Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: An einem Morgen im Februar 1996 litt ein 16-jähriger Jugendlicher unter Schmerzen im linken Unterbauch. Er befand sich diesbezüglich seit dem Vortag in einem Krankenhaus. Die behandelnden Ärzte unterließen trotz des bestehenden Verdachts auf eine Hodentorsion entsprechende Untersuchungen, um dies auszuschließen. Der Jugendliche wurde anderweitig behandelt und seinem Vater übergeben, der ihm zu einem Urologen bringen sollte. Dieser bestätigte den Verdacht einer Hodentorsion und wies den Jugendlichen umgehend in eine Fachklinik ein. In diesem kam es aufgrund eines Organisationsfehlers ebenfalls zu einer Verzögerung, weshalb der Jugendliche erst knapp drei Stunden nach Aufnahme operiert werden konnte. Die Verzögerungen führten schließlich zum Verlust des linken Hodens. Der Jugendliche erhob daraufhin gegen die erste und die zweite Klinik Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld.
Das Landgericht Aachen gab der Schmerzensgeldklage statt und sprach dem Jugendlichen wegen des Hodenverlustes ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 DM (ca. 12.782 EUR) zu. Es hielt jedoch nur die Betreiberin der ersten Klinik für schadensersatzpflichtig. Gegen diese Entscheidung legte der Jugendliche sowie die Betreiberin der ersten Klinik Berufung ein.
Das Oberlandesgericht Köln entschied zum Teil zu Gunsten des Jugendlichen und hob dementsprechend die Entscheidung des Landgerichts auf. Ihm stehe wegen des Hodenverlustes ein Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 18.000 EUR (ca. 35.000 DM) zu. Zu berücksichtigen sei, neben dem erlittenen Körperschaden, das leichtfertige Verhalten der behandelnden Ärzte in der ersten Klinik sowie die Angst vor dem Verlust des verbliebenen Hodens mit den damit verbundenen schweren Folgen.
Das Oberlandesgericht hielt zunächst nur die Betreiberin der ersten Klinik für schadensersatzpflichtig. Für eine Haftung der Fachklinik erachtete das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich. Jedenfalls hätten die Ärzte in der ersten Klinik den Jugendlichen sofort einem zur operativen Freilegung der Hoden bereiten Urologen vorstellen müssen. Der Verdacht auf Hodentorsion müsse im Zweifel durch sofortige Operation geklärt werden, da der Hoden aufgrund der Durchblutungstopps nach vier bis sechs Stunden verloren sei. Im Falle der gebotenen notfallmäßigen Verlegung in eine Fachklinik wäre der Hoden zu retten gewesen.
Soweit die Klinikbetreiberin zur Entlastung darauf hinwies, dass sie den Jugendlichen zur weiteren Abklärung des Torsionsverdachtes an einem niedergelassen Urologen verwiesen haben, hielt das Oberlandesgericht dies für unbeachtlich. Die Verweisung sei falsch gewesen, da der Urologe mangels technischer Ausstattung nicht zur operativen Freilegung der Hoden in der Lage gewesen sei. Er haben den Jugendlichen daher weiterverweisen müssen, was zu einer weiteren Verzögerung geführt habe.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts habe die Verzögerung in der Fachklinik nicht zu einem Haftungsausschluss geführt. Zwar hätte der Hoden möglicherweise gerettet werden könne, wenn es nicht zu dem Organisationsfehler in der Fachklinik gekommen wäre. Die erhebliche Verzögerung der Behandlung sei aber durch die Ärzte in der erste Klinik verursacht worden. Diese haben durch ihre vorwerfbare Fehlentscheidung die Kausalkette in Gang gesetzt, die schließlich zum Hodenverlust geführt habe.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.09.2017
Quelle: Oberlandesgericht Köln, ra-online (vt/rb)