verantwortungsbewusste Entscheidung an die Hand geben hätte müssen. Trotz durchgeführter Beweisaufnahme war ungeklärt geblieben, ob sich der Betreuer auch bei umfassender ordnungsgemäßer Erörterung für die Fortsetzung der PEG-Ernährung entschieden hätte. Dies war zum Nachteil des Beklagten zu verwerten, weil er insoweit beweisbelastet war.
Lebensverlängerung kann Schaden im Rechtssinn darstellen
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann die aus der Pflichtverletzung resultierende Lebensverlängerung eines Patienten einen Schaden im Rechtssinn darstellen. Die Verletzung des Integritätsinteresses eines Patienten, dem über einen längeren Zeitraum ohne wirksame Einwilligung mittels einer Magensonde Nahrung und Flüssigkeit verabreicht wird, könne für sich betrachtet bereits ein Schmerzensgeld rechtfertigen; im konkreten Fall sei zu berücksichtigen, dass der Vater des Klägers über fast zwei Jahre hinweg an Dekubiti und anderen schweren Erkrankungen gelitten habe. Dabei hat das Gericht auch bedacht, dass der Patient infolge der degenerativen Gehirnerkrankung in seiner Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit eingeschränkt war.
Aus künstlicher Ernährung resultierender Vermögensschaden nicht ausreichend dargelegt
Schadensersatzansprüche, die der Kläger wegen der Kosten der Heimunterbringung seines Vaters auch geltend gemacht hat, hat das Gericht schon deshalb nicht zugesprochen, weil der Kläger einen Vermögensschaden seines Vaters durch die künstliche Ernährung nicht ausreichend dargelegt hat.
Schmerzensgeldanspruch uneingeschränkt vererblich
Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist nach der Entscheidung des Gericht uneingeschränkt vererblich, konnte also vom Kläger als Alleinerbe geltend gemacht werden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 22.12.2017
Quelle: Oberlandesgericht München/ra-online
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