23.11.2024
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Oberlandesgericht Köln Urteil29.05.2018

Kohl-Zitate im Buch "Vermächtnis: Die Protokolle" bleiben im Wesentlichen verbotenAngegriffene Zitate verletzen postmortales Persönlichkeits­recht des Verstorbenen

Im Rechtsstreit um das Buch "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" bleiben die vom verstorbenen Altbun­des­kanzler bzw. dessen Erbin angegriffenen Textstellen im Wesentlichen verboten. Das Oberlan­des­gericht Köln bestätigte in weiten Teilen die vom Landgericht Köln gegenüber den Buchautoren und dem Verlag ausgesprochene Verpflichtung, einzeln bezeichnete Textstellen nicht zu veröffentlichen.

Bei der Unter­las­sungs­ver­pflichtung unterschied das Oberlan­des­gericht im rechtlichen Ansatzpunkt zwischen dem Hauptautor des Buches auf der einen Seite und dem Co-Autor und dem Verlag auf der anderen Seite. Der Hauptautor darf alle 116 angegriffenen Textstellen nicht weiter­ver­breiten. Das hatte bereits das Landgericht so entschieden. Das Oberlan­des­gericht führte aus, dass der Hauptautor als "Ghostwriter" des Altbun­des­kanzlers aus einem Rechts­ver­hältnis ähnlich dem Auftragsrecht umfassend zur Verschwie­genheit verpflichtet sei. Grundlage der mehrjährigen vertrau­ens­vollen Zusammenarbeit sei gewesen, dass dem Verstorbenen ein Letztent­schei­dungsrecht über etwaige Veröf­fent­li­chungen zugestanden habe. Nur vor diesem Hintergrund habe er sich gegenüber dem Hauptautor geöffnet und diesem Zugang zu geschützten Unterlagen wie z.B. seiner Stasi-Akte ermöglicht. Das Letztent­schei­dungsrecht des Verstorbenen sei bei den ersten - in einem anderen Verlag einvernehmlich veröf­fent­lichten - Bänden der Memoiren auch so gelebt worden. Im Kern habe dies auch der Hauptautor so gesehen, wenn er sich selbst als "schreibender Untertan" bezeichnet habe. Spätestens mit Kündigung der Zusammenarbeit durch den Altbun­des­kanzler im Jahr 2009 sei klar gewesen, dass dieser nicht mit der Veröf­fent­lichung seiner aufgenommenen Äußerungen einverstanden gewesen sei. Die Verschwie­gen­heits­pflicht ende auch nicht mit dem Tod des Erblassers.

115 Textstellen dürfen nicht weiter verbreitet werden

Der Co-Autor und der Verlag dürfen wörtliche Zitate, die in 115 angegriffenen Textstellen enthalten sind, nicht weiter­ver­breiten. Insoweit wurde das landge­richtliche Urteil in geringem Umfang zu Gunsten der Beklagten abgeändert. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der Co-Autor und der Verlag mit dem Altbun­des­kanzler nicht wie der Hauptautor durch eine Vereinbarung verbunden gewesen seien. Sie treffe aber eine Unter­las­sungs­pflicht, weil die angegriffenen Zitate das postmortale Persön­lich­keitsrecht des Verstorbenen verletzten.

Tonband­auf­nahmen belegen Sperrvermerke für Zitate

Acht Zitate seien schon deshalb verboten, weil der Altbun­des­kanzler ausweislich der Tonband­auf­nahmen bzw. der dazu existierenden Transkripte schon während des Gesprächs gesagt habe, dass die entsprechenden Aussagen nicht veröffentlicht werden sollten ("Sperr­ver­merks­zitate"). Hierzugehören beispielsweise im Buch wiedergegebene Aussagen zu Lady Diana, bei denen der Verstorbene unmittelbar vor dem Zitat gesagt habe "Darüber schreiben wir nichts".

Zitate wegen verfälschtem Kontext unzulässig

41 Zitate seien unzulässig, weil das Zitat unrichtig oder im Buch der Kontext verfälscht worden sei ("Kontext­ver­fäl­schungen"). Hierzu zähle beispielswese ein Zitat, wonach Margaret Thatcher auf Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs "gern eingeschlafen" sei. Im Kontext des Buches solle das Zitat belegen, dass der Altbun­des­kanzler die ehemalige britische Regie­rung­s­chefin als "sonderbares Exemplar" vorgeführt habe. Aus dem Kontext der Tonband­auf­nahmen ergebe sich dagegen, dass der Altbun­des­kanzler ein konkretes Erlebnis geschildert habe, bei dem es durchaus Grund für Müdigkeit gegeben habe und das Verhalten der englischen Premi­er­mi­nisterin eher beiläufig erwähnt habe. Auch ein Zitat betreffend die Tischmanieren der amtierenden Bundeskanzlerin sei in einem verfälschten Kontext dargestellt worden. Während die Einbindung des Zitats im Buch nahelege, der Altbun­des­kanzler wolle die frühere politische Weggefährtin im Rahmen einer Genera­l­a­brechnung abqualifizieren ("King Lear aus der Pfalz hält Gerichtstag über seine missratene Brut"), ergebe sich aus dem Gesamtkontext des Transkriptes - Tonband­auf­nahmen hierzu wurden nicht vorgelegt -, dass sich die Aussage auf die elementaren Veränderungen bezog, die die Menschen in den neuen Bundesländern gerade und auch im Hinblick auf die Veränderung der Gesellschafts- und Konfes­si­onss­trukur bewältigen mussten. Die Aussage enthalte in der Zielrichtung keinen Vorwurf gegen die amtierende Bundeskanzlerin, sondern vielmehr gegen die Bevölkerung der alten Bundesländer, die für diese Bewältigung der Veränderungen kein Verständnis aufgebracht hätten.

Auch "Kombizitate" unzulässig

Weitere 18 Zitate seien unzulässig, weil verschiedene Äußerungen des Altbun­des­kanzlers, die in unter­schied­lichen Kontexten geäußert worden waren, im Buch so anein­an­der­gereiht wurden, dass der unzutreffende Eindruck eines durchgängigen Redeflusses des Verstorbenen entstehe ("Kombizitate"). Beispielsweise seien im Buch zwei nicht zusam­men­hängende Äußerungen betreffend den ehemaligen CDU-Minis­ter­prä­si­denten aus Nordrhein-Westfalen innerhalb eines längeren Textes willkürlich kombiniert, ohne dass dies für den Leser erkennbar sei.

Co-Autor und der Verlag setzen sich rücksichtslos über schützenswerte Belange des Altbun­des­kanzlers hinweg

Auch die weiteren wörtlichen Zitate seien unzulässig, weil an deren wörtlicher Offenbarung kein überwiegendes Interesse bestanden habe. Dem Co-Autor und dem Verlag sei bekannt gewesen, dass der Hauptautor durch die ungenehmigte Weitergabe der Tonband­auf­zeich­nungen die ihn treffende Verschwie­gen­heits­ver­pflichtung gebrochen habe. Sie hätten die Umstände gekannt, unter denen die Aufzeichnungen entstanden waren und gewusst, dass sie als reine Stoffsammlung für die Lebens­e­r­in­ne­rungen des Altbun­des­kanzlers dienen sollten. Über die schützenswerten Belange des Altbun­des­kanzlers hätten sich der Co-Autor und der Verlag indes rücksichtslos hinweggesetzt, ohne dass dies durch ein überwiegendes öffentliches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse gerechtfertigt gewesen wäre. Der im Vorwort des Buches formulierte Wunsch, zu verhindern, dass die zweite Ehefrau des Altbun­des­kanzlers die von ihr vermeintlich beanspruchte Deutungshoheit über dessen Leben und politisches Wirken erhalte, rechtfertige nicht, dessen wörtliche Äußerungen gegen seinen ausdrücklichen Willen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Nach Tod des Altbun­des­kanzlers besteht Schutz des Persön­lich­keits­rechts nur noch in schwächerer Form

Das Oberlan­des­gericht führte weiter aus, dass das Landgericht zum damaligen Zeitpunkt - zu Lebzeiten des Altbun­des­kanzlers - zu Recht die angegriffenen Äußerungen vollumfänglich untersagt habe. Im Berufungs­ver­fahren habe sich die Rechtslage insoweit geändert, als durch den Tod des Altbun­des­kanzlers dieser in Gestalt des sogenannten postmortalen Persön­lich­keits­rechts nur noch einen schwächeren Schutz genieße als der lebende Mensch. Daher blieben bei 115 der angegriffenen Textstellen nur noch die darin enthaltenen wörtlichen Äußerungen verboten. Zitate seien eine besonders scharfe Waffe im politischen und gesell­schaft­lichen Meinungskampf, da der Zitierte als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt werde. Dies sei auch bei einem Verstorbenen der Fall, weil dessen Lebensbild ohne eine ausreichende Möglichkeit der Gegenwehr den entsprechenden Auswirkungen in der öffentlichen Meinungsbildung ausgesetzt sei. Eine der Textstellen enthalte kein wörtliches Zitat und sei daher nicht zu untersagen.

Quelle: Oberlandesgericht Köln/ra-online

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