23.11.2024
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Dokument-Nr. 9330

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Beschluss22.01.2010Oberlandesgericht Koblenz10 U 613/09
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • MDR 2010, 694Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2010, Seite: 694
  • NJW-RR 2010, 762Zeitschrift: NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (NJW-RR), Jahrgang: 2010, Seite: 762
  • RRa 2010, 237Zeitschrift: Reiserecht aktuell (RRa), Jahrgang: 2010, Seite: 237
  • VersR 2010, 905Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 2010, Seite: 905
  • VuR 2010, 157Zeitschrift: Verbraucher und Recht (VuR), Jahrgang: 2010, Seite: 157
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ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss22.01.2010

OLG Koblenz: Versi­che­rungs­schutz besteht auch bei Reise­stor­nierung trotz VorerkrankungNicht abzusehende Bandschei­ben­ope­ration stellt unerwartet schwere Erkrankung mit daraus resultierender Leistungs­pflicht der Versicherung dar

Ein Anspruch aus einer Reise­rück­tritts­kos­ten­ver­si­cherung kann auch dann begründet sein, wenn dem Versicherten, der bereits unter Rückenschmerzen leidet, erst nach Reisebuchung bekannt wird, dass er wegen eines akuten Bandschei­ben­vorfalls stationär operativ behandelt werden muss und er die Reise deshalb absagen muss. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Koblenz.

Der Kläger aus Bad Kreuznach unterhielt bei der beklagten Versicherung eine Reise­rück­tritts­kos­ten­ver­si­cherung. Nach den Versi­che­rungs­be­din­gungen besteht Versi­che­rungs­schutz für jede mit einer gültigen Kreditkarte („Goldkarte”) der Beklagten bis 10.000 € Reisepreis bezahlte Reise. Dabei sind der Inhaber einer gültigen Haupt- oder Zusatzkarte und weitere maximal fünf Personen versichert. Nach den Versi­che­rungs­be­din­gungen besteht Leistungs­pflicht der Beklagten, wenn die gebuchte Reise wegen einer „unerwarteten schweren Erkrankung” nicht angetreten werden kann.

Kläger wird vor geplanter Reise wegen Rückenschmerzen behandelt

Am 13. Oktober 2007 traten bei dem Kläger nach Gartenarbeiten anhaltende Rückenschmerzen auf, die von seinem Hausarzt mit Spritzen behandelt wurden. Hierdurch trat zunächst eine Beschwer­de­lin­derung ein. Einen Monat später, am 14. November 2007, suchte der Kläger wegen starker, bis in den rechten Oberschenkel reichender Schmerzen einen Orthopäden auf. Die Beschwerden des Klägers besserten sich trotz der verordneten Kranken­gym­nastik nebst Massagen nicht.

Kläger zahlt Reise mit versi­che­rungs­schutz­be­in­hal­tenden Kreditkarte

Am 4. Dezember 2007 buchte der Kläger für sich und seine Ehefrau über ein Reisebüro in Bad Kreuznach eine 15-tägige Rundreise durch Argentinien und Chile für den Zeitraum 5. bis 21. Februar 2008 zu einem Preis von 5.710,- € pro Person – insgesamt 11.420,- € – den er mit der von der Beklagten ausgegebenen Kreditkarte bezahlte.

Versi­che­rungs­un­ter­nehmen lehnt Zahlung aus Reise­rück­tritts­kos­ten­ver­si­cherung ab

Am 11. Dezember 2007 begab sich der Kläger in Behandlung eines Neurologen. Dieser stellte einen Bandschei­ben­vorfall fest und hielt eine sofortige Operation für erforderlich. Daraufhin stornierte der Kläger am 14. Dezember 2007 die gebuchte Reise. Hierfür wurden ihm vom Reise­ver­an­stalter Stornokosten in Höhe von 3.803,- € pro Person berechnet. Anschließend wurde der Kläger an der Bandscheibe operiert. Die Beklagte lehnte eine Zahlung aus der Reise­rück­tritts­kos­ten­ver­si­cherung ab.

Gericht muss klären, ob bestehenden Rücken­be­schwerden als „unerwartete schwere Erkrankung” anzusehen ist

Mit seiner Klage hat der Kläger die Erstattung der von ihm gezahlten Stornokosten abzüglich des vereinbarten Selbstbehalts von 20 %, insgesamt 6.084,80 €, nebst Zinsen und vorge­richt­lichen Anwaltskosten begehrt. Die Parteien haben über die Frage gestritten, ob der erst nach Reisebuchung festgestellte Bandschei­ben­vorfall des Klägers angesichts seiner bereits vorher bestehenden Rücken­be­schwerden als „unerwartete schwere Erkrankung” anzusehen ist. Das Landgericht Bad Kreuznach hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Stornokosten

Der für Rechtss­trei­tig­keiten aus dem Versi­che­rungs­ver­tragsrecht zuständige 10. Zivilsenat des Oberlan­des­ge­richts Koblenz hat in seinem Urteil ausgeführt, dass dem Kläger aufgrund des mit der Beklagten geschlossenen Versi­che­rungs­ver­trages ein Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Stornokosten zusteht.

Unklarheiten von Formu­la­r­klauseln gehen zu Lasten des Versicherers

Der Versi­che­rungs­schutz umfasse den tatsächlichen Reisepreis von 11.420,- €, so dass keine anspruchs­min­dernde Unter­ver­si­cherung gegeben sei. Die in der Versi­che­rungs­be­dingung enthaltene Formulierung „für jede … bis 10.000,- € Reisepreis bezahlte Reise” lasse offen, ob es sich um den Gesam­t­rei­sepreis für alle Reiseteilnehmer oder um den Reisepreis pro versicherter Person handele. Unklarheiten der Formularklausel gingen jedoch zu Lasten des Versicherers. Hinzu komme, dass vertraglicher Versi­che­rungs­schutz für maximal sechs Reiseteilnehmer bestehe. Dies hätte bei einem versicherten Gesam­t­rei­sepreis von 10.000,- € zur Folge, dass lediglich ein Reisepreis von 1.666,66 € pro Reiseteilnehmer versichert wäre, der bei den meisten Reisen ohne Weiteres überschritten würde. Für den durch­schnitt­lichen Versi­che­rungs­nehmer könne daher die Regelung nur so verstanden werden, dass sich der Reisepreis von 10.000,- € auf den für jede versicherte Person zu entrichtenden Reisepreis beziehe.

Rückenschmerzen begründen für durch­schnitt­lichen Versi­che­rungs­nehmer keine Wahrschein­lichkeit eines Bandschei­ben­vorfalls

Mit der Stornierung der Reise am 14. Dezember 2007 sei der Versi­che­rungsfall eingetreten. Der operativ zu behandelnde Bandschei­ben­vorfall des Klägers stelle eine unerwartete schwere Erkrankung dar. Als unerwartet sei eine Erkrankung anzusehen, die aus der subjektiven Sicht des Versicherten nicht voraussehbar ist. Die Diagnose eines operativ zu behebenden Bandschei­ben­vorfalls und damit die Reise­un­fä­higkeit des Klägers zum geplanten Reisebeginn am 5. Februar 2008 seien aus der subjektiven Sicht des Klägers nicht mit erheblicher Wahrschein­lichkeit zu erwarten gewesen. Allein das Bestehen wochenlanger Rückenschmerzen begründe für den durch­schnitt­lichen Versi­che­rungs­nehmer keine Wahrschein­lichkeit eines Bandschei­ben­vorfalls, wenn den Beschwerden - wie hier - ein Verhebetrauma bei Gartenarbeiten vorausgegangen sei und auch der konsultierte Orthopäde als Facharzt nach gründlichen Untersuchungen keine Feststellungen getroffen habe, die auf einen akuten Bandschei­ben­vorfall hindeuteten. Selbst wenn aufgrund der längeren Beschwerden des Klägers unklarer Ursache mit einem Bandschei­ben­vorfall zu rechnen gewesen wäre, habe der Kläger nicht damit zu rechnen brauchen, dass die Erkrankung nur operativ zu behandeln wäre und er deshalb am 5. Februar 2008 nicht reisefähig sein werde.

Ärztliche Diagnose bestätigt unerwartet schwere Erkrankung

Das Beschwerdebild des Versi­che­rungs­nehmers zum Zeitpunkt der Buchung der Reise sei nur insoweit maßgeblich, als sich hieraus hinreichende Anhaltspunkte für eine schwere Erkrankung ergäben. Anderenfalls komme es für die Frage des Vorliegens einer unerwartet schweren Erkrankung auf die definitive ärztliche Diagnose einer schweren Erkrankung an; diese sei hier erst am 11./12. Dezember 2007 und damit nach der Buchung der Reise erfolgt.

Quelle: ra-online, OLG Koblenz

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