15.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 6981

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Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil08.10.2008

Keine Haftung eines pharma­zeu­tischen Unternehmens für bekannte und vertretbare NebenwirkungenAuf Nebenwirkungen wurde in der Packungsbeilage hingewiesen

Hersteller von Medikamenten haften nicht für Nebenwirkungen eines Medikaments, die bei der Zulassung des Medikaments bekannt waren und als vertretbar beurteilt worden sind, da die Verkehrs­fä­higkeit von Arzneimitteln trotz der zu befürchtenden Nebenwirkungen in der Zulas­sungs­ent­scheidung von Amts wegen auf der Grundlage einer Abwägung von zu erwartendem Nutzen und zu befürchteten Risiken festgestellt wird. Deshalb sind Verletzungen nicht ersatzfähig, die nach der Nutzen-Risiko-Bewertung als sozialadäquat eingeordnet werden, weil und soweit sie beim Gebrauch von Arzneimitteln vom Verkehr hingenommen werden. Dies hat das Oberlan­des­gericht Baden-Württemberg entschieden.

Die Klägerin begehrt von dem beklagten pharma­zeu­tischen Unternehmen den Ersatz von Schäden, die sie auf Nebenwirkungen des Medikamentes VIOXX zurückführt. Nach einer Operation an der Halswirbelsäule war ihr das von der Beklagten in Deutschland vertriebene Medikament verordnet worden. Die Klägerin trägt vor, durch die Einnahme sei es zu Haarausfall, Bluthochdruck, erheblichen Schmerzen im Oberbauch, Übelkeit, einer Bauch­spei­chel­drü­sen­ent­zündung und einer Schädigung der Niere gekommen, was eine monatelange Odyssee in Kliniken und bei Ärzten sowie Dauerschäden an der Niere und der Bauch­spei­cheldrüse zur Folge gehabt habe.

Landgericht wies Schaden­s­er­satzklage ab

Das Landgericht Baden-Baden hat die Schaden­s­er­satzklage abgewiesen, da die Klägerin nach ihren eigenen Angaben das Medikament erheblich überdosiert (tägliche Einnahme von 75 mg statt den in der Gebrauchs- und Fachinformation angegebenen 25 mg) eingenommen habe und deshalb ein bestim­mungs­gemäßer Gebrauch des Medikaments nicht vorliege.

Berufung beim OLG Karlsruhe erfolglos

Die Berufung der Klägerin zum Fachsenat des Oberlan­des­ge­richts Karlsruhe blieb ohne Erfolg. Die Beklagte haftet nicht gemäß § 84 Arznei­mit­tel­gesetz (AMG s.u.), selbst wenn man unterstellt, dass die Klägerin das Medikament bestim­mungsgemäß gebraucht habe, an den behaupteten Beschwerden litte und diese durch die Einnahme von VIOXX verursacht worden wären, weil eine Haftung für bekannte und bei der Zulassung des Medikaments als vertretbar beurteilten Nebenwirkungen nicht besteht.

Keine Haftung für in Packungsbeilage aufgeführte Nebenwirkungen

Es kann unterstellt werden, dass das Risiko arterieller thrombotischer kardio­vas­kulärer Ereignisse, die zur Rücknahme von VIOXX vom Markt geführt haben, als unvertretbare Nebenwirkung zu beurteilen ist. Diese Nebenwirkungen sind jedoch bei der Klägerin nicht eingetreten. Sie macht nämlich ausschließlich Gesund­heits­schäden geltend, die als mögliche Nebenwirkungen in der Fachinformation und der Packungsbeilage aufgeführt waren. Für diese Folgen haftet die Beklagte aber nach Sinn und Zweck von § 84 AMG nicht. Nach § 84 AMG ist es nicht so, dass der pharmazeutische Unternehmer für alle Schäden zu haften hätte, die durch das Medikament verursacht werden. Das Gesetz knüpft die Haftung vielmehr an die schädlichen Wirkungen, die ein vertretbares Maß überschreiten, denn es ist ein allgemeiner Grundsatz des Schaden­s­er­satz­rechtes, dass eine Haftung nur für die Nachteile besteht, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Die Verkehrs­fä­higkeit von Arzneimitteln wird trotz der zu befürchtenden Nebenwirkungen in der Zulas­sungs­ent­scheidung von Amts wegen auf der Grundlage einer Abwägung von zu erwartendem Nutzen und zu befürchteten Risiken festgestellt. Deshalb werden als nicht ersatzpflichtig solche Verletzungen bewertet, die nach der Nutzen-Risiko-Bewertung als sozialadäquat eingeordnet werden, weil und soweit sie beim Gebrauch von Arzneimitteln vom Verkehr hingenommen werden. Als unvertretbare Wirkungen sind deshalb nur solche Wirkungen einzuordnen, die eine Versagung der Zulassung nach dem Arznei­mit­tel­gesetz begründen oder begründet hätten, wenn sie im Zulas­sungs­ver­fahren schon bekannt gewesen wären. Die Haftung nach dem AMG soll in erster Linie eingreifen, wenn bei der Zulas­sungs­prüfung entsprechend dem damaligen Stand der Wissenschaft schädliche Wirkungen, die das vertretbare Maß übersteigen, nicht erkannt wurden oder die Verkehr­s­un­fä­higkeit auf einem Produk­ti­o­ns­fehler beruht.

Infor­ma­ti­o­ns­pflichten nach § 84 AMG nicht verletzt

Auch eine Verletzung der Infor­ma­ti­o­ns­pflichten nach § 84 AMG, die zu einer Haftung führen könnte, lag nicht vor, da die Fachinformation und die Packungsbeilage unstreitig die Beschwerden, unter denen die Patientin zu leiden angibt, als Nebenwirkungen bereits bei bestim­mungs­gemäßem Gebrauch aufführen.

§ 84 AMG (Gefähr­dungs­haftung)

(1) Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechts­ver­ordnung von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn

1. das Arzneimittel bei bestim­mungs­gemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder

2. der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechen den Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchs­in­for­mation eingetreten ist......

§ 5 AMG (Verbot bedenklicher Arzneimittel)

(1) Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen.

(2) Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissen­schaft­lichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestim­mungs­gemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 12.11.2008

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